Der Schweizer Fussballmeister scheitert im Cup-Viertelfinal am FC Sion, eine seltsame Stagnation erfasst die Berner. Sie könnten sich ein Vorbild nehmen am FC Bayern und an Worten des Münchner Trainers Thomas Tuchel.
Da ist eine Mannschaft zum Erliegen gekommen. Am Donnerstagabend schied der Schweizer Meister und Super-League-Leader YB gegen den unterklassigen FC Sion aus dem Cup-Wettbewerb aus – 1:2-Niederlage.
Am Sonntag hatten die Berner schon das Meisterschaftsspiel gegen Servette verloren, 0:1. Zuvor waren sie nach einem 1:1 und einem 1:3 gegen Sporting Lissabon aus der Europa League ausgeschieden. Und zwischen diesen Spielen hatten sie immerhin das Super-League-Schlusslicht Stade Lausanne-Ouchy besiegt, mit dem Minimalresultat von 1:0.
Fünf Spiele, nie mehr als ein Tor.
Es ist Wasser auf die Mühlen dieser Leute, die nicht verstehen, warum es Ende Januar zur unschönen Trennungsgeschichte vom mehrfachen Torschützenkönig Jean-Pierre Nsame gekommen ist. Auch in dieser Super-League-Saison traf Nsame in jedem zweiten Spiel und alle 116 Minuten.
Bleibt Wicky? Das Zögern wirkt zunehmend wie ein Misstrauensvotum
Worum es für die Berner Fussballer in dieser Saison noch geht: um den Meistertitel, gewiss, den sechsten innert sieben Saisons, der Vorsprung vor Servette beträgt noch vier Punkte. Aber auch: darum, eine weitere unschöne Trennungsgeschichte zu vermeiden, vom Trainer Raphael Wicky.
Ein öffentliches Zerwürfnis würde niemandem gerecht, den Young Boys nicht, die seit mehreren Jahren für so viele souveräne und nachvollziehbare Entscheidungen stehen – und Wicky nicht, der dem Klub seit dem Amtsantritt im Sommer 2022 so viele Erfolge gebracht hat: den Meistertitel und den Cup-Sieg 2023, den Einzug in die Champions League, den dritten Gruppenrang in ebendieser Champions League, was mit der Qualifikation für die Europa League verbunden war.
Alles ziemlich gut, und doch scheinen sich YB und Wicky gegenseitig nicht zu genügen. Der Trainer-Vertrag läuft Ende Saison aus, es ist ungewöhnlich, dass drei Monate vorher keine Klarheit herrscht, wie es weitergeht. Und je länger diese Gewissheit fehlt, desto dringender ist dieser Zustand als Misstrauensvotum zu werten – wobei niemand dem Irrglauben verfallen sollte, das Misstrauen sei einseitig.
Vielleicht möchte Wicky gar nicht unter allen Umständen in Bern bleiben; und es ist kaum so, dass Wicky zum Schluss kommt, er sei alleinverantwortlich für diesen seltsamen Stillstand. Kaum jemals in den letzten Jahren ereilte einen Super-League-Leader mitten in der Saison so viel Stagnation.
Mit fünf Abgängen gingen auch 19 Meistertitel verloren
Ist Wicky alleinverantwortlich dafür? «Die Erwartungen der Führung sind sehr hoch», sagte der Sportchef Steve von Bergen im Sommer 2023. YB dürfe «keine Wohlfühloase» sein, sagte der frühere Sportchef und heutige Verwaltungsrat und Mitbesitzer Christoph Spycher vor einem Monat. Es ist eine unerbittliche Haltung, die einen Trainer vor Probleme stellt, wenn er innert gut sieben Monaten mehrere Leader- und Identifikationsfiguren verliert. Im Sommer gingen: Christian Fassnacht, fünf Meistertitel mit YB; Cédric Zesiger, drei Meistertitel; Fabian Rieder, zwei Meistertitel. Zuletzt im Winter: Nsame, fünf Meistertitel; Ulisses Garcia, vier Meistertitel.
Zudem fehlen seit einiger Zeit verletzt: Loris Benito, drei Meistertitel mit YB; Filip Ugrinic, ein Meistertitel. Benito und Ugrinic zählten zu den besten YB-Spielern der Saison, Ugrinic verletzte sich beim erfolgreichen Torschuss im ersten Spiel gegen Sporting Lissabon – mit diesem Goal hörte YB quasi auf, mehr als einmal zu treffen pro Spiel.
Aber die YB-Chefs werden die Problematik kaum nur in diesen Absenzen sehen, sonst hätten sie Wicky längst zu einer Vertragsverlängerung eingeladen. So weit kam es nicht, weil sie ähnliche Vorbehalte hegen dürften wie diverse Medien und Fans: dass Wicky zu wenig attraktiv spielen lasse, zu mutlos, mit zu wenigen Rotationen. Was sogleich die Frage aufwirft, ob YB all diese Erfolge auch gehabt hätte, wenn Wicky attraktiveren Fussball verordnet hätte, mehr Mut, mehr Rotationen.
Wicky sagte: «Es kommen viele Sachen zusammen» – aber auch neben dem Platz
Mut, mehr Mut, viel Mut würden zumindest die Verantwortlichen zeigen, wenn sie es zur Trennung von einem lange Zeit erfolgreichen Trainer kommen liessen. «Es kommen viele Sachen zusammen», sagte Wicky am Donnerstagabend auf SRF und sprach von Unsauberkeiten, von falschen Entscheidungen, von Hektik – und meinte damit das Geschehen auf dem Platz.
Doch wer weiss, was sonst noch dazukommt – wie sehr die offene Vertragsfrage den Trainer zumindest nicht stärkt, nach aussen und innen. Schon werden sogar Forderungen laut, Wicky per sofort zu entlassen. Bloss: Was ist die richtige Entscheidung? Was wäre falsch? Wäre es Hektik, wenn sich YB noch vor Saisonende von Wicky trennen würde? Aber darüber hinaus: Was ist mit dem auslaufenden Vertrag des langjährigen Captains Fabian Lustenberger? Wie liesse sich Lustenberger wirksam ersetzen, nachdem mit Fassnacht, Nsame oder Rieder schon so viel YB-Identität verlorengegangen ist?
Und: Wer soll nächste Saison das YB-Tor hüten: der Führungsspieler David von Ballmoos, der ambitionierte Anthony Racioppi oder der talentierte Marvin Keller, derzeit nach Winterthur ausgeliehen? Oder auch, längerfristig: Wer füllt dereinst die Lücke von Gérard Castella, als Ausbildungschef eine wichtige Figur im Hintergrund, aber bald 71 Jahre alt und nicht mehr ewiglich diese grosse Stütze, die er für Spycher seit ehedem ist?
Es kommen viele Sachen zusammen, viele Fragen, und womöglich wäre es nicht schlecht, allmählich die ersten Antworten zusammenzutragen.
Der FC Bayern gab vor anderthalb Wochen, nach drei Niederlagen in Serie, die Trennung vom Trainer Thomas Tuchel per Saisonende bekannt. «Klarheit bringt Freiheit», sagte Tuchel darauf, und das nächste Spiel gewannen die Bayern.
Vielleicht braucht YB nicht gleich den Trainer zu entlassen, um dem Stillstand zu entkommen – sondern einfach Klarheit zu schaffen.