Mit grenzenloser Brutalität ging Rifaat al-Asad in Syrien gegen Oppositionelle vor. Jetzt wirft ihm die Bundesanwaltschaft Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Vor über vierzig Jahren, im Februar 1982, wird in der syrischen Stadt Hama ein blutiges Massaker verübt: Während fast eines Monats beschiesst die syrische Armee die Stadt mit Artillerie und aus der Luft. Bis zu 40 000 Tote soll es je nach Schätzung gegeben haben. Die meisten von ihnen sind Zivilisten.
Die syrische Armee geht mit grenzenloser Brutalität vor, um einen drohenden Aufstand der Muslimbruderschaft niederzuschlagen. Die islamistische Gruppierung hat zu dieser Zeit in Hama ihre Hochburg. Schon 1980 entkam Syriens Machthaber Hafez al-Asad nur knapp einem von den Muslimbrüdern verübten Attentat.
Der im Jahre 2000 verstorbene Hafez ist der Vater des heutigen Herrschers Bashar al-Asad. Kommandiert wurde der Angriff auf Hama von Rifaat al-Asad, dem ehemaligen Vizepräsidenten von Syrien, Bruder von Hafez – und Onkel von Bashar al-Asad. Einige Jahre später verlässt Rifaat al-Asad Syrien und lebt danach in Frankreich.
Das Massaker liegt über dreissig Jahre zurück, als Rifaat al-Asad Mitte Dezember 2013 in einem Genfer Hotel logiert. Dort wird er entdeckt – von Trial, einer NGO, die sich für die Verfolgung von Kriegsverbrechern einsetzt und die sofort die Bundesanwaltschaft einschaltet. Trial will, dass Asad für seine Verbrechen endlich zur Rechenschaft gezogen wird. In der Schweiz ist die Bundesanwaltschaft seit 2011 für Straftaten gegen die Interessen der Völkergemeinschaft zuständig.
Mehrere Überlebende unter den Klägern
Jetzt hat die Bundesanwaltschaft gegen Rifaat al-Asad Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben, wie sie am Dienstag in einem Communiqué mitteilte. Sie wirft ihm vor, während des Angriffs von 1982 als Befehlshaber der Verteidigungsbrigaden Saraya al-Difaa und des Angriffs Tötungen und Folter angeordnet zu haben. Asad soll ausserdem für unrechtmässige Inhaftierungen und für grausame Behandlungen verantwortlich sein.
Die Bundesanwaltschaft schreibt, Rifaat al-Asad habe 1982 den Befehl erteilt, die Stadt Hama zu durchkämmen und die Einwohnerinnen und Einwohner hinzurichten. Sie stützt sich dabei unter anderem auf Zeugenaussagen. Es existieren aber auch umfangreiche Unterlagen, die die Ereignisse von 1982 und die Rolle Asads dokumentieren sollen.
Mehrere überlebende Opfer von damals treten laut Bundesanwaltschaft als Kläger auf. «Die Anklage zeigt, dass solche mächtigen Personen vor Gericht gestellt werden können, und ich möchte, dass jeder weiss, was das Al-Asad-Regime dem syrischen Volk angetan hat»: So wird einer der Kläger in einer Medienmitteilung von Trial zitiert.
Schweizer Behörden zögerten
Lange allerdings sah es eher so aus, als würde das Verfahren im Sande verlaufen. Asad selber verweigerte bei der einzigen Befragung im Dezember 2013 die Aussage und lehnte später auch eine Einvernahme per Video ab. 2021 flüchtete der Beschuldigte aus einem Exil in Frankreich zurück nach Syrien, auch aus Angst vor einer Auslieferung in die Schweiz.
Als die Bundesanwaltschaft Ende 2021 einen internationalen Haftbefehl zur Auslieferung Asads ausstellte, legte sich das Bundesamt für Justiz (BJ) quer. Die Schweiz könne kein Auslieferungsgesuch stellen, weil weder die Opfer noch der Beschuldigte Schweizer Bürger seien und sich der Beschuldigte auch nicht im Land aufhalte. Das löste Empörung aus.
Das Beispiel von Rifaat al-Asad ist nur einer von verschiedenen Fällen, die Kritik an der Schweiz wegen ihrer Zurückhaltung bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen auslösten. Bis 2019 hat die Bundesanwaltschaft (BA) nie eine Anklage im Bereich des Völkerstrafrechtes eingereicht. Es fehle der politische Wille zur Untersuchung internationaler Verbrechen, sagten Kritiker.
Die Zeit drängt
So sorgte der Fall von Khaled Nezzar für Unmut. Der frühere Verteidigungsminister von Algerien soll Folterungen und Hinrichtungen gebilligt haben. Doch 2017 stellte die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Nezzar ein und löste damit Kopfschütteln aus. Doch das Bundesstrafgericht stellte sich gegen diesen Entscheid. Vergangenen August reichte die Bundesanwaltschaft schliesslich Anklage ein.
Auch in anderen Fällen war es das Bundesstrafgericht, das zur Anklage drängte. Im Fall von Rifaat al-Asad widersprach das Bundesstrafgericht dem BJ und forderte dieses auf, den Haftbefehl zu erlassen. Damit war der Weg zur Anklage vorgezeichnet.
Bisher gab es in der Schweiz erst eine Verurteilung wegen im Ausland begangener Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bestätigte im Juni 2023 eine zwanzigjährige Freiheitsstrafe gegen den ehemaligen liberianischen Militärkommandanten Alieu Kosiah. Anfang Jahr stand zudem der ehemalige gambische Innenminister Ousman Sonko in Bellinzona vor Gericht. Das Urteil wird im Frühling erwartet.
Im Fall von Rifaat al-Asad ist es praktisch ausgeschlossen, dass es zu einem Prozess in Anwesenheit des Beschuldigten kommt. Mit einer Auslieferung aus Syrien rechnet niemand. Für den Beschuldigten selber bleibt der Entscheid deshalb voraussichtlich ohne spürbare Folgen – obwohl eine Verurteilung grundsätzlich auch in Abwesenheit möglich ist.
Für die Überlebenden des Massakers von Hama dagegen hat das Verfahren grosse Bedeutung. Doch die Zeit drängt: Rifaat al-Asad wird im August 87-jährig. Jeder weitere Monat erhöht das Risiko, dass die Opfer des seit Jahrzehnten herrschenden Asad-Regimes ein weiteres Mal ohne Gerechtigkeit bleiben.