Ein Ärztestreik erschüttert Südkorea. Der medizinische Nachwuchs wehrt sich gegen mehr Studienplätze. Wieso eigentlich?
In vielen südkoreanischen Spitälern herrscht der Ausnahmezustand. Seit fast vier Wochen erscheinen 93 Prozent der 13 000 Assistenzärzte nicht mehr zur Arbeit. Sie protestieren damit gegen den Plan der Regierung des konservativen Präsidenten Yoon Suk Yeol, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. Viele Operationen müssen deshalb verschoben werden.
Vergangene Woche spitzte sich der Kampf weiter zu: Aus Protest gegen den Plan der Regierung, den streikenden Assistenzärzten die Zulassung zu entziehen, kündigten Professoren von 16 der 40 medizinischen Fakultäten eigene Aktionen an: Sie wollen zurücktreten, wenn die Regierung nicht einlenkt.
Zu wenig Ärzte in ländlichen Regionen
Auslöser des Ärzteausstands war die an sich populäre Entscheidung der konservativen Regierung, die Zulassungsquote an den medizinischen Fakultäten von derzeit 3058 um 2000 zu erhöhen und bis 2035 15 000 zusätzliche Mediziner zu haben. Bereits die linke Vorgängerregierung hatte 2020 versucht, 400 zusätzliche Studienplätze durchzusetzen, den Plan aber nach Protesten der Ärzteschaft wieder begraben.
Ziel der Politik ist es, die ärztliche Versorgung zu verbessern. Mit 2,6 Ärzten pro 1000 Einwohner ist diese im Vergleich zu anderen Industrieländern gering. Zum Vergleich: In den Ländern der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, liegt der Durchschnitt bei 3,7, in der Schweiz bei 4,4 und in Deutschland bei 4,5 Ärzten.
Besonders gross ist die Knappheit bereits heute ausserhalb der Metropolen. In vielen ländlichen Regionen ist es nicht unüblich, dass Pflegekräfte Rezepte ausstellen oder einfache medizinische Eingriffe vornehmen, weil es an Ärzten fehlt. Die rasche Alterung der südkoreanischen Gesellschaft könnte den Mangel noch verschärfen. Das Institut für Gesundheit und Soziales schätzt, dass bis 2035 mehr als 27 000 Ärzte in Südkorea fehlen werden.
Doch die Jungärzte wehren sich. Sie warnen beispielsweise davor, dass die medizinischen Fakultäten einen solchen Anstieg der Studentenzahlen nicht bewältigen könnten. Ausserdem kritisieren sie, dass der Plan den chronischen Ärztemangel in wichtigen, aber schlechtbezahlten Fachgebieten wie der Kinderheilkunde und der Notfallmedizin nicht berücksichtige. Diese Fachrichtungen haben offenbar weniger Zulauf als die lukrative Schönheitschirurgie.
Der Präsident will die Macht der Gewerkschaften schwächen
Für Felix Schmidt, Leiter des Korea-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, einer Stiftung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, sind diese Argumente nur vorgeschoben: «Die Ärzte wollen vor allem zusätzliche Konkurrenz verhindern», sagt der Korea-Experte. «Sie fürchten, dass die Konkurrenz langfristig zu Lohnkürzungen oder gar Entlassungen führen könnte.»
Doch könnten die Ärzte die Rechnung ohne Präsident Yoon gemacht haben. Dessen politisches Kalkül wird derzeit von zwei anderen Interessen bestimmt: seiner Mission, die Macht der Gewerkschaften zu brechen, und den Parlamentswahlen im April.
Yoon will die Gewerkschaften schwächen, damit Unternehmen die Arbeitszeiten flexibler gestalten und Mitarbeiter entlassen können. «Ein flexibler Arbeitsmarkt ist der Schlüssel zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen», sagte er in seiner diesjährigen Neujahrsansprache. Die Gewerkschaften stören da nur.
Zum einen ist die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer in den letzten Jahren gestiegen. Laut dem Korea-Experten Schmidt sind in Grossunternehmen jetzt rund ein Drittel der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Zum anderen kritisieren Südkoreas Konservative die Gewerkschaften als militant.
Tatsächlich kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Fabrikbesetzungen oder Aktionen gegen Streikbrecher. Auch ist die Streikbereitschaft höher als in vielen anderen Ländern. Nach Angaben des Korea Economic Research Institute kommen auf 1000 Beschäftigte 38,7 Streiktage. In Deutschland waren es 2022 nur 6,4 Tage, in der Schweiz ein Tag und in Japan 0,2 Tage.
Für Schmidt sind die Aktionen der Gewerkschaften allerdings nur eine Reaktion auf ihre im internationalen Vergleich schwache Position. Schon die Ausgangslage der Arbeitnehmervertretungen ist schwierig. So hat Südkorea nur vier der acht grundlegenden Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen unterzeichnet. Der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) stuft Südkorea unter Präsident Yoon sogar ähnlich wie China unter die Länder ohne garantierte Rechte ein.
Südkoreas Präsident ordnete die Beendigung von Streiks an, liess durch die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf Rechtsverstösse Gewerkschaftsvertreter verhaften und Gewerkschaftsbüros durchsuchen. Ein Vertreter einer Bauarbeitergewerkschaft zündete sich 2023 aus Protest gegen eine Anklage sogar selbst an und starb. Der wilde Ärztestreik gibt dem Präsidenten kurz vor den Parlamentswahlen im April erneut Gelegenheit, Härte zu zeigen.
Bei den Wahlen will seine Partei den linken Demokraten die Mehrheit in der Legislative entreissen, damit Yoon ungehindert regieren kann. Der Kampf gegen die Mediziner könnte dabei ein gutes Wahlkampf-Instrument sein. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup Korea sind 76 Prozent der Koreaner für mehr Ärzte.








