Nach einem Jahr müssen Lehrer ohne Fachausbildung ihre Schulgemeinden verlassen. Eine Mehrheit im Kantonsrat sieht das kritisch.
Es ist eine relativ rare Spezies. Aber in den letzten beiden Jahren haben sich die Poldis im Kanton Zürich ausgebreitet. Poldis, das ist bildungspolitischer Slang für «Personen ohne Lehrdiplom». Wegen des grassierenden Lehrermangels dürfen seit dem Schuljahr 2022/23 auch Leute ohne fachliche Ausbildung vor eine Schulklasse stehen. Auf rund 18 000 Lehrer in der Volksschule im Kanton kommen zurzeit rund 600 Poldis.
Die Personen müssen verschiedene Bedingungen erfüllen. Unter anderem müssen sie über 30 Jahre alt sein und Berufserfahrung in einem anderen Feld mitbringen. Sie verdienen 80 Prozent eines normalen Lehrergehalts. Weiter – und das führt bisweilen zu Problemen – dürfen sie in der gleichen Gemeinde nur für ein Jahr beschäftigt sein, sofern sie keine Ausbildung an einer pädagogischen Hochschule beginnen. Dann müssen sie die Gemeinde wechseln.
So ist es vorgekommen, dass beliebte Poldis, die sich während des Jahres bewährten, ihre angestammte Schule und Klasse verlassen mussten – nur um dann durch einen neuen Poldi ersetzt zu werden. «Total unsinnig» findet Raffaela Fehr die Begrenzung auf ein Jahr. Die FDP-Kantonsrätin hat sich am Montag im Parlament für eine flexiblere Lösung ausgesprochen.
Neben der FDP musste sich die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) auch von der SVP, der GLP und den Grünen Kritik anhören. Der Grünliberale Christoph Ziegler, selber Lehrer, sprach von einem schädlichen «Poldi-Hopping», das niemandem etwas nütze. «Jede Neuanstellung verursacht für die Schulgemeinden einen bürokratischen Aufwand.» Man erwarte von Regierungsrätin Steiner einen Effort; der Lehrermangel verschwinde nicht von heute auf morgen. «Aussergewöhnliche Situationen verlangen aussergewöhnliche Massnahmen.»
Auch die Grüne Livia Knüsel meinte, die Schulen benötigten eine «verlässliche Perspektive». Aufgrund der Entwicklung sei absehbar, dass es auch im Schuljahr 2024/25 die Unterstützung von Poldis brauchen werde.
SP und Mitte stärkten Steiner hingegen den Rücken. Der Grundtenor: Die Poldis schaden dem Ansehen des Lehrerberufs und mindern den Wert der Ausbildung. Punkte, die auch Silvia Steiner persönlich in ihrem Votum streifte. Kinder hätten gemäss Bundesverfassung den garantierten Anspruch auf einen ausreichenden Grundschulunterricht. Dieser müsse durch eine «genügend ausgebildete und fähige Lehrperson» erteilt werden. Ein Lehrdiplom sei unabdingbar; Poldis könnten darum nur befristet angestellt werden.
Auch die EVP war in der Schlussabstimmung im Steiner-Lager. Da es beim Geschäft nur um eine abweichende Stellungnahme zum Abschreiben eines Postulats ging, war das Resultat – 120 zu 50 Stimmen – am Ende mehr als ein Fingerzeig an die Bildungsdirektorin zu verstehen.
Kein Herz für das Zehnfingersystem
dfr. Wer muss heute noch das Zehnfingersystem auf der Computertastatur beherrschen? Die Mehrheit im Zürcher Kantonsrat findet: niemand. Sie hält es für überflüssig, das Zehnfingersystem explizit in der obligatorischen Schulzeit zu verankern, und hat einen entsprechenden Vorstoss der SVP-Kantonsrätin Sandra Bossert versenkt. «Die Jungen» würden sich heute schon oft schneller und präziser mit Emojis und Sprachnachrichten ausdrücken, meinte ein GLP-Vertreter. Der Vorstoss komme «ein paar Jahre zu spät», sekundierte die freisinnige Sprecherin. Heute könne man Texte einfach per App diktieren oder man lasse sie direkt von Chat-GPT schreiben. Wichtiger sei, dass die allgemeinen digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern gefördert würden. Zudem, das stellte Bildungsdirektorin Silvia Steiner fest, wäre für eine Anpassung des Lehrplans ohnehin nicht der Kantonsrat, sondern der Bildungsrat zuständig.