Rostock liegt dort, wo jeder grosse Ermittler irgendwann die Grenzen auslotet und mit der eigenen Schuld weiterleben muss. In der neuen «Polizeiruf 110»-Folge «Diebe» ist es mit der Kommissarin Melly Böwe (Lina Beckmann) schon so weit.
Es gibt Sonntagskrimi-Teams, da schmerzt es mehr als bei anderen, wenn ein Film nicht gelingt. Bei der neuen «Polizeiruf»-Folge «Diebe» aus Rostock hat dieses ungute Gefühl immerhin eine positive Kehrseite: Mit der Annäherung der beiden Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) geht es bei aller Unterschiedlichkeit vielversprechend voran. Das macht diese plattitüdenhafte Kriminalgeschichte zwar nicht besser, ist aber auf weiter Strecke eine schöne Entschädigung.
Zum Auftakt gibt es fürs Publikum erst einmal einen Wissensvorsprung gegenüber den Kommissaren: Mascha Kovicz (Meira Durand) findet bei einem Einbruch eine alte Frau tot auf dem Fussboden liegen. Die Drogenabhängige rückt dann bei den polizeilichen Ermittlungen erst einmal fälschlicherweise als Verdächtige in den Fokus. Mascha ist ein gesellschaftlicher Outlaw. Ihre Charakterisierung krankt an einer Überzeichnung, wie sie allzu oft vorkommt bei Problemfiguren im Sonntagabendkrimi. Dann müssen diese als Vertreter eines sozialen Milieus ständig Botschaften aussenden. So ist auch Mascha das Elend grell ins Gesicht geschminkt.
Prekäre Verhältnisse
Nach knapper Einstiegssequenz malt sich dieser Film vor allem Lebensumstände aus. Dabei betont man hier ständig, wie sich Mascha mit tiefen Augenringen und trotz gescheiterter Existenz bemüht, ihrer kleinen Tochter eine gute Mutter zu sein. Das ist natürlich Quatsch: Wer eine Fünfjährige in Diebestouren hineinzieht und sich auch einmal vor ihren Augen einen Schuss setzt, der beschädigt eine Kinderseele fürs Leben. Punkt. Fürs Gemüt werden hier herzige Mutter-und-Tochter-Szenen eingestreut in einer zur Villa Kunterbunt gestylten Bruchbude. Die Frage, wie eine Süchtige, die von Diebstahl lebt, sich mal einfach so unbehelligt samt Kind in einem Kleingartenverein einnisten kann, würde die ganze Sozialromantik im Nu zum Einsturz bringen.
Die Filmemacher Andreas Herzog (Regie) und Elke Schuch (Drehbuch) entwerfen im Kontrast zu Maschas prekären Verhältnissen eine nicht weniger holzschnittartige, vordergründig musterhafte Mutter-Vater-Kind-Familie inmitten eines sterilen Einfamilienhausquartiers. In der Überschneidung der beiden Welten liegt die Auflösung des Falls.
Es gibt noch zwei weitere erzählerische Irrläufer. Die Veränderung Volker Thieslers (Josef Heynert) zum Beispiel: Der bis anhin etwas unscheinbare, aber durchaus vernünftige Mann im Hintergrund dieser Mordkommission trägt seit dem Einzug der neuen, ihm vorgesetzten Kommissarin Böwe sein angeschlagenes Selbstwertgefühl wie einen Popanz vor sich her. In einer Mischung aus gekränktem Stolz und überschiessendem Ehrgeiz geht er – komplett unglaubwürdig – einem bluffenden, auf einer Jacht hausenden Staatsanwalt auf den Leim. Aber wenn sie etwas nie waren an der rauen Ostsee, dann naiv.
«Good cop, bad cop»
Einen ähnlichen Zug ins Plakative hat die Geschichte von Katrin Königs nach vierzig Jahren aus dem Nichts aufgetauchten Vater (Wolfgang Michael). Wie dieser seine Tochter bis ins Kommissariat stalkt und sie um Geld anbettelt, wird die Rolle zunehmend zur Karikatur. Man verschenkt das Thema des DDR-Unrechtsstaates und zieht die Frage, wie die Stasi-Haft Menschen nachhaltig beschädigte, ins Lächerliche. Diese Vaterfigur ist ohne Würde, und der NDR würde gut daran tun, sie schleunigst wieder aus Rostock abzuziehen, bevor grundsätzlicher Schaden angerichtet wird.
Was einen hier aber doch einnimmt, ist die – vorläufige – «Good cop, bad cop»-Episode in Sachen Ermittlerinnen. Melly Böwe will mehr als einen Mörder finden: Ihr tut Maschas Tochter leid, sie versucht zu helfen und verlässt die professionelle Distanz – mit fatalen Folgen. Der Schluss ist dann wieder grosse Klasse: Rostock liegt dort, wo jeder grosse Ermittler, Sascha Bukow wie Katrin König, irgendwann die Grenzen auslotet und mit der eigenen Schuld weiterleben muss. Bei Melly Böwe brauchte es dafür gerade einmal vier Fälle. Chapeau!
«Polizeiruf 110» aus Rostock: «Diebe», am Sonntag, 25. Februar, um 20.15 Uhr in der ARD.