Zeichen der Zeit
Das heute angesagte weite Bein erinnert an die fünfziger Jahre, die Plateausohle an die Kurtisanen Venedigs. Und die Nachhaltigkeit?
Trends sind doch ganz entgegen ihrem schlechten Ruf extremer Versatilität, Willkür, Irrationalität erstaunlich langlebig und eher in der longue durée als im Moment zu sehen. Die Skinny Jeans, die Leggings, die jeden Muskel und leider auch jedes Speckröllchen zeigten und für alles, was Hosen trug, ein must waren, gehen immer noch. Aber seit jetzt ungefähr zehn Jahren hat sich doch langsam und sicher ein ganz weites Bein mit hoher, eher enganliegender Taille bei den fashionables durchgesetzt. Ist übrigens, hat man eine schlanke Taille und ist gross, ungemein kleidsam, vor allem mit ganz hohen Plateausohlen.
Und da bekanntlich wenig unter der Sonne neu ist und selbst die Trends zyklisch wiederkehren, wird man an die späten zwanziger, dreissiger und dann wieder an die fünfziger Jahre erinnert, in denen die Stepptänzer Hollywood in kleinen, enganliegenden Oberteilen und weiten Hosen mit eher knapp sitzender Taille eroberten, Genre «Singing in the Rain». Heute sind die Beine im oversize mode noch weiter.
Eine spektakuläre Vorgeschichte
Und was die Schuhe von heute angeht, deren Plateaus immer höher und beeindruckender werden – und auch das schon seit Jahren –, fühlt man sich doch an die Kurtisanen Venedigs erinnert, die auf schwindelerregend hohen Schuhen stolzierten, die sie souverän über den Strassendreck schweben liessen. Heute eilen wir auf hohen Plateaus wasserdicht sicheren Fusses amazonenartig durch die Strassen und lassen Schneematsch, Pfützen und vieles mehr links liegen.
Aber was über allem in der Luft liegt, ist doch – Sie ahnen es, und das scheint jetzt wirklich zum Gähnen langweilig – die Nachhaltigkeit. Aber warten Sie. Denn dieser Trend hat eine spektakuläre Vorgeschichte. Neu ist er NATÜRLICH nicht – auch wenn seine Akolythen das manchmal glauben. Schon immer war Nachhaltigkeit auch eine ästhetische Kategorie. Seit Jahrhunderten gehört sie zum guten Ton.
Die Zeichen der Zeit soll man tragen
Nie und nimmer wäre der englische Landadel in brandneuen Kleidern erschienen: Ihre Schuhe, Stiefel, Tweed-Jacketts und Pullover – alles von allerhöchster Qualität, premium oder eher, weniger spiessig, quiet luxury – wurden von den Butlern eingetragen, damit man dann aussah, als trüge man besagtes Kleidungsstück schon seit Menschengedenken. In einem brandneuen Kleid auf ein Fest? Wie kleinbürgerlich! Und auch heute gehört das Loch am Ellbogen oder der Ellbogenflicken bei den Parisern und Pariserinnen aus dem 16. Arrondissement, die den August sagen wir auf der Île de Ré verbringen, einfach dazu. Denn: Wozu etwas Neues kaufen, wenn das Alte doch schon so bequem eingetragen ist?
Übertrieben haben diesen Look wie immer die Dandys, die das Getragene, Abgenutzte in eine Kategorie des Sublimen verwandelt haben: Der französische Literatur- und Kulturkritiker Jules-Amédée Barbey d’Aurevilly (1808–1889) erzählt davon, wie sie ihre Anzüge mit Scherben so aufrauten, dass es am Ende aussah, als wären sie in eine filigrane Wolke gehüllt.
Die drei grossen Japaner, Yohji Yamamoto, Issey Miyake und Rei Kawakubo, haben die Nachhaltigkeit in den achtziger Jahren zum Modetrend gemacht; ihre Kleider solle man so lange tragen, bis sie in Fetzen vom Leib fielen, riet Kawakubo. Yamamoto entwarf nicht immer neue Kollektionen, sondern nahm die Klassiker alle Jahre wieder auf. Als schön galt, was Spuren des Tragens, Zeichen der Zeit zeigte. Nachhaltigkeit war so ästhetisch vorprogrammiert.
Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU in München. Ein breites Publikum erreichte sie mit ihren Überlegungen zur deutschen Familienpolitik und zur Mode.