Sie zeichnen, schreiben und musizieren: Die Automaten von Pierre Jaquet-Droz haben ein komplexes, aber unsichtbares Innenleben. Seit 250 Jahren verrichten sie zuverlässig ihr Werk.
In den Registern der Universität Basel findet sich unter dem Datum 7. Januar 1738 der Name des 1721 geborenen Studenten Pierre Jaquet-Droz aus La Chaux-de-Fonds. Als ihn sein Vater, über den man nicht viel weiss, zum Studium der Theologie nach Basel schickte, war Pierre gerade einmal siebzehn Jahre alt. Das war damals kein unübliches Alter für Studienanfänger.
Man geht davon aus, dass er dem aus den Niederlanden stammenden Physiker und Mathematiker Daniel Bernoulli als Assistent diente. Das Studium beendete er allerdings nicht. Statt Geistlicher zu werden, kehrte er 1740 nach La Chaux-de-Fonds zurück, wo er sich zum Uhrmacher ausbilden liess. Als solcher machte er schon wenige Jahre später von sich reden, als der Gouverneur von Neuenburg in einem seiner Jagdschlösser auf die kunstvoll ausgeführten Standuhren aus Jaquet-Droz’ Werkstatt aufmerksam wurde.
1750 heiratete Jaquet-Droz die Tochter von Abraham Louis Sandoz-Gendre, Hersteller kunstvoller Holzgehäuse, mit denen das komplizierte Innenleben der Uhren kaschiert wurde, die auf diese Weise ihr Geheimnis nicht auf Anhieb preisgaben. Von den drei gemeinsamen Kindern des Paars überlebte lediglich der Sohn Henri-Louis, der später gemeinsam mit dem Vater und dem einstigen Lehrling Jean-Frédéric Leschot das Unternehmen Jaquet-Droz zur Blüte bringen sollte.
Mit der Herstellung von phantasievollen Stand- und Tischuhren, Pendülen, Tabaksdosen und goldenen Käfigen mit trillernden mechanischen Vögeln sicherte sich das erfolgreiche Unternehmen eine äusserst solide Geschäftsgrundlage. Dessen Ruf drang bis nach Spanien, so dass man eines Tages die empfindlichen Uhrwerke in Spezialkutschen verlud, um die schönsten Exemplare unter anderem dem spanischen König zu präsentieren. Dieser liess sich an mehreren Abenden die Spieluhren vorführen und entschädigte Jaquet-Droz mit 2000 Golddukaten.
Menschenähnliche Automaten
Es waren jedoch drei Androiden, die Jaquet-Droz’ zu nachhaltigem Ruhm verhalfen. Die weitverbreitete Begeisterung für Maschinen hatte der spätere Uhrmacher wohl schon als Student in Basel kennengelernt. Dort gehörte es zu den Aufgaben seines Lehrers Daniel Bernoulli, die von fahrenden Künstlern öffentlich präsentierten Automaten zu begutachten. Man nimmt an, dass der junge Jaquet-Droz ihn bei solchen Untersuchungen begleitete.
Auch von den Automaten des 1709 geborenen Ingenieurs und Erfinders Jacques de Vaucanson hatte er sicher gehört. Dessen legendäre mechanische Ente von 1738, die sich aus vierhundert beweglichen Einzelteilen zusammensetzte, hatte in ganz Europa Aufsehen erregt. Sie konnte nicht nur mit den Flügeln schlagen und schnattern, sondern auch Nahrung zu sich nehmen und diese – scheinbar verdaut – wieder ausscheiden. Durch eine Öffnung liess sich dieser Vorgang sogar beobachten.
1760 fiel Jaquet-Droz vorübergehend in einen Zustand der «Lethargie ohne Schmerzen», wie man es damals nannte und was man heute als Depression bezeichnen würde. Bei dieser Gelegenheit lernte er vermutlich den Arzt Dr. Gagnebin kennen, der ihm später – so wird vermutet – bei der Herstellung der Glieder seiner drei Automaten half. Denn alsbald ging es dem Unternehmen finanziell so gut, dass Jaquet-Droz, sein Sohn Henri-Louis und Jean-Frédéric Leschot sich dem Bau menschlicher Automaten zuwandten.
1774 waren «Der Zeichner» und «Der Schriftsteller» fertiggestellt. Etwas später folgte «Die Musikerin» (oder «Organistin»), die grösste der drei Gestalten, bei der es sich nicht etwa um eine Spieluhr handelte, sondern um eine Figur, die tatsächlich die Tasten einer Miniorgel drückte, die wie eine richtige Orgel mit zwei Bälgen betrieben wurde. Der «Schriftsteller» ist einem etwa vierjährigen Knaben nachempfunden, dessen nackte Waden noch nichts von ihrem Babyspeck verloren haben. Aussergewöhnlich ist an den drei Automaten, dass sich der gesamte Mechanismus wie ein Uhrwerk im Inneren ihrer Körper verbirgt.
Zwar konnte der Schriftsteller-Knabe, anders als die zeitgenössische Werbung glauben machen wollte, nicht jedes beliebige Diktat aufnehmen. Er war lediglich imstande, einen vorher programmierten Text von bis zu vierzig Zeichen oder Buchstaben wiederzugeben. Doch konnten diese Texte über einen Mechanismus nach Belieben neu codiert werden. Abhängig davon, wo und wem der schreibende Knabe vorgeführt werden sollte, konnte man das, was die Tinte zu Papier bringen sollte, neu definieren.
Die falsche Zeichnung für die Königin
Ähnlich verhielt es sich mit dem «Zeichner», der äusserlich vom «Schriftsteller» kaum zu unterscheiden war. Er besass allerdings die Fähigkeit, den Grafitstaub, der beim Zeichnen entstand, von seiner Zeichnung wegzublasen, damit diese nicht unbeabsichtigt verwischt wurde. Auch ihn konnte man beliebig oft mit neuen Zeichnungen füttern, was allerdings zu heiklen Situationen führen konnte, wie es zumindest einmal geschah.
Als Leschot während eines längeren Paris-Aufenthalts mit dem «Zeichner» vor der Königin Marie-Antoinette auftrat und ihn aufforderte, etwas für die Regentin zu zeichnen, verwechselte der Uhrmacher die Nocken. Statt wie vorgesehen den Kopf von Marie-Antoinettes Gemahl Ludwig XVI. zu skizzieren, zeichnete der Automat einen schafsköpfigen Hund und versah die Zeichnung mit der Bildlegende «Mon Toutou» – mein Hündchen. Marie-Antoinettes Reaktion auf diesen Fehlgriff ist nicht überliefert.
Vielleicht interessierte sich Marie-Antoinette, die geübte Cembalo- und Harfenspielerin, die in Wien von keinem Geringeren als Christoph Willibald Gluck auch Gesangsunterricht erhalten hatte, aber einfach mehr für die erwachsene «Musikerin» als für zwei pausbäckige Knaben. Fünf Stücke konnte sie spielen, die eigens für sie komponiert worden waren – vermutlich von Jaquet-Droz persönlich.
Die Musikerin war ihres komplexen, umfangreichen Innenlebens wegen deutlich grösser als ihre beiden Begleiter an den Schreib- und Zeichenpulten, und im Gegensatz zu diesen, die zwar wie sie sowohl ihre Hände als auch ihre Augen bewegen konnten, hob und senkte sich auch ihre Brust wie die eines richtigen Menschen. Sie schien zu atmen. Stellte man die drei Figuren gemeinsam auf – was meist der Fall war –, thronte sie stets in der Mitte, eine Königin an der Königin der Instrumente.
Ärger mit dem Absinth
Ein ähnliches Missgeschick wie damals in Marie-Antoinettes Gegenwart blieb François Mitterrand erspart, als er 1983 bei seiner dreitägigen Staatsvisite in der Schweiz nach Neuenburg kam und dort auch das Musée d’art et d’histoire und die drei Automaten besuchen wollte. Der kleine Schreiber war zwar darauf vorbereitet, eine Grussadresse zu schreiben, doch kam es aus Zeitmangel nicht zu einer Begegnung.
Für Ärger sorgte nicht die fehlerhafte Bedienung des Androiden wie damals bei Marie-Antoinette, sondern die Gastronomie. Im luxuriösen Hôtel Du Peyrou, einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert, sollte Mitterrand ein Soufflé glacé à la fée verte serviert werden – mit anderen Worten ein Dessert, das Absinth enthielt. Doch der war damals – und noch bis 2008 – in der Schweiz verboten.
Damit handelte sich der Gastronom eine Razzia sowie eine Klage ein. Als er zu Protokoll gab, das Soufflé statt mit Absinth lediglich mit Anisschnaps zubereitet zu haben, brummte ihm die Untersuchungsrichterin vier Tage Freiheitsentzug auf Bewährung auf, diesmal wegen Betrugs. Denn er habe seine Nachspeise falsch deklariert. Der Beklagte ging in Berufung und wurde zwei Jahre später freigesprochen.
Übrigens hatte der französische Präsident von dem Soufflé gar nicht gekostet. Da er seine Siesta halten wollte, befand er sich bereits im Helikopter nach Bern, als das Dessert in Neuenburg aufgetragen wurde. Jahre später soll er in der Schweiz nachgefragt haben, wie die Absinthgeschichte ausgegangen sei.
Jedenfalls hat François Mitterrand die drei Gestalten im Musée d’art et d’histoire in Neuenburg nie zu Gesicht bekommen. Die Schwelle des Museums hat er nicht überschritten. Auch ist nicht bekannt, welchen Text man dem mechanischen Schriftsteller für den Staatschef zu schreiben aufgab.
Wir wissen nicht, was die Menschen, die dieser denkwürdigen Dreifaltigkeit zum ersten Mal ansichtig wurden, empfanden. Bewunderung für die Konstrukteure? Gewiss. Nur Bewunderung? Mischte sich darunter nicht auch Angst vor dem, was sie da sahen? Wurden ihnen hier bessere Zeiten prophezeit? Würden Maschinen wie diese eines Tages die schweren Arbeiten übernehmen, die bisher Kindern, Frauen und Männern aufgebürdet wurden? Brach eine Maschine unter der Last dieser Arbeit zusammen, liess sie sich, anders als der Mensch, reparieren.
«Den historischen Zeitpunkt auszumachen, an dem ein Rechner die Stufe der Vernunft erreicht, ist ebenso schwer, wie jenen Moment herauszufinden, mit dem der Affe sich in den Menschen verwandelt», heisst es in Stanislaw Lems «Also sprach der Golem». Ein Automat wie «Der Schreiber» ist noch nicht einmal ein Affe. Von ihm konnte keine Gefahr ausgehen.
Der Schriftsteller Alain Claude Sulzer lebt in Basel. Er hat den vorliegenden Text im Rahmen des Festivals Interfinity 2024 in Basel geschrieben, das noch bis am 21. März dauert.