Russlands Behörden halten den südkoreanischen Christen Baek Kwang Soon gefangen. Sie werfen ihm Spionage vor. Der mysteriöse Fall wirft ein Schlaglicht auf das Zweckbündnis zweier Diktatoren.
Wer ist Baek Kwang Soon? Ein gefährlicher Spion, sagt Russland. Ein mutiger Missionar, sagt das Hilfswerk, für das Baek gearbeitet hat. Zum ersten Mal überhaupt sei in Russland ein Südkoreaner wegen Spionageverdachts festgenommen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Tass am 11. März. Baek Kwang Soon wurde gemäss Tass «Anfang Jahr» in Wladiwostok verhaftet und im Februar vom Fernen Osten Russlands in die Hauptstadt Moskau verlegt.
Dort wartet der protestantische Missionar im Untersuchungsgefängnis Lefortowo auf seinen Prozess. Lefortowo wird vom russischen Inlandgeheimdienst FSB geführt. Am selben Ort halten die russischen Behörden auch einen Korrespondenten des «Wall Street Journal» («WSJ»), den Amerikaner Evan Gershkovich, wegen dubioser Spionagevorwürfe fest.
Wieso die russischen Behörden die Festnahme von Baek erst im März publik machten, rund zwei Monate nach seinem Verschwinden in Wladiwostok, bleibt unklar. Baek wird vorgeworfen, Staatsgeheimnisse an ausländische Nachrichtendienste weitergegeben zu haben. Genaueres dazu wurde nicht bekannt.
Kleider, Nahrungsmittel und das Evangelium
Was führte den 53-Jährigen nach Wladiwostok, und wieso wurden die Russen auf ihn aufmerksam? Gesichert ist lediglich, dass Baek Kwang Soon für das Hilfswerk Global Love Rice Sharing Foundation im äussersten Osten des russischen Reichs tätig war.
Baek habe in Wladiwostok russische, nordkoreanische und thailändische Arbeiter mit Essen, Kleidern und dem Evangelium versorgt, so zitierte das Nachrichtenportal NK News den Präsidenten des Hilfswerks, Pater Lee Sun Gu. Er nannte die Spionagevorwürfe «vollständig absurd».
Nach eigenen Angaben besteht der Auftrag der christlichen Stiftung je zur Hälfte aus humanitärer Hilfe und Missionieren. Wie Baek in den Besitz von Staatsgeheimnissen gekommen sein soll, ist schleierhaft. Die Vorwürfe könnten, wie der Hilfswerk-Chef vermutet, vorgeschoben sein. Zum Verhängnis wurde dem Pastor womöglich seine Unterstützung von nordkoreanischen Arbeitern und Flüchtlingen in Russland.
Da die verminte Grenze zu Südkorea praktisch unüberwindbar ist, versuchen Nordkoreaner immer wieder, über die Landgrenze nach Russland und China der brutalen Diktatur zu entkommen – allerdings weit häufiger in die Volksrepublik. Die Grenze mit Russland beläuft sich nämlich bloss auf 18 Kilometer; jene zu China erstreckt sich über 1400 Kilometer.
Zudem existiert in China ein eingespieltes Untergrund-Netzwerk, das Nordkoreaner in südostasiatische Länder wie Kambodscha oder Thailand schmuggelt. Von dort gelangen sie mithilfe der südkoreanischen Botschaften nach Seoul. Daher suchen die meisten Nordkoreaner über China den Weg in die Freiheit – allerdings unter enormen Gefahren. Wer von chinesischen Sicherheitskräften erwischt wird, landet im nordkoreanischen Gulag.
Auf dem Schmuggelpfad spielen südkoreanische Missionare eine wichtige Rolle. Davon beseelt, ihre koreanischen Brüder zu retten und zu bekehren, gehen sie selber hohe Risiken ein. Baek, der Missionar aus Wladiwostok, soll sich kurz vor seiner Festnahme in China aufgehalten haben. Ob er sich dort ebenfalls um Nordkoreaner gekümmert hat, ist nicht bekannt.
Ein Faustpfand für Putin
Die südkoreanischen Missionare sind für den nordkoreanischen Führer Kim Jong Un ein unangenehmer Störfaktor, denn oft kritisieren sie das kommunistische Regime scharf. Dass Putin gerade jetzt einen Pastor aus dem Verkehr ziehen lässt, könnte mit dem Zweckbündnis der beiden Diktatoren zusammenhängen: Nordkorea beliefert die Russen mit Waffen für ihre Invasion in der Ukraine. Im Gegenzug erhält Kim vermutlich Militärtechnologie für sein Satellitenprogramm, Treibstoff und Nahrungsmittel. Die international isolierten Herrscher erweisen sich gegenseitig Freundschaftsdienste, wo immer diese gebraucht werden. Die Verhaftung des Missionars durch das Putin-Regime könnte ein solcher Freundschaftsdienst sein.
Die Beziehungen zwischen Moskau und Seoul nähern sich derweil einem Tiefpunkt an – unter anderem wegen Südkoreas Waffenlieferungen an den Westen. Die Waffenschmieden im Süden der geteilten Halbinsel exportieren zwar nicht direkt in die Ukraine, aber das Nato-kompatible Kriegsgerät gelangt via Drittstaaten nach Kiew.
Seoul dürfte die Festnahme des Missionars als Warnung wahrnehmen. Baek Kwang Soon wird vermutlich ebenso zu einem Faustpfand wie der amerikanische «WSJ»-Journalist Gershkovich.