Als legitimer Nachfolger des Planwagens der Siedler ist der Pick-up Blech gewordenes Kulturgut und gehört zu Amerika wie Burger, Baseball und Buffalo Bill. Doch jetzt kommt der Tesla Cybertruck, und nichts ist mehr, wie es war.
Mal schaut es freundlich und mal finster. Aber seit sich das Auto von der Kutsche emanzipiert hat, formen die Scheinwerfer, der Kühler und die Stossstange ein Gesicht. Auch dieses Merkmal folgt modischen Trends und hat sich in letzter Zeit mit dem Aufkommen der Elektromobilität noch einmal drastisch verändert. Aber selbst die neuesten Modelle von Nio, Hyundai oder Tesla haben halbwegs menschliche Züge.
Doch seit Elon Musks Firma bald fünf Jahre nach der Premiere im letzten November mit der Auslieferung des Tesla Cybertruck begonnen hat, gilt diese Regel nicht mehr. Denn sein Pick-up bricht mit allen Designtraditionen, hat weder Gesicht noch Augen und auch sonst kaum etwas, woran der Blick haften bleibt.
Neben klassischen Pritschenwagen wie dem Ford F-150, der seit bald einem Jahrhundert die amerikanische Zulassungsstatistik dominiert und genau wie seine Konkurrenten Chevrolet Silverado und Ram 1500 in der Tradition des Planwagens zum kollektiven Kulturgut geworden ist, wirkt der neue Tesla deshalb wie eine Erscheinung aus einer anderen Galaxie – selten war ein Name so passend wie beim Cybertruck.
Kein Wunder also, dass der Wagen überall im Zentrum des Interesses steht und sich sofort Menschentrauben um ihn bilden, wenn er irgendwo auf einem Parkplatz steht – selbst in Austin in Texas, wo er bis jetzt noch in geringen Stückzahlen produziert wird und deshalb etwas häufiger zu sehen ist als im Rest der USA.
Das macht den Wagen zur vielleicht spannendsten Neuheit des Jahres. Entsprechend gross ist die Neugier, endlich hinters Steuer zu kommen, sich selbst einen Eindruck zu machen. Dumm nur, dass Tesla kaum Autos für Testfahrten bereitstellt.
Testwagen sind Mangelware
Aber da hat die Firma die Rechnung ohne die Kontaktbörse Facebook gemacht und ohne stolze Besitzer wie Shaheen Badiyan. Der hat seinen Cybertruck zwar erst vor einer guten Woche aus dem Werk geholt, erklärt sich aber nach ein paar Nachrichten über die sozialen Netzwerke, zwei Telefonaten und einem kleinen Obolus bereit, seinen Sonntagnachmittag zu opfern und auf eine gemeinsame Spritztour zu gehen. Bereitwillig wechselt er auf den Beifahrersitz und weist uns den Weg aus der texanischen Hauptstadt aufs Land, wo die riesigen Rinderherden grasen, die Urenkel der deutschen Siedler ihre berühmten BBQ-Barns haben und ein paar Weinbauern Toskana spielen.
Zwar ist es schwer vorstellbar, dass sich Farmer und Rinderzüchter, Ölbohrer und Handwerker für ein solches Auto erwärmen können, selbst wenn Tesla tapfer Fotos von Baustellen streut, wo Baumaterial auf der Pritsche liegt und Sägen oder Trennschleifer mit dem Strom des Cybertruck die Funken fliegen lassen.
Doch unser Leihgeber ist der beste Beweis dafür, dass Tesla damit umso leichter Menschen erreicht, die vom fahrenden Arbeitstier nichts wissen wollen. Badiyan ist Softwarespezialist und fährt schon länger Elektroauto, aber der Cybertruck ist der erste Pick-up in seinem Leben. Und den braucht er nicht für die Arbeit, sondern für die Freizeit, wenn er am Wochenende zum Fischen fährt oder zum Wandern.
Und vor allem braucht er ihn, weil das Auto so cool ist und ihn jeder anstarrt. «Das klappt schon mal prima», sagt er stolz. «Was der Cybertruck sonst so kann, habe ich noch gar nicht ausprobiert. Die erste Offroad-Tour zum Beispiel muss noch ein bisschen warten.»
Aber immerhin: Egal ob Arbeit, Sport oder Spiel – an der Reichweite soll es nicht liegen. Zwar macht Tesla wie immer keine Angaben zur Batteriegrösse. Aber schon das Basismodell hat laut Werksangabe einen Aktionsradius von 400 Kilometern, im besten Fall sind bei braver Fahrt fast 550 Kilometer möglich.
Wer auch dann noch nicht mit 250 Kilowatt maximaler Ladeleistung am Supercharger nachtanken will, bekommt erstmals bei Tesla auch einen Range Extender. Aber nicht etwa einen Verbrennungsmotor, der wie bei BMW i3 oder Mazda MX-30 einen Generator antreibt. Zur Verlängerung der Reichweite schnallen die Amerikaner noch einen weiteren Akku auf die Ladefläche und legen nochmals rund 200 Kilometer drauf.
Noch ist der Cybertruck eine Seltenheit auf der Strasse
Bis anhin sind die Stückzahlen nach wie vor klein, und der silberne Sonderling ist ein Exot auf amerikanischen Strassen. Wo immer er auftaucht, steht er deshalb sofort im Zentrum des Interesses, und die Passanten sind wahlweise fasziniert oder irritiert. Aber niemand, wirklich niemand geht gleichgültig an dem matt schimmernden Wagen vorbei, dessen dreieckige Silhouette eher an Algebra erinnert als an Automobildesign.
Zudem widersetzt er sich allen Grössenvergleichen mit der Konkurrenz. Denn eigentlich ist er mit seinen knapp 5,70 Metern Länge eine halbe Nummer kleiner als seine klassischen Mitbewerber, die alle weit über die 6-Meter-Marke hinausragen. Doch wo das Auge keinen Halt findet, fällt das Abschätzen schwer. Und die Front, die senkrecht aufragt wie das Schild einer Planierraupe, lässt auf ein deutlich grösseres Stahltier schliessen.
Das Design des Cybertruck ist pure Provokation – und funktioniert in dieser Disziplin perfekt. Schliesslich wirken selbst hoffnungslos überzeichnete Lamborghini fast lieblich neben dem Cybertruck, und nach einem Bugatti dreht sich plötzlich niemand mehr um.
Aber die Form ist auch der Produktion geschuldet. Denn der Cybertruck wird nicht aus gebogenem Blech gebaut, sondern aus gestanztem Edelstahl. Der ist zwar – selbst wenn erste Internetvideos nach Wasserdurchfahrten das Gegenteil suggerieren – rostfrei und muss deshalb nicht lackiert werden. Das sieht cool aus und erspart zugleich einen teuren Fertigungsschritt, ganz im Zeichen von Musks Ruf als Kostenkiller. Aber die Paneele lassen sich nur schwerlich biegen, und der Cybertruck ist deshalb kantiger als jedes andere Auto – fast als hätte ihn jemand aus Karton gebastelt.
Die Gestaltung eckt an – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Selbst im Lager der sonst unerschütterlichen Tesla-Fans werden plötzlich Zweifel an der endzeitlichen Ästhetik laut, die Tesla auch noch mit den angeblich schusssicheren Scheiben schürt, selbst wenn die bei der Premiere schon bei einer Stahlkugel kollabiert sind. Und überall auf der Welt sorgt man sich um Crashsicherheit und Fussgängerschutz.
Während Tesla noch gar nicht preisgibt, ob der Cybertruck überhaupt irgendwo anders als in den USA verkauft werden soll, reden sich die bisweilen selbst berufenen Experten deshalb in Europa schon die Köpfe heiss, wie es denn um die Zulassungsfähigkeit bestellt ist.
So fremd der Cybertruck von aussen wirkt, so Tesla-typisch zeigt sich sein Innenraum: Nüchtern, kahl, ja fast steril ist die Kabine, und wo Pick-up-Modelle in der Alten Welt gemütlich sind wie das Wohnzimmer einer Südstaatenvilla mit durchgesessenen Ledermöbeln, wirkt der Innenraum des Cybertruck wie eine Suite im Designhotel – stylisch, aber unbehaglich.
Das liegt auch daran, dass es weder viele Ablagen gibt noch irgendwelche Schalter. Alles wird nur über den riesigen Bildschirm bedient. Selbst den Blinker und den Wählhebel fürs Getriebe haben die Gestalter weggespart. Und der winzige Rückspiegel ist auch nur eine pflichtschuldige Reminiszenz an den Gesetzgeber. Denn zumindest solange die Rollabdeckung schräg über der Ladefläche läuft und das Hab und Gut so vor neugierigen Blicken schützt, ist es nichts mit dem Blick nach hinten.
Aber wer schaut schon nach hinten, wenn er die Zukunft so fest im Blick hat wie ein Elon Musk? Immerhin ist der Cybertruck geräumig – und was ihm in der zweiten Sitzreihe an Kopffreiheit fehlt, macht das grosse Panoramadach zumindest optisch wieder wett.
Auch beim Fahren hat der Truck so seine Tücken. Leistung gibt es satt, und wie bei jedem Elektroauto ist der Vortrieb enorm – schon das Basismodell soll trotz seiner bald 3 Tonnen Leergewicht in 6,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen.
Das Edelstahlross soll im nächsten Jahr zu Preisen ab 60 990 Dollar in den Handel kommen. Das Cyberbeast, mit 845 PS und 99 990 Dollar Grundpreis an der Spitze der Modellpalette, lässt mit einem Sprintwert von 2,6 Sekunden so manchen Supersportwagen stehen.
Aber wo Tesla sonst gerne beim Wettrüsten teilnimmt und zum Beispiel das Model S über 320 km/h schnell rennen lässt, wird auch der stärkste Cybertruck spätestens bei 210 km/h eingebremst. Aber in Amerika darf man ohnehin nirgendwo schneller fahren als 130 km/h.
Kurvenfahrten sind gewöhnungsbedürftig
Während er sich auf der Geraden mit hoher Laufruhe und Stabilität als typischer Tesla erweist, muss man sich ans Kurvenfahren erst noch gewöhnen. Denn als wäre ein eckiges Lenkrad nicht schon eigenwillig genug, setzt Tesla hier auch noch auf eine Steer-by-Wire-Technologe ohne mechanische Lenkverbindung zu den Rädern.
Stattdessen steuert eine Elektronik, die mit zunehmendem Einschlag auch noch die Übersetzung ändert. Und wenn dann die Hinterräder leicht mitlenken wie bei manchen europäischen Fahrzeugen, widerstrebt die Kurvenfahrt dem gelernten Lenkgefühl gar vollkommen. Zumindest beim Rangieren und im langsamen Stadtverkehr legt man einen ungewöhnlich eckigen Fahrstil an den Tag. Deshalb dauert es ein bisschen, bis man im Cybertruck den Bogen heraus hat.
Und dann ist da ja noch die Sache mit der Federung, bei der Tesla auf Luft statt Stahl setzt. Schliesslich lässt sich so auf Knopfdruck, pardon – mit einem Fingertippen auf dem Touchscreen, die Bodenfreiheit auf mehr als 40 Zentimeter anheben, damit der in zwei von drei Versionen mit Allradantrieb ausgestattete Cybertruck über Stock und Stein kraxeln oder durchs Wasser waten kann. Nur leider war damit zumindest unser Exemplar des Pritschenwagens auf der Strasse derart hart gefedert, dass schon Schlaglöcher schmerzhaft waren und ein paar Temposchwellen im Parkhaus aus der Reise einen Ritt auf einem Wildpferd machten.
Aber vielleicht ist ja auch das ein subtiler Trick der Tesla-Truppe. Ja, Western war gestern, und selten war die Savanne so weit weg wie am Steuer dieses Raumschiffs mit Pritsche. Aber spätestens da fühlt man sich dann auch im Cybertruck wie John Wayne auf seinem Mustang.