Ein Untersuchungsbericht zeigt: Rheinmetall wollte bereits wenige Tage nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine die fast 100 Leo-1-Panzer von Ruag abkaufen.
Nicolas Perrin und Brigitte Beck verkörperten beide den Neuanfang. Der Verwaltungsratspräsident und die Geschäftsleiterin des Schweizteils der Ruag (MRO Holding AG) sollten den bundeseigenen Rüstungsbetrieb nach dessen Entflechtung in die Zukunft führen. Beide waren branchenfremde Quereinsteiger. Perrin, der Schwager von Brigitte Hauser-Süess, Amherds Beraterin und engste Vertraute. Beck, die Frau.
Beide sollten auch die Ära Amherds verkörpern. Die Ruag-Spitze stellte ein Mini-Sittengemälde von der Idealwelt der Mitte-Bundesrätin dar. Es ist eine feminine, vertraut-verwandte Welt. Eine Welt ohne Widerspruch, die sehr gut funktioniert, solange alles in Ordnung ist. Aber das ist sie nicht mehr. Beck ist seit letztem Sommer weg. Nun geht auch Perrin.
Schweizer Panzer für die Ukraine
Bei beiden teilte das VBS mit, dass man sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt habe, um die Ruag nicht weiter zu belasten. Man hätte auch schreiben können, um Amherd nicht weiter zu belasten. Die Bundespräsidentin muss Ballast abwerfen. Seit bald einem halben Jahr droht sie in Negativschlagzeilen unterzugehen.
Der Abgang von Perrin folgt auf einen Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK). Amherd selbst hatte diese im vergangenen Spätsommer beauftragt, die Einhaltung von Vorgaben rund um den gescheiterten Deal mit fast 100 in Italien gelagerten Kampfpanzern des Typs Leopard-1 zu untersuchen. Die Ruag mit Perrin und Beck an der Spitze hatte versucht, das Kriegsgerät der Eidgenossenschaft via den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall an die Ukraine weiterzureichen.
Die fast 100 Panzer wären bis dato die mit Abstand grösste Panzerlieferung an die Ukraine gewesen – und das von einem neutralen Kleinstaat? Der Bundesrat lehnte das Vorhaben im Juni 2023 aus Gründen der Neutralität denn auch ab. Brigitte Beck musste daraufhin gehen, weil ihre öffentliche Kritik an der bundesrätlichen Haltung für Kontroversen sorgte. Die immer lauter werdenden Nebengeräusche kamen Amherd äusserst ungelegen. Sie war gerade dabei, ihr Departement neu zu gestalten, etwa mit der Schaffung eines Staatssekretariats. Der EFK-Bericht ist ein Hinweis darauf, dass weder Amherd noch Perrin präzis waren, als sie im Nachhinein den Panzer-Deal rechtfertigten.
Perrin stellte sich im vergangenen Sommer vor Amherd. Die VBS-Chefin sei nicht in die Verhandlungen mit Rheinmetall involviert gewesen. Er habe Amherd erst nach der Vertragsunterzeichnung mit Rheinmetall am 13. Februar 2023 informiert. Kurze Zeit später gab Amherd an, dass sie schon im Januar davor von der Kaufanfrage von Rheinmetall Kenntnis bekommen habe und dass sie sich dann über die vorschnelle Vertragsunterzeichnung geärgert habe.
Viele Fragen bleiben offen
Im EFK-Bericht heisst es nun, dass das VBS schon seit dem 19. Januar 2023 über die Verkaufsabsicht von Ruag an Rheinmetall informiert war. Zudem seien die in Italien gelagerten Panzer erstmals im Dezember 2022 in Eignergesprächen zwischen der Ruag, dem VBS sowie der Eidgenössischen Finanzverwaltung protokolliert worden, damals noch im Zusammenhang mit einer Nachzahlung der Mehrwertsteuer. Die Ruag wiederum sei bereits im März 2022 und somit nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Russen von Rheinmetall angefragt worden, ob diese ihnen die Leo-1-Panzer abkaufen könnten. Hat Perrin seiner einflussreichen Schwägerin tatsächlich nichts davon erzählt? Hat sich Amherd eine heile Welt geschaffen, in der die Warnmelder versagten?
Aus heutiger Sicht ist das alles nur schwer verständlich. Der EFK-Bericht gibt keine Antworten auf die politisch heiklen Fragen rund um die Neutralität oder um Amherds Kollegialitätsverständnis. Das VBS hält fest, dass die EFK kein strafrechtlich relevantes Verhalten beim Verwaltungsratspräsidenten festgestellt habe. Perrin habe sich in Rücksprache mit dem VBS entschieden, seinen Rücktritt einzureichen. Er bleibe im Amt, bis die Übergabe an einen Nachfolger geregelt wurde. Vielleicht wird es auch eine Nachfolgerin. «Mehrheit von Frauen im Verwaltungsrat», titelte das VBS nach der Entflechtung der Ruag stolz. Das war im Herbst 2019, Amherd war erst ein paar Monate im Amt und ihre Welt irgendwie noch in Ordnung.