Nach schweren Niederlagen bei zwei Referenden überlasst der irische Regierungschef das Feld einem parteiinternen Nachfolger. Varadkar kam offenbar zum Schluss, er sei für seine Partei Fine Gael zur Hypothek geworden.
Leo Varadkar war für Irland eine Ausnahme-Erscheinung. Als er 2017 erstmals als Premierminister vereidigt wurde, war der Sohn eines indischstämmigen Arztes nicht nur der erste irische Regierungschef mit Migrationshintergrund. Der heute 45-Jährige war auch der jüngste Ministerpräsident in der irischen Geschichte und einer der ersten offen homosexuellen Regierungschefs der Welt. Geschätzt und kritisiert wurde der Strahlemann auch wegen seiner gradlinigen Art und seiner Bereitschaft, mit seiner Meinung nicht hinter dem Busch zu halten.
Am Mittwoch nun hat Varadkar vor dem Regierungssitz in Dublin seinen Rücktritt als Regierungschef und als Vorsitzender der Partei Fine Gael bekanntgegeben. Der Abgang erfolgt wenige Monate vor der spätestens Anfang 2025 anstehenden Wahl des irischen Parlaments. Varadkar begründete ihn mit persönlichen und politischen Motiven. Er ging aber nicht ins Detail und erklärte, er habe keine Pläne für die Zeit nach dem Rücktritt.
Opposition will Neuwahl
Die seit 2020 regierende Koalition zwischen Varadkars rechts-zentristischer Fine Gael, der links-zentristischen Fianna Fail sowie den Grünen wirkt seit längerem angeschlagen. In der ersten Hälfte der Legislatur hatte gemäss dem Koalitionspakt Micheal Martin von Fianna Fail als Regierungschef gedient, der 2022 die Regierungsführung erneut an Varadkar übergab.
Auch wenn die Oppositionsparteien eine sofortige vorgezogene Wahl forderten, dürfte die Koalition versuchen, sich noch bis zur ordentlichen Neuwahl an der Macht zu halten. Varadkar erklärte, er stehe der Regierung solange interimistisch vor, bis seine Partei die Nachfolge an der Parteispitze geregelt habe. Der neue Parteivorsitzende soll Varadkar nach Ostern als Premierminister ablösen. Als mögliche Nachfolger werden etwa der Minister für öffentliche Ausgaben, Paschal Donohoe, oder Handelsminister Simon Coveney gehandelt.
Varadkar erklärte mit Blick auf die anstehenden Lokal- und Europawahlen, seine Parteigenossen hätten bessere Chancen, wenn Fine Gael von einer frischeren Kraft geführt werde. Mit Blick auf die nationale Wahl stagniert Fine Gael in den Umfragen bei einem Stimmenanteil von rund 20 Prozent, während die linksnationalistische Sinn Fein erstmals an die Macht kommen könnte. «Als Politiker geben wir alles, bis wir nicht mehr können und weitergehen», sagte der sichtlich bewegte Varadkar. Damit anerkannte er indirekt, dass er für seine Partei kein Zugpferd mehr darstellt, sondern zur Hypothek geworden ist.
Niederlagen bei Referenden
Diesen Eindruck verstärkt hatten die krachenden Niederlagen in zwei Referenden zur Rolle der Familie vor zehn Tagen. Eine deutliche Mehrheit der irischen Bürgerinnen und Bürger hatte Verfassungsänderungen abgelehnt, mit denen Formulierungen zur Rolle der Frau im Haushalt und zur Familie hätten modernisiert werden sollen. Die Regierung hatte fest mit einer Zustimmung gerechnet, zumal Irland in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine rasante gesellschaftliche Öffnung durchlebt hat. Die Referendumsniederlagen haben bei Fine Gael eine Mutlosigkeit ausgelöst sowie das Gefühl, den Kontakt zum Volk verloren zu haben.
In Erinnerung bleibt Varadkar aber auch als Premierminister, der bei grossen Themen instinktsicher agierte und geschickt die Interessen des Landes wahrte. In den Brexit-Verhandlungen gelang es ihm, die 27 EU-Staaten hinter Irland zu versammeln. Zudem überzeugte er Boris Johnson 2019 v0n einer Lösung für den Zoll-Streit rund um die britische Provinz Nordirland. Dieses sogenannte Nordirland-Protokoll sorgte in der Folge zwar für erhebliche politische Turbulenzen. Sie haben sich aber jüngst mit Rishi Sunaks Windsor-Abkommen und der Wiedereinsetzung der Regionalregierung in Belfast gelegt.