Der Goldpreis notiert auf einem Allzeithoch. Doch was sind die wichtigsten Faktoren, die den Markt für das Edelmetall bewegen? Wie verhalten sich Angebot und Nachfrage zueinander? Und warum kaufen Zentralbanken derzeit massiv zu? The Market unterhält sich darüber mit Juan Carlos Artigas, Research-Chef beim World Gold Council.
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Der Schub kam wie aus dem Nichts: In den vergangenen Wochen hat der Goldpreis plötzlich einen Sprung gemacht und mit knapp 2183 $ am Spotmarkt eine neue Bestmarke erreicht. Dies, obschon der Dollar und die Zinsen in den USA zuletzt wieder etwas angezogen haben.
Welches sind also die wichtigsten Kräfte, die den Preis des Edelmetalls beeinflussen? Was spielt sich bei der Nachfrage und bei der Produktion ab? Wie ist zu erklären, dass vor allem Zentralbanken aus aufstrebenden Volkswirtschaften ihre Goldreserven beträchtlich erhöhen. Und wie sind Investoren positioniert?
The Market hat dazu Juan Carlos Artigas befragt. Der Branchenkenner arbeitet seit vierzehn Jahren für den World Gold Council, dem Verband der globalen Goldminenindustrie, wo er die Research-Abteilung leitet. Im Interview gibt er einen Überblick zu den wichtigsten Entwicklungen im Sektor sowie ihren Ursachen – und was sie für Anleger bedeuten.
Herr Artigas, der Goldpreis bewegt sich auf einem Rekordhoch. Was spielt sich gegenwärtig im Markt ab?
Die letzten beiden Jahre waren enorm spannend: Gold hat sich recht gut entwickelt und viele Marktteilnehmer mit seiner Widerstandsfähigkeit überrascht. 2023 zählte es mit einem Kursgewinn von mehr als 13% zu den Anlagen mit der besten Performance. Das, trotz steigender Zinsen und eines über weite Strecken festeren Dollars – den beiden Faktoren, denen mit Blick auf den Preis oft viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diese können vor allem kurzfristig ein guter Indikator für die Stimmung im Markt sein. Nicht vergessen werden sollte dabei aber, dass der Markt für Gold zwei Eigenschaften aufweist, die ihn von anderen abheben.
Was meinen Sie damit?
Erstens handelt es sich um einen globalen Markt: Gold reagiert nicht nur auf die Massnahmen der US-Notenbank und/oder auf die Bewegungen des Dollars. Ich will die Bedeutung dieser beiden Faktoren für Gold und für die Weltwirtschaft generell nicht herunterspielen. Doch sie sind nicht die einzigen Einflüsse, denn Gold ist ein Weltmarkt mit anderen wichtigen Teilnehmern in Europa und in Asien, die alle ebenso zum Verhalten des Preises beitragen.
Und was ist die zweite besondere Eigenschaft?
Gold hat einen doppelten Charakter. Es ist nicht nur ein Luxusgut und ein wichtiger Rohstoff für Elektronik, sondern spielt auch eine bedeutende Rolle für Investoren, seien es Privatanleger, institutionelle Investoren oder die Zentralbanken, die in den letzten Jahren als bedeutende Käufer auftraten. Ein wichtiger Grund dafür, warum sich Gold so gut hält, ist denn auch die ausgesprochen robuste Nachfrage der Zentralbanken. Wir schätzen, dass etwa 10% der Preisentwicklung durch ihr Verhalten erklärt werden kann.
Weshalb kaufen Zentralbanken mehr Gold?
Seit 2010 sind Zentralbanken Nettokäufer von Gold, insbesondere in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Das lässt sich gut nachvollziehen: Diese Volkswirtschaften haben einen geringeren Anteil an Goldreserven, weshalb sie einen grösseren Bedarf zum Aufbau haben. Im Vergleich dazu verfügen die Industrieländer schon über grössere Bestände und haben daher nicht das gleiche Bedürfnis, sie aufzustocken. Bemerkenswerterweise haben aber sogar einige Industrieländer wie Singapur und Irland ihre Goldreserven in letzter Zeit aufgestockt. Dieser Trend unterstreicht die weit verbreitete Attraktivität von Gold als Reserveanlage.
Wird dieser Trend anhalten?
Besonders auffällig ist, dass die Nachfrage der Zentralbanken zuletzt sprunghaft gestiegen ist. Sie hat sich in den beiden vergangenen Jahren jeweils über 1000 Tonnen bewegt, was fast dem Doppelten des historischen Durchschnitts entspricht. Das verdeutlicht die wichtige Rolle, die Gold heute zur Diversifizierung von Reserven spielt. Es trägt dazu bei, Kapital langfristig zu erhalten, speziell in einem Klima mit steigenden geopolitischen Risiken. Im Gegensatz zu anderen Reserven wie Staatsanleihen ist es nicht an die Währung eines bestimmten Landes gebunden, was das geopolitische Risiko verringert. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Zentralbanken auch dieses Jahr Nettokäufer von Gold bleiben, was den Preis stützen sollte.
Wie geht es demnach mit dem Goldpreis weiter?
Wir machen keine Prognosen zum Goldpreis. Grundsätzlich ist eine «weiche Landung» der Wirtschaft, bei der die Zentralbanken die Inflation dämpfen können, ohne das Wachstum gravierend zu beeinträchtigen, ein extrem heikles Manöver. Es gelingt zwar nur selten, doch in der Vergangenheit ging ein solches Umfeld in der Regel mit einer mässigen Performance von Gold einher. Dieses Mal könnte es jedoch anders sein, denn aufgrund der Nachfrage der Zentralbanken und der geopolitischen Risiken besteht Potenzial für Auftrieb. Rund um den Globus halten dieses Jahr zahlreiche Länder Wahlen ab, was ihre Wirtschaftspolitik über viele Jahre beeinflussen kann und Anleger entsprechend auf Trab hält.
Was würde es demgegenüber für den Goldpreis bedeuten, wenn es doch zu einer Rezession kommt?
Bei einem Abschwung der Konjunktur wird Gold wahrscheinlich stärker positiv reagieren als in früheren Rezessionen. Wie wir wissen, ist Gold eine hochwertige, liquide Vermögensanlage, die häufig zur Absicherung von Risiken verwendet wird. Simpel gesagt: Historisch hat Gold eine lange Erfolgsbilanz, was die Performance in wirtschaftlich schwierigen Zeiten angeht.
Eine Schlüsselfrage ist, was mit der Inflation passiert. Wie verhält sich Gold in inflationären Zeiten?
Um zu verstehen, was den Goldpreis bewegt, müssen verschiedene Effekte auseinandergehalten werden. Im Allgemeinen reagiert er auf vier Faktoren und deren Wechselbeziehung zueinander: Wirtschaftswachstum, Risiko und Unsicherheit, Opportunitätskosten und Momentum. Mit Blick auf die Konjunkturentwicklung ist entscheidend, dass Gold nicht nur eine Wertanlage und ein langfristiges Instrument zum Sparen ist. Wie erwähnt, ist es auch ein Gut, das als Schmuck und in der Elektronik verwendet wird. Ein positives Wirtschaftswachstum kann sich daher auch vorteilhaft auf die Goldnachfrage auswirken. Umgekehrt kann ein Konjunkturrückgang die Nachfrage von Konsumenten und Unternehmen dämpfen, wodurch der Preis unter Druck gerät.
Und wie verhält es sich mit den anderen drei Faktoren?
Risiko und Unsicherheit sowie Opportunitätskosten sind zwei Faktoren, mit denen die meisten Leute gut vertraut sind, wenn es um Gold geht: Wenn das Risiko steigt, neigen die Menschen dazu, mehr in Gold zu investieren und umgekehrt. Opportunitätskosten bedeuten im Prinzip, dass es teurer wird, Gold zu halten, wenn die Zinsen steigen. Sinken die Zinsen, ist das Gegenteil der Fall: Gold zu halten wird relativ zu anderen Anlagen attraktiver. Das Momentum wiederum kann diese Trends verstärken. Wenn Gold steigt, kann eine positive Stimmung den Preis noch weiter nach oben treiben. Umgekehrt kann sich ein Abwärtstrend durch eine negative Eigendynamik akzentuieren.
Was heisst das nun für den Einfluss von Inflation auf den Goldpreis?
Inflation kann sowohl von Vorteil als auch nachteilig sein. Zieht die Teuerung rasch an, wird dies als Risiko wahrgenommen, das Gold üblicherweise zu einer attraktiven Absicherung macht. Gleichzeitig sehen sich die Zentralbanken dadurch aber veranlasst, die Zinsen zu erhöhen, womit die Opportunitätskosten für das Halten von Gold steigen und der anfänglich positive Effekt abgeschwächt wird. Andererseits kann sich der negative Effekt höherer Zinsen auf den Goldpreis aber auch nur temporär negativ auswirken: Macht es die Inflation erforderlich, die Zinsen länger hoch zu halten, kann das die Wirtschaft in eine Rezession stürzen. In einem solchen Szenario könnte Gold demnach letztlich als sicherer Hafen profitieren.
Offenbar sehen viele Finanzinvestoren aber noch keinen Anlass, ihr Engagement zu erhöhen. Im Gegenteil: Während Käufe von physischem Gold zunehmen, fliessen seit Monaten Mittel aus Gold-ETF ab, speziell in den USA und in Europa.
Dank leicht verfügbarer und transparenter Daten kann man bei Gold-ETF gut mitverfolgen, was wo passiert. Letztes Jahr beispielsweise liessen sich vor allem in Europa erhebliche Abflüsse beobachten. Das hatte wohl damit zu tun, dass europäische Investoren, die sich lange Zeit an negative Realzinsen gewöhnt waren, besonders empfindlich auf steigende Renditen von Anleihen reagierten. Viele europäische Länder – insbesondere Deutschland, das ein wichtiges Zentrum der Goldnachfrage ist – verzeichneten erstmals seit Jahren positive Realzinsen. Gerade deutsche Anleger sahen sich deshalb mit einem schwierigen Entscheid konfrontiert: Erstens machten es positive Zinsen endlich wieder attraktiver, Geld praktisch risikolos auf einem Bankkonto anzulegen. Zweitens stiegen auch die Lebenshaltungskosten deutlich, was das verfügbare Einkommen verringerte und die Nachfrage im Markt für physisches Gold wie auch bei Gold-ETF zusätzlich beeinträchtigte.
Und wie sieht es bei den Mittelflüssen in anderen Regionen der Welt aus?
In Asien, besonders in China, blieb die Nachfrage nach Gold-ETF im vergangenen Jahr bezeichnenderweise positiv. Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass Privatanleger in dieser Region möglicherweise dem Beispiel von Zentralbanken wie der People’s Bank of China folgen und Gold anhäufen. Dadurch ergibt sich ein differenzierteres Bild: Was börsengehandelte Fonds betrifft, geben Investoren Gold nicht völlig auf, sondern reagieren vielmehr auf Veränderungen in ihrem spezifischen Umfeld. Und da weltweit mit sinkenden Zinssätzen gerechnet wird, angeführt vom Fed in den USA und möglicherweise gefolgt von der EZB in Europa, könnte der Druck auf den Markt für Gold-ETF künftig nachlassen.
Wie sieht es denn generell mit dem Stellenwert von Gold in einem durchschnittlichen Anlageportfolio aus?
Das Interesse an Gold als Investment hat in den letzten Jahren zwar stetig zugenommen; nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, in Asien und im Nahen Osten. Dennoch besteht hinsichtlich der Asset Allocation noch viel Potenzial – vor allem bei institutionellen Investoren, die traditionell weniger Gold halten als Privatanleger. Weltweit haben etwa 20% der Anleger einen durchschnittlichen Anteil von 5% an Gold im Portfolio. Weitere 20% halten überhaupt kein Gold, und die restlichen 60% sind auf verschiedene Weise marginal investiert; sagen wir zu leicht mehr als 1%. Unter dem Strich beläuft sich der Anteil von Gold in der globalen Allokation von Vermögenswerten damit auf lediglich gut 1%. Hinter diesem Durchschnittswert verbergen sich aber unterschiedliche Strategien. Manche betrachten Gold als strategische Anlage für die lange Frist, andere als taktische Wette für kurzfristige Gewinne, und wieder andere haben es noch gar nicht in ihr Portfolio aufgenommen.
Wie verhalten sich diese Portfolioanteile im Vergleich zur historischen Norm?
Die historischen Daten zeigen, dass der Goldanteil früher höher war. Der Spitzenwert wurde in den frühen Siebzigerjahren mit etwa 5 bis 10 % des Gesamtvermögens erreicht. Diesbezüglich ist aber der Kontext wichtig: Damals waren die Finanzmärkte weniger entwickelt und boten weniger Anlagemöglichkeiten. Heute, in einem wesentlich vielfältigeren Anlageuniversum, kann Gold solche Spitzenwerte wie vor rund fünfzig Jahren möglicherweise nicht mehr erreichen. Steigt der Anteil aber nur schon auf 3 bis 5%, würde sich das erheblich auf den Preis auswirken. Und wie bereits angesprochen, ist der Trend zu einer höheren Goldallokation nicht nur bei Privatanlegern, sondern auch bei den Zentralbanken zu beobachten.
Werfen wir noch einen Blick auf die Angebotsseite. Bei den meisten Minenkonzernen haben sich die Förderkosten in den letzten Jahren erhöht. Was sind die Ursachen dafür?
Da die Inflation in den letzten Jahren gestiegen ist, hat das weltweit Aufwärtsdruck bei den Produktionskosten erzeugt. Hinzu kommt, dass sich höhere Kosten bei den Löhnen tendenziell hartnäckiger halten. Da die Förderung von Gold besonders arbeitsintensiv ist, üben die höheren Personalausgaben neben den Energie- und Materialpreisen zusätzlichen Druck auf die Produzenten aus.
Was hat das für einen Effekt auf die Goldproduktion?
Die Minengesellschaften konzentrieren sich natürlich darauf, die Kosten so effektiv wie möglich zu handhaben. Tatsache ist jedoch, dass auch der Goldpreis gestiegen ist, was es ihnen ermöglicht hat, die Produktion weiter auszuweiten. Infolgedessen haben wir letztes Jahr starke Produktionszahlen knapp unter der Bestmarke von 2018 gesehen, wobei die Nachfrage nach Gold die Förderung in den Minen aber generell nach wie vor übersteigt.
Zugenommen haben jedoch auch Schlagzeilen zu staatlichen Interventionen und Streiks, vor allem in Lateinamerika. Wie wirken sich diese Trends auf das Angebot aus?
Ein Hauptmerkmal von Gold ist, dass die Minenproduktion relativ breit über die ganze Welt verteilt ist. Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen, bei denen sich die Gewinnung stark auf bestimmte Regionen konzentriert, ist Gold also sehr divers. Diese Diversität schützt vor Risiken auf der Angebotsseite, wenn einzelne Minen ausfallen. Selbst grosse Produzenten wie China, Russland, Australien, Kanada und die USA tragen jeweils nur etwa 10 bis 12% zum weltweiten Angebot bei.
Worin unterscheidet sich Gold sonst noch grundsätzlich von anderen Rohstoffen?
Im Gegensatz zu vielen anderen Rohstoffen zeichnet sich Gold durch seine Wiederverwendbarkeit aus. Öl und andere fossile Brennstoffe zum Beispiel werden verbrannt und verschwinden aus dem Markt. Das meiste Gold, das bisher gefördert wurde, ist dank Recycling hingegen weiter im Umlauf. Das schafft ein stabileres Angebot, das nicht nur von den Produzenten kontrolliert wird. Diese breitere Marktbeteiligung sowie die doppelte Funktion von Gold als Anlage- und Konsumgut in Form von Schmuck und Elektronik sorgen dafür, dass der Preis im Vergleich zu stärker konjunkturabhängigen Rohstoffen wie Agrarprodukten oder Industriemetallen wie Kupfer und Aluminium weniger schwankt.