Der Aktienkurs von Clariant hat sich in den vergangenen fünf Jahren beinahe halbiert. Die Führung der Baselbieter Chemiefirma steht unter wachsendem Druck. Völlig unklar ist derweil, welche Absichten der saudiarabische Grossaktionär des Unternehmens verfolgt.
Die Stimmung bei Clariant sei katastrophal, sagt ein Insider, der jahrelang eng mit dem Baselbieter Chemiekonzern verbunden war. Er erhalte pro Woche drei bis vier Anrufe von Kaderleuten, welche die Firma lieber heute als morgen verlassen würden. Seinen Namen will der Insider indes nicht in der Zeitung lesen.
«Wir sind keineswegs zufrieden mit der Bewertung»
Dass es viel Frust im Umfeld von Clariant gibt, ist bekannt und wird selbst vom Unternehmen nicht bestritten. Allerdings stellt man sich in der Konzernzentrale in Pratteln auf den Standpunkt, dass primär unter Investoren Unmut herrsche. Der Aktienkurs von Clariant ist seit Anfang Jahr um weitere 10 Prozent gefallen. Über die letzten fünf Jahre gerechnet, hat er sich beinahe halbiert.
«Wir sind keineswegs zufrieden mit der Bewertung», erklärt das Unternehmen auf Anfrage. Von einer schlechten internen Stimmung könne indes nicht die Rede sein – im Gegenteil: «Die Einstellung der Mitarbeitenden hat sich in den letzten zwölf Monaten insbesondere beim höheren Kader deutlich verbessert.»
Sind Störenfriede weg?
Der Konzern stützt seine Einschätzung auf jüngste Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen. Zugleich räumt er ein, dass es eine Zeitlang eine gewisse Unruhe, ausgelöst durch einzelne Führungskräfte, gegeben habe. Diese seien aber weg: «Wir gehen davon aus, dass sie mittlerweile das Unternehmen verlassen haben.»
Tatsächlich wurden bei Clariant seit dem Amtsantritt des Konzernchefs Conrad Keijzer vor drei Jahren die Strukturen stark angepasst. Der Niederländer, der den Grossteil seiner Karriere zuvor beim niederländischen Konkurrenten AkzoNobel verbracht hatte und bei Clariant den langjährigen früheren Firmenchef Hariolf Kottmann ersetzte, ordnete primär eine Verflachung der Hierarchie an.
Unter Kottmann war das Unternehmen im Ruf gestanden, dem weltgrössten Chemiekonzern BASF nachzueifern. Clariant habe von der Organisation her «einer kleinen BASF» geglichen, sagten Kritiker. Inzwischen wurden die bis zu zehn Ebenen, die es beim Unternehmen zwischen Mitarbeitern der untersten Stufe und dem Konzernchef gab, auf maximal sechs reduziert.
Der Umbau kostete Dutzenden von Kaderangehörigen die bisherige Führungsposition oder gar den Job. Schwierig von aussen zu beurteilen ist, wie weit es in der Belegschaft noch Leute gibt, die der früheren Organisation von Clariant nachtrauern. Aufseiten des Unternehmens räumt man ein, dass grosse Transformationen «immer mit einer Übergangszeit» verbunden seien.
Sparmassnahmen in der Verwaltung
Zusammen mit dem Führungsapparat wurde die Verwaltung des Konzerns verkleinert. Auch sie galt als deutlich überdimensioniert. Unter Kottmann habe diese theoretisch einen Umsatz von 15 Milliarden Franken betreuen können, ätzten Firmeninsider immer wieder.
Allerdings war Clariant trotz verschiedenen Anläufen nie auf diese Grösse gekommen. Der Spitzenwert beim Umsatz wurde 2018 mit 6,6 Milliarden Franken erreicht. Vorletztes Jahr betrug der Konzernerlös noch 5,2 Milliarden Franken, nachdem sich der Konzern entschlossen hatte, mehrere Geschäftsbereiche abzustossen. Die verkauften Unternehmensteile waren primär auf Massenprodukte ausgerichtet.
Vom Anspruch, ein Branchenschwergewicht zu bilden, scheint sich Clariant endgültig losgesagt zu haben. Man fokussiere sich nun auf organisches Wachstum sowie kleinere Akquisitionen, teilt das Unternehmen mit.
Lob für Akquisition von Lucas Meyer Cosmetics
Finanzanalytiker würdigen das Bestreben der Konzernführung, sich auf Produkte mit einer höheren Wertschöpfung zu konzentrieren. Als gutes Beispiel dafür erachtet Philipp Gamper von der Zürcher Kantonalbank (ZKB) die geplante Übernahme des kanadischen Unternehmens Lucas Meyer Cosmetics. Die Firma, die auf Ingredienzien für hochpreisige Kosmetikprodukte spezialisiert sei, koste Clariant zwar eine Stange Geld. Aber sie arbeite auch hochrentabel.
Von der Ertragskraft dieser Firma sind auch die Analytiker der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley angetan. Allerdings gaben sie im vergangenen Januar in einer Studie zum europäischen Chemiesektor zu bedenken, dass Clariant nicht immun gegen die schwache Konjunkturlage sei. Wie die meisten Branchenbeobachter beurteilen sie die diesjährigen Geschäftsaussichten für weite Teile der Chemieindustrie mit grosser Zurückhaltung. «Der Sektor ist noch nicht aus dem Gröbsten heraus», schrieben sie.
Chemiefirmen würden weiterhin auf zu hohen Beständen an produzierten Waren sitzen. Hinzu kämen strukturelle Herausforderungen wegen der hohen Energiekosten in Europa. Es brauche, so sind die Analytiker überzeugt, eine weitere Redimensionierung der Branche.
Umstrittene Sabic-Vertreter im Verwaltungsrat
Das widrige Umfeld lastet auf der Kursentwicklung der meisten europäischen Chemieaktien. So sind beispielsweise die Titel von Lanxess seit Jahresbeginn um weitere 17 Prozent und jene von Evonik um knapp 8 Prozent gefallen. Clariant macht indes neben der schwachen Konjunktur noch ein weiterer Faktor zu schaffen. Investoren rätseln seit langem darüber, welche Absichten der Hauptaktionär Sabic verfolgt. «Es besteht diesbezüglich ein gewisses strategisches Vakuum», sagt Philipp Gamper von der ZKB.
Der Petrochemiefirma aus Saudiarabien, die 31,5 Prozent des Kapitals von Clariant kontrolliert, wird nachgesagt, sie habe wenige Ideen. Manche Investoren zweifeln zudem die Qualitäten ihrer vier Vertreter im elfköpfigen Clariant-Verwaltungsrat an. Sabic habe lediglich Personen der zweiten Garde entsandt, und diese würden vor allem ihre Zeit absitzen, meint derselbe Insider, der auch die angeblich schlechte Stimmung in der Belegschaft des Konzerns anprangert.
Tatsächlich weist niemand aus dem Quartett der Sabic-Vertreter ein wirklich hochkarätiges Profil auf. Laut den Lebensläufen, die sich auf der Website von Clariant finden lassen, amtete beispielsweise keiner von ihnen je als CEO eines globalen Grossunternehmens. Auch fehlen Verwaltungsratsmandate bei bekannten anderen internationalen Konzernen.
All dies könnte man dahingehend interpretieren, dass Sabic kein grosses Interesse mehr für Clariant aufbringt. Erstaunlich wäre dies nicht, denn der Wertzerfall des Unternehmens hat den Investor aus Saudiarabien besonders empfindlich getroffen. Sabic war vor sechs Jahren zu Kursen um 30 Franken bei Clariant eingestiegen. Am Mittwoch notierten die Valoren nur noch bei rund 11 Franken.