Unsere Leserin entsaftet gerne und regelmässig Gemüse. Ein Toxikologe erklärt, welche wertvollen Inhaltsstoffe dabei verlorengehen – und welche schädlichen entstehen.
Leserfrage: Ich nutze meinen Entsafter gern und intensiv. Aber wie sieht es mit dem gesundheitlichen Nutzen von Gemüsesäften aus?
«Fünf am Tag» lautet eine der wichtigsten Regeln der Ernährungsmedizin. Gemeint sind damit die empfohlenen fünf Portionen Gemüse und Obst pro Tag. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) präzisiert: Eine Portion entspricht etwa 120 Gramm, drei davon sollten über Gemüse und zwei über Obst abgedeckt werden – am besten so bunt gemischt wie möglich.
Im Alltag aber tun sich viele schwer damit, auf solche Mengen zu kommen. Entsprechend verlockend ist es, die eine oder andere Portion einfach durch Saft zu ersetzen.
Wertvolle Pflanzenfasern fehlen
Aber geht diese Rechnung auf? Gerd Hamscher, Professor für Lebensmittelchemie und Lebensmittelbiotechnologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen, schüttelt den Kopf – und rät zum Blick auf das, was im Entsafter verbleibt. «Die Pflanzenreste dort wären wertvoll für den Körper gewesen», sagt er, «doch statt des Gesamtpakets nimmt man nur den Zellsaft zu sich.» Da stecke zwar viel drin, aber anderes gehe verloren. Zum Beispiel die ballaststoffreichen Pflanzenfasern: Sie verlangsamen die Verdauung, fördern die Sättigung und unterstützen unsere Darmbakterien.
«Weil Säfte nicht gekaut werden, gelangen sie viel schneller in den Darm als verzehrte Nahrung», erklärt der Experte. Das kann gerade bei zuckerreichen Gemüsesorten wie Karotten den Blutzuckerspiegel rasch in die Höhe schnellen lassen.
Reichlich Zucker und Salz
Vorsicht ist vor allem bei Säften aus dem Supermarkt geboten. Analysen, etwa vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart, zeigen: Manche Gemüsesäfte enthalten ähnlich viel Zucker wie Fruchtsäfte. Spitzenreiter sind Karottensaft, dem gerne Honig zugesetzt wird, und Rote-Beete-Saft, der von Natur aus bis zu 80 Gramm Zucker pro Liter enthält.
Tomatensaft, Gemüsemischsaft oder Sauerkrautsaft hingegen sind oft zu salzig: Schon ein Glas kann kräftig an der von der WHO empfohlenen Grenze zum Salzkonsum kratzen. Diese liegt bei 5 Gramm täglich. Hamscher rät deshalb zu einem kritischen Blick auf Zutatenlisten und Nährwerttabellen. Ein Nachteil aber bleibt bei Fertigprodukten so oder so: «Säfte aus dem Supermarkt werden erhitzt, wodurch wertvolle Vitamine verlorengehen.»
Schädliches Nitrit entsteht
Besser ist es, Gemüse zu Hause selbst zu entsaften und rasch zu verzehren oder zumindest zu kühlen. Aber Vorsicht vor dem Saft aus dem Innenraum der Pflanzenzelle, der beim Entsaften austritt: «Zellsaft ist eine biologisch hochaktive Flüssigkeit», warnt Hamscher. Enthaltenes Nitrat etwa kann schnell in schädliches Nitrit umgewandelt werden, das den Sauerstofftransport im Blut hemmt und zur Bildung krebserregender Stoffe beitragen kann.
Überhaupt sind hohe Nitratwerte in Blattgemüse wie Spinat, Mangold, Grünkohl, Feldsalat oder Rucola ein Problem, weil sie auch im Körper in Nitrit umgewandelt werden. Und wer Gemüse trinkt statt isst, nimmt schnell grössere Mengen zu sich. Schon 100 Gramm gepresster Spinat können bis zu 350 Milligramm Nitrat enthalten – mehr als die empfohlene Tagesdosis für eine 70-Kilogramm-Person.
Nicht alle Pflanzenstoffe sind gesund
Theoretisch kann man von Spargel bis Kartoffel alles entsaften. Praktisch aber ist es oft sinnvoller, Gemüse zu erhitzen oder roh zu essen. Ein Beispiel dafür ist Selleriesaft, der es in den USA als angebliches Wundermittel für die Gesundheit zu einigem Ruhm gebracht hat.
Tatsächlich enthält Sellerie zwar viele Nährstoffe, aber auch Furocumarine. Das sind phototoxische Stoffe, die die Sonnenempfindlichkeit der Haut erhöhen. Auch beim Pressen roher Kartoffeln ist Vorsicht geboten: Sie können giftiges Solanin enthalten. «Nicht alle sekundären Pflanzenstoffe sind per se gesund», konstatiert der Experte.
Nüsse statt Saft?
Die SGE kommt zu folgendem Schluss: «Pro Tag kann eine Portion Obst oder Gemüse durch 200 Milliliter ungezuckerten Frucht- oder Gemüsesaft ersetzt werden.» Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt sich deutlich zurückhaltender, empfiehlt Gemüsesaft nur «hin und wieder». Auch Hamscher rät eher zum Kauen als zum Trinken und betont: «Ein vollwertiger Ersatz für eine Portion Gemüse ist Saft nicht.»
Wer sich schwertut mit «Fünf am Tag», ist aber mit einem anderen Tipp der DGE vielleicht besser bedient: Nüsse oder Trockenfrüchte können tatsächlich eine der fünf Portionen ersetzen – die Portionsgrösse beträgt wegen des höheren Kaloriengehalts dann allerdings nur 25 Gramm.