Anlässlich des Engagements des US-Konzerns Nike ab 2027 entdecken manche Politiker plötzlich patriotische Neigungen. Der Wirtschaftsminister Robert Habeck nutzt den Fussball als Vehikel.
Von manchen Beziehungen glauben Aussenstehende, sie würden ewig dauern. Doch dann, wenn das Ende verkündet wird und der erste Schock verdaut ist, kommen plötzlich allerhand Erinnerungen in den Sinn – daran, dass das Verhältnis doch seit geraumer Zeit ein wenig abgekühlt war, dass die Partner sich ein wenig entfremdet hatten, dass sie doch eigentlich eher zum Zweck zusammen geblieben sind.
Adidas und der DFB: Das ist eine solche Beziehung, von der manche den Eindruck hatten, sie sei unverwüstlich. Zusammen gehörten sie schon seit 1950, vier Jahre später fertigte der Sportschuster Adolf Dassler der deutschen Fussball-Nationalmannschaft Schuhe mit den von ihm erfundenen Schraubstollen an. Die Legende besagt, dass die Deutschen auf dem nassen, rutschigen Rasen des Berner Wankdorfstadions besseren Halt hatten als die favorisierten Ungarn – und auch deshalb 1954 Weltmeister wurden.
Kürzlich erst sorgte die jüngste Adidas-Kreation aus Herzogenaurach für allerlei Diskussionen: Ein pinkfarbenes Auswärtstrikot erregte manche Gemüter, wurde aber gleichwohl zum Verkaufsschlager. Bald aber ist diese Verbindung der vermeintlich Unzertrennlichen nach mehr als 70 Jahren Geschichte. Das DFB-Team wird ab 2027 im Trikot des US-Ausrüsters Nike auflaufen; am Donnerstagabend informierte der Verband dem Vernehmen nach den bisherigen Vertragspartner.
Die Erregung ist gewaltig: Ohne Adidas sei das Nationalteam nicht vorstellbar, heisst es nun vielerorts. Nicht nur aus dem Sport, sondern auch aus der Politik sind pointierte Einlassungen zu vernehmen. Mancher Exponent entdeckt plötzlich seine patriotischen Gefühle, auch Kapitalismuskritik ist wieder en vogue.
#DFB und #Adidas: Der deutsche #Fußball war immer auch ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte. Die #Nationalelf spielt in drei Streifen – das war so klar, wie dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert. Die Erfolgsgeschichte begann 1954 mit dem unvergessenen… pic.twitter.com/L51TPrpQSj
— Markus Söder (@Markus_Soeder) March 22, 2024
Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach, auf dem Nachrichtenkanal X (früher Twitter) recht aktiv, kommentierte: «Adidas soll nicht mehr Nationaltrikot im Fussball sein? Stattdessen ein US-Unternehmen? Halte ich für eine Fehlentscheidung, wo Kommerz eine Tradition und ein Stück Heimat vernichtet…» Und Robert Habeck, der deutsche Wirtschaftsminister, erklärte: «Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht.»
Vor allem Habecks Einlassung tönt eigenartig. Denn der Standort Deutschland ist ja in gar keiner Weise gefährdet. Sowohl der DFB als auch Adidas behalten ihren Hauptsitz in der Bundesrepublik, der Verband in Frankfurt, der Konzern in Herzogenaurach, eher schon könnte Habeck das Interesse Nikes als positives Indiz für die fortwährende Attraktivität der Marke Nationalmannschaft werten.
Die Bundesrepublik gilt manchen Kritikern wieder als der «kranke Mann» Europas
Die Aussage des Bundesministers zeigt allerdings, wie sensibel dieser Entscheid ist. Er geschah zu einem für Habeck sehr ungünstigen Zeitpunkt, nämlich in einem wirtschaftlichen Klima, wie es die Deutschen seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Das Land befindet sich in einer milden Rezession, die Wachstumsprognosen aus dem Wirtschaftsministerium wurden mehrfach nach unten korrigiert, unter den Industriestaaten steht Deutschland schlecht da. Die Bundesrepublik gilt manchen Kritikern wieder als der «kranke Mann» Europas. An solchen Nachrichten wird ein Wirtschaftsminister gemessen.
Nun ist von Habecks Faible für den Sport bisher wenig bekannt geworden. Seine Aussage aber ist aus einem ganz speziellen Grund originell: Habeck hatte früher einmal erklärt, dass er mit Patriotismus nichts anfangen könne, er finde ihn «zum Kotzen». Allerdings weiss Habeck um den Symbolwert des Sponsorendeals, weswegen er den Fussball nun mit dem Kofferwort «Standortpatriotismus» als Vehikel benutzt.
YESSS! 🙌 Endlich können wir euch unsere neuen Trikots zeigen! 😍 Kommentarspalte ist hiermit eröffnet 😎👇
Hier geht’s zum Shop:
Home: https://t.co/Uii23CQqtj
Away: https://t.co/olgfmgIWM1#UEFAEURO2024 pic.twitter.com/E9uweDQYjw— DFB-Team (@DFB_Team) March 14, 2024
Bald gehen also zwei deutsche Institutionen getrennte Wege. Wenn sich der Rauch einmal gelegt hat, wird man jedoch erkennen: Dieser Entscheid ist gar nicht einmal so überraschend, wie er auf den ersten Blick erscheint. Es ist vor allem der Zeitpunkt, der irritiert.
Der DFB befindet sich nicht nur sportlich in einer langen Krise, er erweckt auch immer wieder den Eindruck, orientierungslos zu sein. Den Verband plagen viele Probleme, und der Entscheid, den Wechsel von Adidas zu Nike gerade jetzt zu verkünden, trägt sicherlich nicht zur Ruhe bei – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Nationalmannschaft während der Europameisterschaft im eigenen Lande im Sommer ihr Quartier auf dem Konzern-Gelände von Adidas beziehen wird, wie schon an der EM 2021, als sie während ihrer Münchner Spiele dort logierte.
Abseits aller Nostalgie gibt es robuste Gründe für einen Sponsorenwechsel. Der DFB ist finanziell nicht sonderlich gut aufgestellt, der Verband braucht Geld. Und die Offerte von Nike beläuft sich nach Kolportagen auf etwa das Doppelte der von Adidas gezahlten Summe: 100 Millionen Euro pro Jahr sollen die Amerikaner zahlen. Wie viel der DFB Adidas tatsächlich wert gewesen wäre, bleibt einstweilen Spekulation.
Der Zeitpunkt des Einstiegs ist für Nike günstig. Die finanzielle Lage macht den Verband empfänglich für ein grosszügiges Angebot, anderseits vergehen bis zum Einstieg der Amerikaner auch noch drei Jahre. In dieser Zeit kann sich sportlich noch einiges zum Guten wenden. Nikes Engagement ist demnach vor allem eine Wette auf eine sportliche Kehrtwende im DFB.
Schon 2006 wollte Nike beim DFB einstiegen
Ausserdem ist das Interesse Nikes am DFB nicht neu. Schon einmal hatten die Amerikaner ein Angebot abgegeben, waren aber wegen der Unzulänglichkeit eines leitenden DFB-Angestellten nicht durchgedrungen: 2006 offerierte Nike einen Vertrag über acht Jahre, der dem Fussballbund eine halbe Milliarde Euro gesamthaft eingebracht hätte. Dass der Deal nicht zustande kam, lag vor allem daran, dass der Direktor der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, das Angebot persönlich überbracht hatte. Formal hätte Nike das Angebot schriftlich einreichen müssen.
Seinerzeit bot Adidas gerade ein Sechstel dieser Summe. Die Konkurrenz aus Herzogenaurach besserte nach auf inzwischen respektable 50 Millionen Euro pro Jahr. Aus dem DFB hiess es damals, es habe durchaus Gründe gegeben, die Offerte von Nike kritisch anzuschauen: Ein Engagement der Amerikaner hätte dem Team viele Präsenzpflichten auferlegt, was womöglich zulasten der Leistung gegangen wäre.
Über solche Details ist bisher nichts zum jüngsten Deal bekannt geworden. Klar aber ist auch, dass es der DFB unterdessen selber versteht, für Theater abseits des Spielfeldes zu sorgen.