Das Restaurant Rémy in Wiedikon steht für Zürichs schöne neue Gastrowelt: Man spricht Englisch, sitzt locker und tafelt ziemlich teuer.
«I would have to google it»: Die Antwort stammt von keinem Prüfungskandidaten in Anglistik, sondern von der Serviceangestellten, die uns an diesem Abend bedient. Als Herkunftsregion des offen ausgeschenkten Rotweins hat sie zunächst «Spain» genannt – so viel verrät schon die Karte. Um Präzisierung gebeten, verweist sie auf die Suchmaschine.
Die Begebenheit stärkt zwei empirisch abgestützte Thesen zur heutigen Gastronomie: Erstens korreliert in Zürich das Service-Fachwissen oft nicht mehr mit dem Preisniveau, zweitens müssen Einheimische damit rechnen, in Englisch bedient zu werden. So offenbar auch im «Rémy», wie das Lokal im denkmalgeschützten «Seebähnli»-Haus nahe dem Bahnhof Wiedikon seit anderthalb Jahren heisst. Vorher begeisterte dort das «Söko», dessen euro-asiatischer Spagat leider kurz währte. Auch diese Erkenntnis gehört zur brave new Gastrowelt: Kaum hat man etwas Vielversprechendes entdeckt, ist’s wieder weg.
Der in den Grundzügen kaum veränderte Raum hat an Coolness zugelegt, viel Schwarz steht für die neue Lockerheit der gehobenen Tafelkultur. Wir nehmen Platz in einer Ecke, neben dem wohl erst spätabends genutzten DJ-Pult und unter einer Box, die nicht allzu laute Lounge-Rhythmen von sich gibt. Der Lokalname lässt bei Cineasten den hinreissenden Animationsfilm «Ratatouille» anklingen: Darin rettet Rémy, die Wanderratte, als Genie am Herd ein serbelndes Lokal und bringt mit ihrer Kochkunst selbst das harte Herz eines misanthropischen Gastrokritikers zum Schmelzen. Und siehe da: Das Zürcher «Rémy» entzückt die nach jungem Publikum und trendigen Konzepten schielenden Gault-Millau-Tester. Obwohl vom rein englischen Service offenbar leicht irritiert, vergaben sie auf Anhieb 14 Punkte.
Das Team um den Pächter und Küchenchef Simon Müller setzt vor allem auf «naturnahe und saisonale Produkte», was heute ein verbreitetes Versprechen ist. Dass Gemüse «direkt aus dem eigenen Garten» Verwendung findet, ist allerdings aussergewöhnlich. Etwas viel frischer Schnittlauch ist über die angeblichen Sardellen auf zwei Brioche-Riegeln gestreut (Fr. 12.–), die wir von der kleinen Snack-Karte, dem einzigen À-la-carte-Angebot, zu den Apéritif-Drinks bestellen. Die Kombination passt, die Deklaration weniger, doch dazu später. Das Sauerteig-Brötli (Fr. 6.50) kommt gewärmt auf den Tisch, was im Trend liegt, obwohl es der Entfaltung des Aromas hinderlich ist.
Gerne wären wir beim Ordern darauf hingewiesen worden, dass das gleiche Brot dann beim vier- bis sechsgängigen Menu Surprise (Fr. 115.– bis Fr. 155.–, fleischlos ab Fr. 95.–) inbegriffen sein wird. Beim ersten Gang mimt ein gefülltes Mini-Cornet eine Karotte, als kecke Eskorte eines Rüebli-Salats an köstlicher Senfsauce mit Haselnüssen und Arganöl. Gelungen sind auch die mit Espuma-Häubchen gekrönten Ricotta-Parmesan-Ravioli an Riesling-Sauce und auf einem Pilzbett. Gebackener Blumenkohl vermählt sich mit Sommertrüffeln, Topinambur ebenso passend mit Beurre blanc, Limetten und Macadamianüssen. Ein ziemlich bleu serviertes Lamm-Nierstück kommt schliesslich an kräftigem Jus mit Rhabarberpüree – die herb-süsse Fruchtnote ergänzt prima den mineralischen Hauch des Lammfleischs.
Unsere Kellnerin – gemäss Akzent vermutlich französischer Muttersprache, die leider nicht zum Einsatz kommt – sei hier rehabilitiert mit Verweis auf ihr freundliches Auftreten. Sie stellt die Teller mit Erläuterungen und einem «Enjoy!» hin, schaut zwischendurch vorbei («Everything is good?») und serviert den Hauptgang mit der Bemerkung, sie könne noch mehr bringen, wenn man danach noch hungrig sei. Wir werden auch so satt, spätestens mit dem Dessert, einem Eis aus weisser Schokolade und Kaffirlimette, ummantelt mit Apfel-Espuma mit Pekannuss-Crumbles.
Etwas dünn fällt der Espresso (Fr. 4.50) aus, die Siebträgermaschine dürfte zu heiss eingestellt sein. Auch sonst hapert es hier und da mit der Detailpflege: Drei von fünf Gerichten mit gehacktem Schnittlauch zu bestreuen, wirkt irgendwann etwas repetitiv, ebenso der süssliche Grundton, der sich durch fast alle Gänge zieht. Und die vielen Szechuan-Pfeffer-Körner in einem der Cocktails verstopfen entweder das Röhrchen oder landen beim Nippen direkt im Mund.
Ach ja, noch zu den «Jahrgangs Sardellen», die eher Sardinen waren. Unser Hinweis beim Abschied löst beim Personal zunächst Entsetzen aus und dann die Erklärung, da sei auf der Karte ein Übersetzungsfehler passiert. Ein Fall für Google Translate vielleicht?
Restaurant-Bar
Rémy
Kalkbreitestrasse 33, 8003 Zürich
Sonntags und montags geschlossen.
Telefon 044 300 33 33
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.