Der Widerstand gegen die höheren Abgaben wächst. Der Generationenkonflikt tritt offen zutage: Die Jüngeren lehnen den AHV-Ausbau ab, doch die Älteren sitzen am längeren Hebel. Was werden sie tun?
Können die Schweizer Gewerkschaften am 3. März einen historischen Triumph feiern? Wenn sie in einer Volksabstimmung eine Mehrheit von einem milliardenschweren Sozialausbau überzeugen können, dessen Finanzierung nicht geklärt ist, wäre das ein Novum. Doch genau so sah es lange aus. Die ersten Umfragen zu ihrer Initiative für die Einführung einer 13. Monatsrente in der AHV liessen eine klare Sache erwarten. Sie kamen auf eine Zustimmung von 70 Prozent. Im Januar ergab die erste SRG-Umfrage des Büros GfS Bern, dass 61 Prozent «bestimmt» oder «eher» Ja stimmen wollten.
In den Wochen danach hat die Unterstützung nun aber nachgelassen, wie dies bei Volksinitiativen oft der Fall ist, weil auch die Schattenseiten vermehrt diskutiert werden. Mitte Februar wollten noch 53 Prozent für den Ausbau des grössten Sozialwerks stimmen. Dies geht aus der zweiten SRG-Umfrage hervor, die am Mittwochmorgen publiziert worden ist. Die Ablehnung hat von 36 auf 43 Prozent zugenommen. 4 Prozent sind noch unentschlossen.
Damit ist das Rennen wieder offen. Die Autoren der SRG-Umfrage sehen indes nach wie vor Vorteile für die Befürworter. Dafür spricht, dass eine andere aktuelle Befragung, die von den Tamedia-Portalen durchgeführt wurde, eine Zustimmung von 59 Prozent ergeben hat. Kommt hinzu, dass sich gerade in den Städten eine hohe Stimmbeteiligung abzeichnet, was ebenfalls der Ja-Seite hilft.
Aber sicher ist nichts. Entscheidend sind nun die Schlussphase des intensiven Abstimmungskampfs sowie die Mobilisierung. Setzt sich der Nein-Trend fort, oder bleibt es bei einer Mehrheit für die Linke? Laut der SRG-Umfrage ist explizit beides möglich.
Ständemehr und «Wackelkantone»
Bei einem knappen Resultat könnte der AHV-Ausbau immer noch scheitern, weil nebst dem Volk auch die Mehrheit der Stände zustimmen muss. Mit Verweis auf vergleichbare Abstimmungen und kantonale Auswertungen kommen die GfS-Autoren zu diesem Schluss: Solange das Volksmehr unter 54 Prozent liegt, könnte es auch beim Ständemehr eng werden.
Allerdings gelten Prognosen in dieser Sache als schwierig, da in einzelnen Kantonen relativ wenige Stimmen den Ausschlag geben können. Als entscheidend gelten «Wackelkantone» wie Schaffhausen, Glarus oder Luzern. Erreichen die Befürworter hier eine Mehrheit, ist die Sache wohl gelaufen. In diesen Kantonen ist denn auch mit gezielten Kampagnen der beiden Lager zu rechnen.
Alt gegen jung – deutlicher als erwartet
Die Umfragen offenbaren eine ebenso deutliche wie ungewöhnliche Konfliktlinie: jung gegen alt. Laut der zweiten SRG-Umfrage hat der Widerstand gegen die 13. Rente in der Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen deutlich zugenommen, von 40 auf 55 Prozent. Am anderen Ende der Skala wollen immer noch 60 Prozent der Befragten, die 65-jährig oder älter sind, für den Ausbau der AHV stimmen. Hier hat die Unterstützung kaum nachgelassen. Noch tiefer ist der «Altersgraben» gemäss der Tamedia-Umfrage: Bei den Jüngsten sagen hier 66 Prozent Nein, bei den Ältesten sagen 80 Prozent Ja.
Die Interessenlage ist klar: Wer bereits pensioniert ist, kann sich auf eine zusätzliche Monatsrente von 1200 bis 2400 Franken freuen. Für Ehepaare sind es bis zu 3600 Franken. Das ist in jedem Fall mehr, als diese Haushalte zur Finanzierung der zusätzlichen Renten beitragen müssten. Zu den Nutzniessern gehören auch Personen, die in wenigen Jahren pensioniert werden.
Junge hingegen müssen sich zuerst einmal dreissig oder vierzig Jahre lang an den Mehrkosten beteiligen und eine geringere Kaufkraft hinnehmen, bevor sie selbst in den Genuss der 13. Monatsrente kommen. Es gibt primär drei Optionen, um die zusätzlichen Auszahlungen an die Pensionierten zu finanzieren: Erhöhung der Mehrwertsteuer, Erhöhung der monatlichen Lohnabzüge, Erhöhung des Rentenalters. Sicher ist, dass es schnell gehen muss. Gemäss Initiativtext muss die AHV die 13. Monatsrente ab 2026 auszahlen. Die jährlichen Kosten betragen anfänglich 4 Milliarden Franken, nach einigen Jahren bereits fünf. Sie kommen zu den ohnehin drohenden Defiziten hinzu, die in der AHV ab 2031 auch ohne Ausbau zu erwarten sind.
Die Senioren haben es in der Hand. Da sie nicht nur zahlreich sind, sondern vor allem auch überdurchschnittlich fleissig an die Urne gehen, dürfte es stark von ihrem Verhalten abhängen, ob sich die Gewerkschaften durchsetzen können. Kraft ihrer Zahl können die Senioren die Jungen für sich zahlen lassen. Allerdings gibt es laut der SRG-Umfrage Hinweise auf eine «Demobilisierung» unter Pensionierten, die möglicherweise wegen der Generationensolidarität zunehmend ein ungutes Gefühl haben.
Frenetische Zustimmung im Tessin
Deutlich sichtbar werden in den GfS-Zahlen auch besser bekannte Gräben, insbesondere jene zwischen den Sprachregionen. Geradezu frenetisch ist die Zustimmung in der italienischsprachigen Schweiz, wo relativ viele Pensionierte leben. Hier wollen fast 80 Prozent für die 13. Monatsrente stimmen, praktisch gleich viele wie im Januar.
In der Westschweiz hingegen hat die Unterstützung zwar nachgelassen, aber auf weiterhin hohem Niveau: Nach wie vor sprechen sich 69 Prozent für den Ausbau aus. In der Deutschschweiz hingegen, die traditionell geringere Erwartungen an den Sozialstaat hat, ist die Zustimmung von 56 auf 48 Prozent gefallen.
Automatische Erhöhung des Rentenalters ohne Chance
So spannend das Rennen um die 13. Monatsrente ist, so deutlich zeichnet sich der Ausgang bei der zweiten Abstimmung ab: Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen dürfte klar scheitern. Die Umfragen lassen eine Zustimmung von 30 bis 35 Prozent als realistisch erscheinen. Die Initiative verlangt im ersten Schritt eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters von 65 auf 66 Jahre; im zweiten soll das Rentenalter automatisch an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt werden.
Die Unterstützung für diese Idee hat nach den ersten Umfragen weiter nachgelassen. Besonders gross ist der Widerwille in der Romandie und im Tessin. Und nachdem in der ersten SRG-Umfrage noch eine Mehrheit der Pensionierten für die Renteninitiative stimmen wollte, die sie selbst nicht mehr betreffen würde, ist die Mehrheit in dieser Gruppe inzwischen gekippt: Nun wollen auch hier 51 Prozent Nein stimmen. Bei den Jüngeren ist die Ablehnung deutlich grösser (65 Prozent).
Die grosse Frage ist nun, ob die Pensionierten die Jüngeren nur vor dem höheren Rentenalter bewahren wollen oder auch vor den höheren Abgaben. Bis die Antwort am 3. März feststeht, könnte es bis am späteren Nachmittag dauern.