Die US-Zulassung für den Wirkstoff Aprocitentan lässt die Aktionäre aufatmen. Doch sie ist nicht mehr als ein erster Schritt. Idorsia muss zeigen, wie das Medikament zum Erfolg werden kann. Für eine eigenständige Lancierung dürfte das Geld zu knapp sein.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Nach zahlreichen Tiefschlägen kann Idorsia in diesen Wochen endlich wieder für positive Schlagzeilen sorgen. Ende Februar verkündete das Biotechunternehmen aus Allschwil die Auslizensierung der beiden Wirkstoffe Selatogrel und Cenerimod an die amerikanische Viatris. Anfang dieser Woche wurde diesbezüglich der Erhalt einer Vorabzahlung von 350 Mio $ bestätigt – Mittel, die Idorsia dringend benötigt.
Am gestrigen Dienstagabend erfolgte nun der im Vorfeld mit Spannung erwartete Zulassungsbescheid der US-Arzneimittelbehörde FDA für Aprocitentan, Idorsias Wirkstoff gegen Bluthochdruck. Die Amerikaner genehmigten den Einsatz des künftig unter dem Markennamen Tryvio vertriebenen Mittels für die Behandlung von Bluthochdruck in Kombination mit anderen blutdrucksenkenden Arzneimitteln.
Damit soll der Blutdruck von Patienten gesenkt werden, bei denen herkömmliche Medikamente nicht oder nicht ausreichend wirken – auch persistierende Hypertonie genannt. Erst im September überraschte Idorsia mit dem Rückkauf der Vermarktungsrechte für das Medikament von der Johnson-&-Johnson-Tochter Janssen, obwohl das Unternehmen schon damals in höchsten Geldnöten steckte.
Marktpotenzial ist gross
Das Mittel hat durchaus Potenzial, der Markt, den es bedient, ist beträchtlich. Die Senkung des Blutdrucks reduziert das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen wie Schlaganfällen und Herzinfarkten. Analysten sehen in Aprocitentan denn auch ein potenzielles Blockbuster-Medikament. Die Schätzungen für den Spitzenumsatz wurden in der Vergangenheit etwa vom Brokerhaus Jefferies mit 2,5 Mrd. $ beziffert.
CEO Jean-Paul Clozel betont am Mittwoch denn auch, dass es Millionen von Amerikanern gebe, deren Blutdruck trotz bestehender Therapien nicht ausreichend kontrolliert werden könne. «Das ist ein grosses Problem für die öffentliche Gesundheit und führt zu einer hohen Zahl von kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen».
Die Börse quittiert den Zulassungserfolg bis zum Mittag mit Kursgewinnen im hohen einstelligen Bereich. Auch wenn die Aktie im Vorfeld des FDA-Entscheids bereits anzog, ist die heutige Kursreaktion angesichts des Potenzials von Tryvio überschaubar. Das überrascht jedoch nicht.
Für Euphorie ist es zu früh
Die US-Zulassung ist ein Erfolg für Idorsia, keine Frage, doch sie war Pflicht. Alles andere wäre für das Unternehmen in seiner jetzigen Verfassung eine Katastrophe gewesen. Jetzt muss jedoch die Kür folgen. Denn es stellen sich grundlegende Fragen, wie Idorsia das Medikament ohne Partner vertreiben und vermarkten möchte. Die liquiden Mittel sind trotz dem Viatris-Deal sehr begrenzt.
Die äusserst harzige Lancierung des Schlafmittels Quviviq in den USA zeigt, dass ein gutes Medikament allein kein Selbstläufer ist. Obwohl das Medikament bereits seit Frühjahr 2022 auf dem US-Markt erhältlich ist, belief sich der Umsatz in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres auf unbedeutende 20 Mio. Fr. Teure Werbekampagnen mit Stars wie der US-Schauspielerin Jennifer Aniston oder der ehemaligen Skirennfahrerin Lindsey Vonn haben bisher nicht gefruchtet.
Idorsia hat ihre Ergebnisse für 2023 sowie ihren Ausblick für 2024 verschoben, womit derzeit vieles im Unklaren liegt. Die liquiden Mittel dürften kaum ausreichen, um beide Hoffnungsträger, Quviviq und Tryvio, aus eigener Kraft zu Verkaufsschlagern zu machen. Tosh Butt, US-Chef von Idorsia, erklärt in der heutigen Medienmitteilung denn auch, dass man sich bewusst sei, dass die erforderlichen Ressourcen beträchtlich sind.
«Daher werden wir die Strategie für die Markteinführung von Tryvio in den kommenden Monaten sorgfältig ausarbeiten und uns gleichzeitig darauf vorbereiten, Tryvio in der zweiten Jahreshälfte 2024 auf den Markt zu bringen», sagt er.
Hohe Risiken
Wahrscheinlich ist, dass sich Idorsia noch einen Vertriebspartner ins Boot holen wird. Eine andere Möglichkeit wäre es, Quviviq auszulizensieren und sich vollständig auf Tryvio zu konzentrieren. Idorsia muss rasch für Klarheit sorgen, wie es Tryvio monetarisieren will. Am Nachmittag folgt eine Telefonkonferenz, wo sich das Management diesen Fragen wird stellen müssen.
Für den Erfolg von Tryvio braucht es noch zwei wesentliche Dinge: Erstens die Beschaffung von Mitteln für den Vertrieb und die Vermarktung, zweitens muss das Medikament dann auch auf Anklang stossen. Das kann funktionieren, im Erfolgsfall hat die Aktie noch ein grosses Aufholpotenzial. Doch der Weg bis dahin ist mit hohen Risiken verbunden, momentan eignet sich die Aktie nur für Zocker.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Henning Hölder