Mit grosser Machtfülle ging Thoma bei Sulzer über die Bücher. Jetzt soll im Industriekonzern zielgerichteter gearbeitet werden. Anders gesagt: Sulzer soll denken wie die Chefin.
«Wir wollen uns die Frage stellen: Was ist eigentlich die Sulzer?» So formulierte es Suzanne Thoma im Herbst 2022, als sie zusätzlich zum Verwaltungsratsvorsitz auch die Geschäftsführung des Traditionskonzerns aus Winterthur übernahm. Das Doppelmandat wollte Thoma nutzen, um die Strategie des Industrieunternehmens zu überprüfen. Sie nahm sich dafür mehr Zeit als zunächst geplant.
Jetzt, mehr als ein Jahr nach Beginn des Doppelmandats, steht die Antwort fest – und es ist nicht der radikale Umbau, der die harte Hand einer durchgreifenden Managerin erfordern würde. Nur eine Schärfung der Strategie. Doch Sulzers Reise geht offenbar auch so in die richtige Richtung: Der Aktienkurs sprang am Donnerstag um 9 Prozent auf mehr als 95 Franken in die Höhe. Die Valoren kratzten damit am höchsten Stand seit mehr als zehn Jahren.
Gewinn, Cashflow, Rendite: Sulzer kann glänzen
Das passt ins Bild. Sulzers Betriebsgewinn und auch der Reingewinn erreichten 2023 ebenfalls den höchsten Stand seit zehn Jahren, ebenso der freie Cashflow und die Kapitalrendite. 231 Millionen Franken hat Sulzer verdient, dies bei einem um 3 Prozent gesteigerten Umsatz von 3,3 Milliarden Franken. Zum ersten Mal seit zehn Jahren soll die Dividende erhöht werden.
Dies alles, obwohl China und grosse europäische Märkte mit einem Konjunkturabschwung zu kämpfen haben und sich viele Industrieunternehmen schwertun. Doch Sulzer ist da, wo die Musik spielt: Alle drei Divisionen wuchsen 2023 währungsbereinigt im zweistelligen Prozentbereich, und das rund um den Globus – seien es der Verkauf von Pumpen, Abscheidern und anderen Anlagen zum Verarbeiten von Flüssigkeiten, seien es Anlagen für die chemische Produktion oder das Service-Geschäft.
«Im Kern ist das Unternehmen stark und gesund», resümierte Thoma. Sulzers Anlagen sind längst nicht nur in traditionellen Branchen wie Erdöl, Erdgas und Chemie gefragt. Gross ist das Interesse auch aus Segmenten, die für die Energiewende und den Klimaschutz eine Rolle spielen: für die umweltfreundliche Modernisierung von Kraftwerken, für die Wasseraufbereitung oder Kohlendioxid-Speicherung. Darüber hinaus sorgen die Service-Aufträge für stabile Erträge.
Doch Suzanne Thomas Anspruch ist ein anderer. Die 62-Jährige, die zuvor den Berner Energieversorger BKW transformierte, ist bekannt für ihre zupackende Art und ihre Konsequenz: Sulzers Potenzial sei noch weitaus grösser, als man in den Zahlen für 2023 sehe, erklärte sie vor Analytikern. Künftig solle sich Sulzer auf die Bereiche Energie, natürliche Ressourcen und Rohstoffe sowie Service konzentrieren – und könne bei Umsetzung und Vertrieb noch viel besser werden.
Das Konglomerat in den Köpfen überwinden
Thoma, die ungern etwas dem Zufall überlässt und gern ihre rund 13 100 Mitarbeiter fordert, zählt auf: 60 Initiativen sollen für mehr organisches Wachstum in den drei Divisionen sorgen, mehr als 40 Initiativen die Wertschöpfung steigern. Ingenieurskunst allein reicht der promovierten Chemieingenieurin nicht – «wir müssen bei der Ausführung zulegen».
Um den Absatz zu steigern, sollen die drei Divisionen stärker zusammenarbeiten und den Industriekunden Angebote aus einer Hand offerieren: zum Beispiel einem Wasserwerk nicht nur Pumpen aus der Sparte Flow Equipment verkaufen, sondern auch die Reinigungstechnologie oder CO2-Speicher-Technologie der Sparte Chemtech. Sulzer sei kein kleines Konglomerat, bei dem die Geschäftsbereiche nichts miteinander zu tun hätten, bekräftigte Thoma.
Ihre Initiativen tragen bereits Früchte, auch bei der Eindämmung der Kosten. Besonders stolz ist das Management auf den Anstieg des Betriebsgewinns – denn nun ist eine Sünde der Vergangenheit getilgt: die Abspaltung von Medmix, einem Hersteller von Abfüllanlagen. Medmix war eine der rentabelsten Divisionen von Sulzer, wurde aber im Jahr 2021 ausgegliedert und an die Börse gebracht. Jetzt ist das Loch, das dadurch bei Sulzers Profitabilität gerissen wurde, gestopft.
Thoma wird das Doppelmandat vor 2028 aufgeben
Als Thoma im Oktober 2022 mit der NZZ sprach, nannte sie die Trennung von Medmix als Negativbeispiel: «Es stellt sich die Frage, ob das der richtige Weg ist oder ob es nicht das Ziel sein sollte, das Unternehmen als Ganzes integrierter weiterzuentwickeln.» Auch künftig soll Sulzer keine grossen Devestitionen tätigen. Höchstens könne es zu kleineren «Abrundungen» im Portfolio kommen, so Thoma am Donnerstag. Zum Beispiel sei noch nicht entschieden, ob das Textilrecycling eine Zukunft bei Sulzer haben werde.
Grössere oder gehäufte Zukäufe sind ebenfalls nicht geplant. Sulzers Transformation soll bis 2028 dauern. So lange will Thoma das Doppelmandat aber nicht weiterführen. Doch zumindest wird die Chefin sicherstellen wollen, dass die überarbeitete Strategie gut aufgegleist ist – und im Unternehmen so gedacht wird, wie es ihr vorschwebt. Es ist eine Neuausrichtung in einem besonderen Jahr: Im April feiert Sulzer das 190-jährige Bestehen.
Im Jubiläumsjahr erhält Thoma abermals die Chance, die Wirkung ihrer Exzellenz-Initiativen zu zeigen. Der Bestelleingang flachte zum Jahresende 2023 ab. Für 2024 wird ein organisches Umsatzwachstum in Lokalwährungen zwischen 6 und 9 Prozent erwartet; vergangenes Jahr waren es noch 13 Prozent. Doch die Profitabilität soll sich weiter verbessern. «Wir wollen ein Top-Industrieunternehmen werden», so die mächtigste Frau in der Schweizer Industrie.