Eine Ausgliederung aus der Verwaltung dürfte politisch keine Chance haben. Bürgerliche und GLP reagieren empört.
Das Stadtspital Zürich ist mit seiner Organisationsform ein Exot im Schweizer Gesundheitswesen. Die meisten Kantone und Städte haben ihre Spitäler ausgegliedert. Das Stadtspital hingegen ist eine Dienstabteilung der Verwaltung, und das macht die Entscheidungswege träge.
Die Handlungsspielräume des Spitals mit über 4000 Mitarbeitenden sind eingeschränkt. Während das Stadtparlament beispielsweise über die Anschaffung von teuren Geräten entscheidet, sind es anderswo Fachexperten.
Und einen Spitalrat als oberstes Führungsorgan gibt es nicht, stattdessen ist Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) quasi alleiniger Verwaltungsrat. Er hat sowohl die politische als auch die strategische Verantwortung und muss zusammen mit dem Stadtspitaldirektor Marc Widmer auch operative Entscheide treffen. «Das ist nicht mehr zeitgemäss», sagt Hauri.
Der Stadtrat arbeitet deshalb seit Jahren auf eine andere Rechtsform hin. In einem von der linken Ratsmehrheit geforderten Bericht legte die Exekutive letztes Jahr die Optionen dar und was aus ihrer Sicht die beste Organisationsform ist: eine öffentlichrechtliche Anstalt. Die Ausgliederung in eine AG, wie dies andernorts geschehen ist, steht angesichts der rot-grünen Mehrheit im Stadtparlament nicht einmal zur Debatte.
Eine öffentlichrechtliche Anstalt ist eine gängige Organisationsform im Gesundheitswesen. So sind auch das Universitätsspital Zürich und das Kantonsspital Winterthur aufgestellt. Die Vorteile liegen für den Zürcher Stadtrat auf der Hand: kürzere Entscheidungswege, mehr Handlungsspielraum und eine branchenübliche Führungsstruktur, etwa mit einem Spitalrat. Gleichzeitig bleibt das Spital zu 100 Prozent in öffentlicher Hand.
Nun aber zeigt sich: Die Linken wollen von den Plänen des Stadtrats nichts wissen. Sie werden den Bericht im Parlament ablehnend zur Kenntnis nehmen und erteilen einer Umwandlung in eine öffentlichrechtliche Anstalt eine Absage.
Das bedeutet zwar noch nicht das definitive Aus für eine Verselbständigung des Stadtspitals, zumal die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat mit 63 zu 62 Stimmen für die drei linken Parteien SP, Grüne und AL knapp ist. Aber ihr Widerstand ist eine schlechte Ausgangslage für den Stadtrat, wenn er dem Parlament – und später auch dem Stimmvolk – eine mehrheitsfähige Vorlage unterbreiten will.
Angst vor Privatisierung ist «unbegründet»
«Ich bin enttäuscht», sagt Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP). «Das Parteibüchlein hat gesiegt.» Will heissen: Die Linken sind nicht bereit, auch nur einen Hauch politischer Kontrolle aus der Hand zu geben. Das sei eine schlechte Voraussetzung für die Entwicklung des Spitals.
Die Verselbständigung beschäftigt Hauri seit seinem Amtsantritt im Jahr 2018. Da waren die Stadtspitäler Triemli und Waid tief in die roten Zahlen gerutscht, und Hauris Vorgängerin Claudia Nielsen hatte ihre Kandidatur für den Stadtrat zurückgezogen, nachdem sie nicht überzeugend hatte aufzeigen können, wie die Spitäler saniert werden sollten. Mit Hauri kam Bewegung in die Sache, er führte die beiden Spitäler zusammen.
Heute, sagt Hauri, stehe das Stadtspital besser da. Zwar verzeichnete es 2022 einen Verlust Aber man habe sich 2023 wahrscheinlich besser als vergleichbare Zentrumsspitäler entwickelt. Das Spital sei auf gutem Kurs. Doch die starren Strukturen der heutigen Rechtsform machten ihm zu schaffen. «Ein so grosses Spital wie unseres muss auf dem Markt funktionieren, und dafür ist die Verwaltungsstruktur nicht gemacht.»
Für Spitaldirektor Marc Widmer ist es problematisch, dass das Stadtspital sämtliche Regelungen der Verwaltung mittragen müsse und auch deshalb weniger frei agieren könne. Gleichzeitig sei die finanzielle Transparenz mit der heutigen Organisation weniger gegeben als in einer öffentlichrechtlichen Anstalt.
Für den linken Widerstand hat Hauri kein Verständnis. Die Sorge wegen einer drohenden Privatisierung sei unbegründet, sagt er. «Dieses Ziel hatten wir nie.» Hingegen wäre bei einer öffentlichrechtlichen Anstalt der Einfluss des Parlaments strategisch stärker.
GLP: «ideologiegetriebene» Politik der Linken
Auf der linken Ratsseite verfangen diese Argumente nicht. Ein öffentliches Spital solle nicht wie eine Firma agieren, heisst es vonseiten der Grünen. Die AL spricht von einer «fehlgeleiteten Auslagerungsstrategie» des Stadtrats. Die SP behauptet gar, die «bürgerliche Spitalpolitik» gefährde die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
Die SP-Gemeinderätin Marion Schmid sagt, mit einer Ausgliederung des Stadtspitals aus der Verwaltung würde die demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung und des Parlaments stark eingeschränkt. Das dürfe nicht sein: «Wir sind Eigentümer des Spitals und müssen bei relevanten Entscheiden mitreden können.»
Sie befürchtet ausserdem, dass der Kostendruck im Stadtspital bei einer Verselbständigung weiter zunehme, was dann zulasten der Behandlungsqualität und des Personals gehe.
Auch zusätzliche städtische Leistungsaufträge seien potenziell in Gefahr: Heute verteuert die linke Ratsmehrheit den Spitalbetrieb mit Spezialwünschen. So können sich etwa Sans-Papiers, die keine Krankenkasse haben, ambulant oder stationär behandeln lassen. «Mit solchen Projekten kann das Stadtspital eine Vorreiterrolle einnehmen», sagt Schmid dazu. Deshalb sei es gerechtfertigt, dass die Stadt die Mehrkosten dafür übernehme.
Aus Sicht der SP gibt es keinen Grund, an der heutigen Rechtsform etwas zu ändern. Bisher habe es der Stadtrat nicht geschafft, die Vorteile einer anderen Organisation aufzuzeigen. «Die Ausgliederung ist damit vom Tisch. Sollte der Stadtrat in der bestehenden Rechtsform konkreten Handlungsbedarf aufzeigen, sind wir bereit, über einen punktuell erweiterten Handlungsspielraum zu diskutieren.»
Diese Opposition kommt bei den Bürgerlichen, der Mitte-Fraktion und der GLP schlecht an. Die FDP warnt davor, dass ein «dringend notwendiger Schritt» gefährdet sei. Das Stadtspital brauche endlich faire Rahmenbedingungen, damit es in dem immer anspruchsvolleren Umfeld bestehen könne. Die Vorteile einer Verselbständigung würden klar überwiegen.
Besonders scharf geäussert hat sich Stadtrat Hauris Partei, die GLP. Sie bezeichnet die Gesundheitspolitik der Linken als «ideologiegetrieben», und sie erstickte die Diskussion über ein zukunftsfähiges Spital im Keim.
Das Stadtspital sollte einen Beitrag zu einer guten und belastbaren Gesundheitsversorgung in der Stadt leisten, sagt GLP-Gemeinderätin Martina Novak. Dies sei aber schwierig, wenn es weiterhin einen sehr eingeschränkten Handlungsspielraum habe.
«In der Kommission haben wir die Ängste der Linken sehr ernst genommen und versucht aufzuzeigen, dass der Gemeinderat mit einer Ausgliederung sogar mehr Mitspracherecht auf strategischer Ebene hätte, etwa mit der Wahl eines breit abgestützten Spitalrats.» Am Schluss habe man trotzdem auf Granit gebissen.
Der Stadtrat will nun die Debatte im Gemeinderat abwarten. Je nach Ausgang wird dann eine Vorlage zur künftigen Rechtsform ausgearbeitet. Sollte eine Verselbständigung tatsächlich politisch chancenlos sein, steht eine «Dienstabteilung plus» zur Debatte. Diese Mischform soll dem Spital mehr Spielraum bei den finanziellen Kompetenzen oder der Vergabe von Aufträgen verschaffen.
Die FDP-Gemeinderätin Deborah Wettstein sagt, sie habe grosse Zweifel, dass eine «Dienstabteilung plus» einen positiven Effekt haben könnte. «Wir haben dies intensiv abgeklärt, das bringt keine Verbesserung. Was auch nicht erstaunlich ist, da es ja bereits eine passende und etablierte Rechtsform gibt, nämlich die öffentlichrechtliche Anstalt.»
Vor allem aber stünde die Stadt mit dieser Rechtsform wieder als Exot da. Sie würde als Notlösung für ein kleines bisschen mehr Freiheit geschaffen, aber Erfahrungswerte aus andern Städten gibt es nicht. Es wäre ein Kompromiss, zu dem sich die Linken durchringen könnten. Ideal wäre diese Lösung nicht, räumt Gesundheitsvorsteher Hauri ein. Aber immer noch besser als der Status quo.