Seit Tagen kursieren Gerüchte über eine baldige temporäre Waffenruhe in Gaza. Nun hat der Hamas-Chef Ismail Haniya einer Feuerpause eine vorläufige Absage erteilt. Offenbar sind sich Palästinenser und Israeli immer noch nicht einig.
Das Hotel Coral-Beach ist ein etwas heruntergekommener Bau am Strand des Mittelmeeres, im äussersten Westen von Beirut. Normalerweise verbringen hier meist sunnitische Libanesen den Nachmittag an einem leicht verwitterten Pool. Doch heute hat die Hamas-nahe Al-Kuds-Stiftung den Ballsaal des Hotels gemietet, um darin ihre Jerusalem-Konferenz zu veranstalten.
Palästinensische Funktionäre, religiöse Würdenträger, Botschafter und Journalisten sind gekommen und hören schweigend zu, wie der Chef der Stiftung über das Schicksal der Palästinenser referiert und schwarz-weisse Filmaufnahmen vom Jerusalem des Jahres 1948 zeigt. Doch die meisten Anwesenden sind weniger an einer Geschichtsstunde interessiert als an der Rede von Ismail Haniya.
Der oberste Hamas-Chef werde gleich aus Katar via Videoschaltung sprechen, heisst es. Nun warten alle darauf, ob Haniya wohl etwas Neues zu den Verhandlungen mit Israel zu verkünden hat. Seit Wochen versuchen Amerikaner, Katarer und Ägypter in Paris und Doha die beiden Kriegsparteien in Gaza zu einer Feuerpause zu bewegen. Bisher allerdings umsonst.
Der Optimismus ist offenbar verfrüht
Am Montag hatte Joe Biden die Gerüchteküche nochmals ordentlich angeheizt, als er beim Besuch eines Eiscrème-Shops in New York beinahe nonchalant sagte, er rechne bereits in der kommenden Woche mit einer Feuerpause. Doch so weit ist es offenbar nicht. Als Haniya endlich vor die Kamera tritt und nach den üblichen Glaubensbekenntnissen loslegt, stellt er schnell klar, dass die Freude über eine mögliche Waffenruhe verfrüht ist.
«Wir zeigen in den Verhandlungen durchaus Flexibilität», sagt der Hamas-Chef. «Trotzdem werden wir vorerst weiterkämpfen.» Konkret wird er jedoch nicht. Das passt zur derzeit vagen Kommunikation der Hamas. So versandte die Terrororganisation bereits am Sonntag eine Mitteilung, in der sie bloss schrieb, aller Optimismus bezüglich einer Waffenruhe wäre verfrüht.
Das Hamas-Kadermitglied Bassam Naim soll dies der Nachrichtenagentur Reuters auf Nachfrage ebenfalls bestätigt haben. Ähnlich zurückhaltend geben sich auch die Israeli. Zwar sind beide Seiten einer Pause während des in einer Woche beginnenden muslimischen Fastenmonats Ramadan nicht abgeneigt. Die Positionen der Kriegsparteien liegen offenbar aber nach wie vor weit auseinander.
Israel schlägt eine sechswöchige Feuerpause vor
So soll Israel zuletzt einen Vorschlag übermittelt haben, der eine sechswöchige Kampfpause vorsieht. In diesem Zeitraum würden dann 40 israelische Geiseln gegen 400 palästinensische Gefangene ausgetauscht werden, berichtete der katarische Sender al-Jazeera. Zudem sollen die Hilfslieferungen für Gaza erhöht und die zerstörten Bäckereien im Küstenstreifen wieder in Betrieb genommen werden.
Eine Antwort der Hamas steht noch aus. Ihre Vertreter haben aber klargemacht, dass sie sich eine dauerhafte Waffenruhe wünschen – und nicht bloss eine Kampfpause. Allerdings ist unklar, wie sehr die Islamisten mit einer Stimme sprechen. So soll der Gaza-Chef Yahya Sinwar laut der britischen Tageszeitung «Guardian» zu Konzessionen bereit sein. Der Hauptverantwortliche des Massakers am 7. Oktober steht mit dem Rücken zur Wand und könnte eine Kampfpause gut gebrauchen.
Die Exilführung in Doha hingegen hat langfristigere Ziele. Derzeit laufen Diskussionen über die Zukunft Gazas. Manche hochrangigen Hamas-Mitglieder hoffen offenbar, zumindest indirekt ein Wort mitreden zu dürfen. Haniyas Vizepräsident Musa Abu Marzuk, der zurzeit gerade in Moskau Gespräche mit der Fatah führt, liess immer wieder verlauten, dass er einem Kompromiss mit der von Palästinenserpräsident Abbas geführten Konkurrenz nicht abgeneigt wäre.
Die Hamas will den Druck erhöhen
Der Hamas-Führer von Beirut hingegen, Usama Hamdan, tat Spekulationen über interne Zwistigkeiten unlängst jedoch als Propaganda ab. Auch Haniya geht nicht weiter auf das Thema ein. Stattdessen ruft er alle Palästinenser in Jerusalem und im Westjordanland dazu auf, zu Beginn des Ramadans zur Al-Aksa-Moschee zu marschieren und dort zu beten. Damit will er womöglich den Druck auf Israel erhöhen.
Von den benachbarten Araberstaaten verlangt er zudem mehr Unterstützung. Doch die sind dazu nicht bereit. Zwar hält der libanesische Hizbullah-Vertreter Mahmoud Kmati im Anschluss an Haniya ein Plädoyer für die Palästinenser. Vor einem grossen Krieg schreckt seine mächtige, von Iran unterstützte Miliz jedoch zurück. Man bekämpfe Israel bereits jetzt von Libanon aus und werde das weiter tun, bis in Gaza eine Waffenruhe herrsche, sagt Kmati.
Der Hamas bleibt deshalb nichts anderes übrig, als alleine weiterzumachen. Und während Haniya noch über die Bedeutung von Jerusalem referiert, verbreitet seine Presseabteilung auch schon die nächste Eilmeldung. Eine Einheit der Kassam-Brigaden habe von Libanon aus gerade 40 Raketen auf Israel abgeschossen, heisst es darin.