Alexander der Grosse gibt zu reden: Liebte der Herrscher des antiken Weltreichs Männer? Eine neue Netflix-Doku sagt ja. Griechische Politiker verlangen, der Staat solle gegen die Produktion vorgehen.
Lina Mendoni ist empört: Das sei historisch falsch, sagt sie, «von extrem schlechter Qualität» und «inhaltsleer». Der Ärger der griechischen Kulturministerin ist gross. Er gilt der neuen Produktion über Alexander den Grossen, die seit kurzem bei Netflix gestreamt werden kann. Ein Film über den antiken Feldherrn, der nach der Ermordung seines Vaters als junger Mann die Herrschaft über Makedonien antrat und den kleinen Staat im südlichen Balkan durch Eroberungen zum Kern eines Weltreichs machte, das von Griechenland bis zum Hindukusch reichte.
«Alexander: The Making of a God» ist ein Dokudrama. Geschichte wird in fiktiven Spielszenen erzählt, dazwischen kommentieren Experten das Geschehen. Das ist historisch seriös, vor allem aber filmisch süffig aufbereitet, mit melodramatischen Inszenierungen. Diese stören Mendoni allerdings nicht. Als falsch und ärgerlich empfindet sie, dass Alexanders Verhältnis zu seinem Jugendfreund Hephaistion als homosexuelle Beziehung dargestellt wird.
Das tut der Film klar. In einer der ersten Szenen: goldene Abendsonne. Alexander schwimmt in einem idyllischen Weiher, am Ufer wachsen Palmen. Er taucht aus dem Wasser auf, nähert sich Hephaistion, küsst ihn. Auf die Schultern, auf den Mund, sie streicheln sich. Ein zärtliches Liebesspiel, das erst unterbrochen wird, als die beiden von einem Gefährten scherzend zur Pflicht gerufen werden: Der König wartet. Da sollte man nicht unbekleidet erscheinen.
Das sei absolut inakzeptabel, findet Dimitris Natsios, der Vorsitzende der kleinen Rechtspartei Niki. Im Parlament fragte er an, ob die Regierung bereit sei, gegen diese Geschichtsklitterung vorzugehen. Schliesslich vermittle die Serie den Eindruck, Homosexualität sei in der Antike völlig normal gewesen. Das, so Natsios, sei bedauerlich und entspreche nicht den historischen Tatsachen.
«Frei erfunden»
Auch die konservative Athener Tageszeitung «Elephtheros Typos» kritisierte die Netflix-Serie in einem Kommentar. Der Film verfolge eine politische Agenda, schrieb sie, und setze fort, was Oliver Stone mit dem Film «Alexander» (2004) begonnen habe: eine Propagandakampagne für Homosexualität. Bereits gegen Stones Film gab es in Griechenland Proteste. Anwälte drohten der Produktionsfirma Warner Bros. mit einer Klage, wenn nicht im Vorspann darauf hingewiesen werde, dass die Sache mit Alexanders Homosexualität «frei erfunden» sei.
Zur Klage kam es nie, der Film geriet etwas in Vergessenheit. Bis jetzt. Die politische Stimmung in Griechenland war ohnehin schon aufgeheizt. Die Netflix-Proteste fallen zusammen mit einer öffentlichen Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe. Mitte Februar hatte das griechische Parlament ein entsprechendes Gesetz gutgeheissen, gegen den Widerstand der konservativen Parteien. Dass einer der grossen Helden der Vergangenheit homosexuell gewesen sein soll, wurde von diesen als Ausdruck einer tendenziösen Geschichtsschreibung kritisiert.
Lina Mendoni machte klar, dass es von Staates wegen keine Interventionen geben werde. Sie lehne den Film zwar ab, sagte sie, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass die Dinge nicht so eindeutig seien, wie die Kritiker sie sähen. Der Begriff der Liebe sei in der Antike weit gefasst gewesen. Man könne Menschen, die vor über zweitausend Jahren gelebt hätten, nicht nach den Massstäben und Normen unserer Zeit beurteilen. Allerdings gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Alexanders Beziehung zu Hephaistion mehr gewesen sei als eine Freundschaft.
Wie sie darauf kommt, sagte Mendoni nicht. Die antiken Quellen jedenfalls zeigen ziemlich deutlich, dass die Beziehungen der jungen Männer am makedonischen Hof homoerotischer Natur waren, vor allem die von Alexander zu Hephaistion. Das ist nicht weiter verwunderlich. Homosexualität war in der griechischen Antike kein Tabu, sondern mehr oder weniger selbstverständlich. So selbstverständlich, dass es nicht einmal ein Wort für Homosexualität gab, worauf in der Netflix-Produktion hingewiesen wird. Liebe war einfach «Eros», ob sie sich zwischen gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Partnern abspielte, tat nicht viel zur Sache.
Die Liebe seines Lebens
Beziehungen zwischen älteren Herren und jungen Männern waren in Athen seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. üblich. In zahlreichen Gedichten aus der Zeit wird die Schönheit von Jünglingen besungen, Bilder auf Trinkschalen zeigen ältere Männer, die ihre jugendlichen Liebhaber mit Geschenken umwerben: einem besonders schönen Hahn zum Beispiel, oder einem Hasen. In der besseren Gesellschaft galt das Verhältnis zwischen einem älteren Liebhaber und einem jungen Geliebten als wichtige Etappe auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Die Liebhaber hatten daneben in den meisten Fällen eine Frau und Kinder.
Auch ganz am Anfang der griechischen Literatur steht eine Beziehung, deren homoerotische Grundierung eigentlich ins Auge springt: In der «Ilias» werden Achilleus und Patroklos als Paar gezeichnet. Nicht explizit, aber eindeutig. Ihr inniges, zärtliches Verhältnis geht über Freundschaft weit hinaus. Platon bezeichnet sie als Liebespaar, und ihr Verhältnis spiegelt sich auch in der Beziehung Alexanders des Grossen zu Hephaistion.
Hephaistion war Alexanders engster Vertrauter. Er war für Alexander wohl, wie eine der Expertinnen im Netflix-Film es ausdrückt, die Liebe seines Lebens. Alexanders Heirat mit der persischen Prinzessin Roxane änderte daran nichts. Hephaistion starb früh, und nach seinem Tod soll der König ausser sich gewesen sein vor Trauer. Er liess den Arzt kreuzigen, der ihn behandelt hatte, und richtete eine monumentale Begräbnisfeier aus, die sich an den Trauerriten orientierte, mit denen Achilleus in der «Ilias» Patroklos ehrt.
War Alexander der Grosse also schwul? Oder bisexuell? Alles spricht dafür. Anhaltspunkte gibt es jedenfalls genug, entgegen dem, was Lina Mendoni sagt. Und er war damit in seiner Zeit keine Ausnahme. Beziehungen zu Männern und Frauen zu haben, auch sexuelle, war durchaus üblich, zumindest für Männer. Was Liebe und Sex betrifft, dachte man im antiken Griechenland nicht in den engen Kategorien, die sich in späteren Jahrhunderten unter dem Einfluss des Christentums etablierten. In diesem Punkt hat die griechische Kulturministerin recht: Der Begriff der Liebe war in der Antike weit gefasst.