Zwei Drittel aller Nato-Staaten werden in diesem Jahr voraussichtlich das 2-Prozent-Ziel der Allianz erfüllen. Besonders die Länder, die nah an Russland sind, haben ihre Militärausgaben stark erhöht. Das ist auch eine Botschaft an Donald Trump.
Kein Mitgliedstaat in der Nato gibt gemessen an seiner Wirtschaftsleistung so viel Geld für seine Streitkräfte aus wie Polen – und kein Land in der Allianz investiert prozentual so wenig in seine Verteidigung wie Luxemburg.
Auf umgerechnet 31 Milliarden Euro beziehungsweise 3,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes beliefen sich im vergangenen Jahr die Militärausgaben Polens. Dagegen flossen im Grossherzogtum Luxemburg nur 554 Millionen Euro beziehungsweise 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in den Verteidigungshaushalt.
«Naming and shaming»
Diese Zahlen gehen aus dem neuesten Jahresbericht des Bündnisses hervor, den der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag vorstellte. Mit Spannung wurde auch dieses Mal wieder auf jene Tabellen im hintersten Teil des Berichts gewartet, aus denen hervorgeht, welche Alliierten mindestens 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für das Militär ausgeben.
Unter Diplomaten ist die interne Rangliste längst zu einem «naming and shaming»-Barometer geworden, an dem abzulesen ist, welche Mitgliedstaaten bei den Verteidigungsausgaben hinterherhinken. Zwar wissen alle, dass die 2-Prozent-Vorgabe, auf die man sich vor zehn Jahren verständigt hat, über die tatsächliche Schlagkraft der Streitkräfte nur wenig aussagt. Es wird, um das Ziel zu erreichen, auch mit kreativer Buchhaltung gearbeitet, wie das Beispiel Deutschland zeigt.
Mit Blick auf die mögliche Wiederwahl Donald Trumps in den USA ist es vielen Verbündeten aber schon psychologisch wichtig, die Zielmarke mit Hängen und Würgen zu erreichen. Der ehemalige amerikanische Präsident hatte den Verbündeten schon früher mit der Aufkündigung der Beistandsverpflichtung gedroht, wenn sie ihre Verteidigungsbudgets nicht deutlich aufstocken würden – und diese Drohung wiederholte Trump erst kürzlich wieder. Dass die meisten Europäer Trittbrettfahrer seien, hatte auch sein Vorgänger Barack Obama kritisiert.
Am Donnerstag konnte Stoltenberg nun einen deutlichen Zuwachs bei den europäischen und den kanadischen Verteidigungsausgaben für das Jahr 2023 verkünden. Um beispiellose 11 Prozent seien diese im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das 2-Prozent-Ziel haben zwar nur elf Mitgliedstaaten erfüllt: Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Grossbritannien, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Ungarn und die USA.
Stoltenberg beeilte sich aber zu erwähnen, dass im laufenden Jahr gleich zwei Drittel der Bündnispartner die Vorgabe schaffen würden. Insgesamt beliefen sich die Verteidigungsausgaben der Verbündeten auf 470 Milliarden Dollar für das Jahr 2024. «Die Welt ist gefährlicher geworden, aber die Nato stärker», sagte der Norweger.
Die optimistische Einschätzung des Generalsekretärs beruht auf Prognosen, die von den Aussen- und Verteidigungsministerien der Mitgliedstaaten im Januar und Februar eingereicht wurden, die aber noch nicht offiziell sind. Sie sollen frühestens am Nato-Gipfel im Juli veröffentlicht werden.
Bei den Ländern, die bald in den 2-Prozent-Klub aufsteigen, handelt es sich um Albanien, Bulgarien, Deutschland, die Niederlande, Nordmazedonien, Rumänien und Tschechien. Auch Schweden, das vergangene Woche als 32. Mitglied der Nato beigetreten ist, wird dazugerechnet. Ulf Kristersson, der schwedische Ministerpräsident, sagte am Montag, als in Brüssel feierlich die Fahne seines Landes vor dem Nato-Hauptquartier hochgezogen wurde, dass man die 2-Prozent-Vorgabe schon seit Jahresbeginn erfülle.
Auf einer inoffiziellen Liste, die der NZZ vorliegt, wurden die Militärausgaben, die Frankreich für 2024 prognostiziert, noch auf 1,97 Prozent des BIP beziffert, diejenigen Norwegens auf 1,87 Prozent. Beide Länder werden nun aber offensichtlich schon zu jenen Staaten gezählt, die Donald Trump glücklich stimmen dürften. Am Donnerstag erklärte die Regierung in Oslo, die 2-Prozent-Marke nicht erst 2026, sondern bereits in diesem Jahr erreichen zu wollen.
Auch Polen will seine Verteidigungsausgaben noch einmal erhöhen, auf 4,23 Prozent des BIP. Das ist mit Blick auf seine Geografie und Geschichte nicht verwunderlich: Das Land teilt seine nördliche Grenze mit der russischen Exklave Kaliningrad und einen grossen Teil seiner südöstlichen Grenze mit der Ukraine. Andrzej Duda, der polnische Präsident, schlug bei seinem Besuch im Weissen Haus diese Woche vor, die Nato-Mitgliedstaaten angesichts des «aggressiven russischen Revisionismus» nicht zu 2, sondern gleich zu 3 Prozent zu verpflichten.
Forderung nach 3 Prozent
Für diese Forderung gibt es in der Allianz aber wenig Rückhalt. Neben Polen liegen bis jetzt nur die militärische Supermacht USA und Griechenland, das seinen türkischen Nachbarn fürchtet, über der 3-Prozent-Schwelle. Es fällt jedoch auf, dass vor allem diejenigen Staaten, die näher an Russland liegen, ein grösseres Bedürfnis haben aufzurüsten. So plant das kleine Estland, dessen Geheimdienst vor einem russischen Angriff in naher Zukunft warnt, in diesem Jahr mehr als eine Milliarde Euro für sein Militär auszugeben.
In West- und Südeuropa sieht man die russische Bedrohung offenkundig entspannter. Das erklärt die niedrigen Verteidigungsbudgets in Italien, Spanien oder Belgien. Das Schlusslicht Luxemburg macht allerdings geltend, dass seine Armee zu klein und das Land zu reich sei, um den Vorgaben der Allianz in vollem Umfang zu entsprechen.
Der schlechteste Nato-Schüler sei in Wahrheit Belgien, wird in Brüssel gelästert. Ausgerechnet jenes Land, das das Nato-Hauptquartier und den Sitz des Oberbefehlshabers der Allianz für Europa beherbergt, gibt derzeit nur 1,25 Prozent des BIP für Verteidigung aus. Und daran dürfte sich so schnell nichts ändern, denn der Staat ist hoch verschuldet und müsste seine Bürger für die Erreichung der 2-Prozent-Marke noch stärker belasten als ohnehin schon: Mit 1000 Euro Steuern zusätzlich im Jahr, wie kürzlich ein Ökonom ausgerechnet hat.







