Die kosovarische Regierung hat in einem jahrzehntealten verschleppten Streit um die Landrechte eines Klosters nachgegeben. Damit sichert sich Pristina internationales Wohlwollen.
Wer das serbisch-orthodoxe Kloster von Visoki Decani tief in den Bergen Kosovos besichtigen möchte, muss zwei Wachposten der Nato-Schutztruppe KFOR passieren und am Eingang einen Ausweis hinterlegen. Denn der Sakralbau mit seinen atemberaubenden Fresken aus dem 14. Jahrhundert ist nicht nur ein Meisterwerk des mittelalterlichen Kirchenbaus, sondern auch ein vielfach aufgeladenes Symbol im Konflikt um Europas jüngsten Staat. Als einzige religiöse Stätte Kosovos steht das Kloster rund um die Uhr unter Militärschutz.
Urteil des Verfassungsgerichts
Mit der Beilegung eines jahrzehntealten Landstreits ist nun aber ein wichtiger Durchbruch gelungen. Kosovos Regierungschef Albin Kurti gab am Mittwoch bekannt, dass er die Behörden angewiesen habe, 24 Hektaren Land als Besitz des Klosters zu registrieren. Der Entscheid geht über reine Eigentumsfragen hinaus und könnte Kosovo in seinem Bestreben nach internationaler Anerkennung einen grossen Schritt weiterbringen. Doch der Reihe nach.
Bis zur Enteignung im sozialistischen Jugoslawien besass das Kloster in Decani (albanisch: Deçan) grosse Ländereien. Wenige Jahre vor dem Beginn des Kosovo-Krieges, einer Zeit wachsenden Drucks aus Belgrad auf die albanische Bevölkerungsmehrheit der damals serbischen Provinz, gab die Regierung von Slobodan Milosevic dem Kloster einen kleinen Teil des ehemaligen Landbesitzes zurück, jene 24 Hektaren.
Kosovo erkannte diesen Entscheid nach der Unabhängigkeit jedoch nicht an. Unter seinem charismatischen Abt Sava Janjic, der durch seine Medienauftritte auch international bekannt ist, klagte das Kloster in Kosovo und bekam vom Verfassungsgericht 2016 recht.
Trotz zahlreichen Aufrufen aus dem Westen wurde das rechtskräftige Urteil jedoch nie vollzogen. «Es ist einigermassen paradox», sagt Janjic im Gespräch. «Wir, die wir als serbische Institution bezeichnet werden, unterstützen den Entscheid des obersten Gerichts Kosovos. Doch die Regierung und die Behörden lehnen ihn ab.»
Sorge vor Präzedenzfall
Das Katasteramt in der Stadt Decani weigerte sich bisher kategorisch, den Landbesitz des Klosters einzutragen. Auch der Bürgermeister erklärte noch diese Woche gegenüber der NZZ, er bleibe bei seiner Ablehnung des Gerichtsurteils.
Ein Argument ist die Sorge vor einem Präzedenzfall. Schliesslich hätten viele Kirchen und Klöster einst grosse Ländereien besessen. «Ausserdem haben wir nicht gekämpft, um jetzt unser Land gegen internationales Wohlwollen einzutauschen», sagt der Aktivist Adem Lushaj aus Decani und bringt damit die Haltung vieler Bürger seiner Stadt auf den Punkt.
Die Stadt war Schauplatz schwerer Kämpfe und ist stolz auf seine Rolle im Krieg. Die Erinnerung daran wird von zahlreichen Flaggen und Wandgemälden der kosovarischen Befreiungsarmee UCK wachgehalten. «Und wer garantiert uns, dass wir tatsächlich etwas dafür bekommen?»
Ausgerechnet Kurti lenkt ein
Dass ausgerechnet unter Albin Kurti die Kehrtwende vollzogen wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Kurti ist grundsätzlich gegen jegliches Entgegenkommen gegenüber Serbien oder der internationalen Gemeinschaft.
Unilaterale Entscheide wie die faktische Verbannung des serbischen Dinars, der als Zahlungsmittel für die serbische Minderheit im Land grosse Bedeutung hat, haben jüngst zu einer deutlichen Abkühlung im Verhältnis zu den traditionellen Verbündeten im Westen geführt. Der amerikanische Sondergesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, sprach diese Woche von einem gravierenden Kommunikationsproblem mit Pristina.
Auch in Bezug auf Decani war der Regierungschef Kurti lange nicht bereit, das Urteil des obersten Gerichts zu akzeptieren. Als Oppositionspolitiker hatte er die Verfassungsrichter nach dem Urteil von 2016 als Verräter und Kriminelle bezeichnet.
Bedingung für Aufnahme in den Europarat
Den Entscheid vom Mittwoch traf der kosovarische Regierungschef mit demonstrativem Zähneknirschen. Er betrachte das Urteil weiterhin als schädlich für das Land, sagte Kurti. Ohne die Umsetzung bestehe aber keine Aussicht, den Beitrittsprozess für den Europarat voranzutreiben.
Die Aufnahme in internationale Organisationen ist für Kosovo, dessen Eigenstaatlichkeit nur von etwas mehr als der Hälfte der Staatengemeinschaft anerkannt und besonders von Serbien aktiv bekämpft wird, eine aussenpolitische Priorität. Im Dezember 2022 stellte das Land ein Beitrittsgesuch beim Europarat.
Dora Bakogianni, die Berichterstatterin für die parlamentarische Versammlung des Rats – und Schwester des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis –, hatte kürzlich klargemacht, dass die Weigerung, das Gerichtsurteil zu Decani umzusetzen, einen Verstoss gegen die Rechtsstaatlichkeit darstelle. Das sei mit einer Mitgliedschaft Kosovos in die Organisation unvereinbar. Zum selben Schluss war zuvor ein Rechtsgutachten des Europarats gekommen.
Teilnahme am Eurovision Song Contest?
Alle Steine für eine Mitgliedschaft sind damit aber nicht aus dem Weg geräumt. Im noch nicht veröffentlichten Bericht von Bakogianni wird laut diplomatischen Quellen auch der umstrittene Verband serbischer Gemeinden in Kosovo angesprochen, der der Minderheit eine Teilautonomie einräumen soll. Pristina hat sich vor mehr als einem Jahrzehnt zur Schaffung eines solchen Gemeindebunds verpflichtet, macht jetzt aber die Umsetzung von einer Anerkennung der Unabhängigkeit durch Belgrad abhängig.
Der frühere kosovarische Aussenminister Petrit Selimi hält einen baldigen Beitritt zum Europarat dennoch für möglich, wenn wohlgesinnte Länder diesen unterstützten, wie er gegenüber der Online-Zeitschrift «Nacionale» erklärt. Zusätzlich zum Prestigegewinn bedeutet eine Mitgliedschaft auch einen verbesserten Menschenrechtsschutz im Land, da die Bürger die Möglichkeit erhalten, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
Mit einem Augenzwinkern weist Selimi im Gespräch auf einen weiteren Vorteil hin: Dank einer Klausel der Europäischen Rundfunkunion könnte Kosovo als Mitglied des Europarats künftig am Eurovision Song Contest teilnehmen. Der Wettbewerb ist auf dem Balkan ausserordentlich populär.
Und was bedeutet der Entscheid für das Kloster? Abt Janjic wägt ab. «Ich glaube nicht, dass in Pristina wirklich ein Umdenken stattgefunden hat», sagt er. «Die Regierung hat unter Druck gehandelt. Aber positiv ist es trotzdem.»







