Als letztes Land hat Budapest die Blockade von Schwedens Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis aufgegeben. Dem Schritt waren zahlreiche Provokationen Viktor Orbans vorausgegangen.
Knapp zwei Jahre nach dem Beitrittsantrag ist der Weg in die Nato auch für Schweden endlich frei. Am Montagnachmittag erfolgte die Ratifizierung im ungarischen Parlament in der ersten Sitzung nach der Winterpause mit überwältigender Mehrheit: 188 Ja-Stimmen standen nur 6 Nein gegenüber. Einzig die rechtsextreme Partei Mi Hazank lehnte die Vorlage ab.
Nachdem die Türkei ihren Widerstand gegen den Beitritt des nordischen Landes vor gut einem Monat aufgegeben hatte, fehlte nur noch die Zustimmung aus Budapest – obwohl die Regierung stets betont hatte, Ungarn werde in dem Aufnahmeverfahren nicht das letzte Land sein. Mit der Hinterlegung der schwedischen Beitrittsurkunde beim amerikanischen Aussenministerium in Washington kann nun die Norderweiterung der Nato abgeschlossen werden.
Damit erfährt die Verteidigungsallianz eine wichtige Stärkung und endet gleichzeitig eine monatelange, die Bündnispartner verstörende Hinhaltetaktik Ungarns. Die Regierung hatte zwar stets betont, Schwedens Nato-Beitritt zu unterstützen. Die entsprechende Vorlage wurde der Legislative auch längst überwiesen und ein Votum mehrmals in Aussicht gestellt. Doch es wurde unter immer neuen Vorwänden vertagt.
Orban erlaubt sich weitere Provokationen
Zunächst hiess es, die Legislative sei überarbeitet wegen der vielen Bedingungen der EU für die Freigabe der blockierten Kohäsionsgelder. Dann war von Vorbehalten bei der Regierungspartei Fidesz die Rede wegen der schwedischen Kritik an rechtsstaatlichen Defiziten und der «Beschimpfung Ungarns». Das Parlament sandte deshalb vor einem Jahr sogar eine Delegation nach Schweden und Finnland für Erkundigungen. Ministerpräsident Viktor Orban gab an, ihm seien die Hände gebunden – obwohl in seiner Partei nichts gegen seinen Willen geschieht.
Mit der Zustimmung Ankaras wuchs der Druck auf Ungarn. Orban versicherte dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er werde das Parlament «weiterhin drängen», baldmöglichst zuzustimmen. Gleichzeitig erlaubte er sich weitere Provokationen. So lud er Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson nach Budapest ein, um über den Beitritt zu «verhandeln», was Stockholm zunächst ablehnte. Es gebe nichts mehr zu verhandeln.
Eine von der Opposition beantragte Sondersitzung des Parlaments vor drei Wochen, an der auch die Botschafter von 16 Nato-Mitgliedstaaten anwesend waren, boykottierte der Fidesz. Ein erstaunlicher Affront war schliesslich, dass eine überparteiliche Delegation amerikanischer Senatoren bei ihrem Besuch in Budapest vor einer Woche weder von Regierungsvertretern noch von Fidesz-Abgeordneten empfangen wurde.
Innenpolitisch unter Druck wegen der verbreiteten Empörung über die Begnadigung in einem Pädophilie-Fall kündigte Orban am gleichen Wochenende in seiner Rede zur Lage der Nation an, das Parlament werde Schwedens Beitritt zum Auftakt der Parlamentssession billigen. Nachdem der Regierungschef Anfang Februar ohne jede Gegenleistung seine Blockade eines 50 Milliarden Euro schweren EU-Hilfspakets für die Ukraine aufgeben musste, erlaubte ihm sein schwedischer Amtskollege nun immerhin einen Erfolg fürs Heimpublikum: Kristersson besuchte Budapest am Freitag, und die beiden Länder schlossen ein Rüstungs- und Verteidigungsabkommen. So wird unter anderem die ungarische Kampfjetflotte um vier schwedische Gripen aufgestockt sowie der Zusammenarbeitsvertrag verlängert und ausgeweitet.
«Keine Ehe, sondern ein Militärbündnis»
In seinem zweiwöchentlichen Interview bei Kossuth Radio erklärte Orban, es habe mit Schweden einen «vertrauensbildenden Prozess» gegeben, der mit Kristerssons Besuch abgeschlossen werden konnte. So sei es ihm gelungen, seine Partei umzustimmen. Schweden regle das Leben anders als Ungarn, und beide Seiten müssten dies akzeptieren. Man wolle ja keine Ehe zusammen eingehen, sondern ein Militärbündnis.
Tatsächlich ist jedoch der Druck schlicht zu gross geworden, nachdem sich Ungarn nicht mehr hinter der Türkei verstecken konnte. Als die Nato das Aufnahmeverfahren der beiden nordischen Länder im Sommer 2022 an ihrem Gipfel in Madrid offiziell in die Wege leitete, hatte die Türkei Zugeständnisse verlangt, zu denen sich Schweden und Finnland in einem Memorandum verpflichteten. Ungarn stellte dagegen keine besonderen Bedingungen. Das machte die Diskussionen mit Budapest in den vergangenen Monaten schwieriger: Es war unklar, was Orban konkret will.
Die Nato stand damit vor demselben Problem, das auch die EU kennt: Der ungarische Regierungschef nutzt das Einstimmigkeitsprinzip, um für seine Zustimmung sachfremde Zugeständnisse zu erzwingen. Gelingt das wie zuletzt in Brüssel nicht, hat er immerhin seinem kleinen Land überproportionale Aufmerksamkeit verschafft.
Die Rolle als Rebell gegen einen seiner Ansicht nach verkommenen Westen kann Orban innenpolitisch gut verkaufen. Gleichzeitig sendet er damit auch ein Signal an den Kremlherrscher Wladimir Putin, zu dem er nach wie vor gute Beziehungen pflegt. Bei einer von der Opposition angeregten Schweigeminute für Alexei Nawalny blieb seine Partei demonstrativ sitzen, was Orban in seiner anschliessenden Rede mit Lob quittierte. Als kremltreuer Quertreiber innerhalb des westlichen Bündnissystems verärgert der Ministerpräsident seine Partner allerdings zunehmend. In der Nato ist Ungarn mittlerweile ähnlich isoliert wie in der EU.