Der scheidende Intendant Nicolas Stemann inszeniert Max Frischs Erfolgsstück «Biedermann und die Brandstifter». Seine Botschaft: Wir sind alle Brandstifter. Und er degradiert die Zuschauer zu nützlichen Idioten.
Drinnen im Theater herrscht Hochstimmung. Schenkelklopfendes, quietschendes Vergnügen. Unverfroren sind die Brandstifter, sie borgen sich von ihrem Opfer sogar die Streichhölzer. Doch Biedermann sieht in ihnen bloss nützliche Idioten. Sie werden mit ihrem Brandanschlag jenen Raum schaffen, den er für seine himmelstürmenden oder vielmehr unterirdischen Träume braucht.
Und während also drinnen eine hinterhältige Farce gespielt wird, schreiten draussen, im Foyer, die Männer zur Tat. Über eine Videoeinspielung sieht man, wie in der Garderobe jenes Benzin ausgeschüttet wird, das zuvor während zweier Stunden gut sichtbar auf der Bühne zwischengelagert worden ist. Vor dem Theatereingang wird ein Obdachloser ruppig aus seinem Schlafsack hervorgeholt und vertrieben.
Wenigstens der Obdachlose soll sich in Sicherheit bringen können. Dem Bürgertum drinnen – na ja, überraschend viele junge Menschen sitzen neben ein paar verlorenen Bürgern – wird keiner nachtrauern: Augenblicke später geht das schöne Schauspielhaus in die Luft. Und das Publikum klopft sich noch immer, oder erst recht, auf die Schenkel. Sind das jetzt alles Biedermänner und Biederfrauen, die im Parkett und in den Rängen ihrem eigenen Untergang zuschauen? Wie da ihr Theater abgefackelt wird, das sie so sehr verschmähen, dass die beiden Intendanten schon wieder gehen müssen?
Jedenfalls hat sich der Co-Intendant Nicolas Stemann etwas Hübsches ausgedacht für seine letzte Premiere. Bevor er dem Schauspielhaus den Rücken kehrt, lässt er es noch einmal richtig krachen. Vor 66 Jahren wurde auf dieser Bühne Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» uraufgeführt. Niemand hatte das Stück jenseits seiner platten und fadenscheinigen Konstruktion verstanden. Doch jeder durfte es auf seine Weise falsch verstehen. Und nicht einmal Frisch mochte es besonders. Trotzdem war und ist das Stück seither ein Riesenerfolg.
Zum Kreischen lustig
Stemann hat nun, weil dieses «Lehrstück ohne Lehre», diese verkappte Komödie, dann doch nicht viel taugt, ein wenig daran herumgeschrieben, manches gestrichen, einiges hinzugefügt, Endlosschleifen eingebaut, das kurze Stück vor allem in die Länge gezogen: um den Zürchern mit ihrem berühmtesten und unbeliebtesten Sohn zu zeigen, was für Spiesser sie doch eigentlich sind. Sie jubeln selbst dann noch, wenn man ihr teures, hassgeliebtes Theater am Ende in die Luft jagt.
Dabei muss man Pflaumen vor den Augen haben, um nicht schon in der ersten Szene zu merken, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Denn das Zürcher Premierenpublikum erkennt auf der von Katrin Nottrodt gebauten Bühne sein eigenes Theater. Man schaut sich selber zu, wenn zwischen rotem Plüsch und altrosa Stofftapete mit Kerzenlampen Biedermann und seine Brandstifter ihre Feuersbrunst herbeiführen: zum Gewinn des einen und zur Lust der anderen.
Will heissen: Das Zürcher Theaterpublikum – oder etwas allgemeiner: der Zürcher – ist Biedermann und Brandstifter in einem und somit auch der nützliche Idiot in eigener Sache. Und weil er, wie Biedermann bei Frisch, kein Hasenfuss sein will, findet er es zum Kreischen lustig, was ihm hier geboten wird: war es doch höchste Zeit, dass dieses Theater abgefackelt wird.
Denn nun können endlich, wie aus dem Foyer in einer Live-Schaltung mitgeteilt wird, über dreissigtausend unterirdische Parkplätze entstehen mit ein paar tausend extragrossen Parkfeldern für extragrosse SUV-Fahrzeuge. Da hat Nicolas Stemann den Zürchern, diesen Theaterbanausen, die sein Theater nicht mochten, eine tüchtige Lektion in Kapitalismuskritik erteilt. Und das Publikum johlt.
Auch dieses ideologische Süppchen lässt sich mit diesem Stück kochen. Nicolas Stemann musste dazu noch nicht einmal viel ändern. Denn gross und offen genug ist das Machtgefälle zwischen den beiden Bösewichten: den Brandstiftern hier, die den Biedermännern an den Kragen wollen; und den Biedermännern da, die die Brandstifter ins Haus lassen, weil ihnen die Zivilcourage fehlt oder weil sie nicht der Unmenschlichkeit bezichtigt werden wollen.
Jeder ist auch sein Gegenteil
Max Frisch hatte den Stoff bereits Ende der vierziger Jahre im Tagebuch bearbeitet, als die Tschechoslowakische Republik in einem Umsturz von den Kommunisten gekapert worden war. Seit der Uraufführung 1958 in Zürich las man in der Parabel dann wahlweise eine Warnung vor Kommunisten, Nazis oder Fremden. Nichts davon war Max Frisch ganz geheuer.
Stemann hebt das Stück auf die nächste Stufe: Bei ihm sind die Biedermänner zugleich die Brandstifter. Ein kleiner Trick in der Besetzung macht es offenkundig, dass alle Rollen nur dazu dienen, den Rollenwechsel zu praktizieren. Das beginnt mit Biedermann, der mit einer Frau besetzt ist, mit der grandios aufspielenden Patrycia Ziólkowska. Vielleicht kann tatsächlich nur eine Frau und eine Schauspielerin mit solchem Furor einem Mann eine derart fiese Visage geben.
Dieser Biedermann signalisiert, dass er auch sein Gegenteil ist. Im Brandstifter erkennt er sein anderes Selbst, der Brandstifter wohnt nicht nur in seinem Haus, er hockt immer schon in ihm selbst. Das gilt in gleicher Weise auch für die anderen Figuren: Schmitz, der Oberbrandstifter, wird von Niels Bormann verkörpert, der zugleich Biedermanns Dienstmädchen Anna spielt. Und Kay Kysela schlüpft sowohl in die Rolle von Biedermanns Gattin Babette – die er genau so spielt, wie sie heisst: als einfältiges Püppchen mit Turmfrisur – als auch in jene des zweiten Brandstifters Eisenring.
Und weil alle wiederum im Chor mitsingen, der die Handlung in Stemanns Bearbeitung weniger kommentiert als verlängert, werden sämtliche Schranken niedergerissen und alle Identitäten im Nichts aufgelöst. Spätestens hier endet Stemanns Versuch, das Stück auszudeuten, in vollkommener Beliebigkeit. Stattdessen beginnt der Klamauk, oder, um es weniger vornehm zu sagen, eine sich avanciert gebende Version des Schülertheaters.
Düpierte Fangemeinde
Als der dreiköpfige Chor einmal mit «Frau Mauch», «Herr Köppel» und «Sepp von der FDP» angesprochen wird, muss man es als Seitenhieb des gekränkten Intendanten gegen jenes Zürcher Establishment verstehen, das ihn aus Zürich weghaben wollte. Ab hier kennt das Schenkelklopfen im Publikum keine Grenzen mehr. Das scheint Stemann in mancher Hinsicht recht zu geben. Und gerade das müsste ihn ins Grübeln bringen. Vielleicht hat er seine Fangemeinde gefunden und ist endlich jenes Publikum ins Schauspielhaus gekommen, das sein Theater schätzt und versteht.
Der Haken daran: Das Publikum scheint nicht zu merken oder es geflissentlich zu übersehen, dass es, wenn es lacht, über sich selber lacht. Sie klatschen jenem Beifall, der vor ihren Augen ihr Theater Stück für Stück demontiert. Und der zugleich erklärt, dass sie, die entweder links (Frau Mauch), rechts (Sepp von der FDP) oder ganz rechts (Herr Köppel) gewählt haben, also ziemlich alle, Komplizen derjenigen seien, die im Foyer des Schauspielhauses einen Brand legen, damit das Grundstück gewinnbringend und nicht defizitär bewirtschaftet werde.
Denn das ist die wahre Pointe dieser Inszenierung: Sie behauptet, dass der Spiesser, der sich nicht als solcher erkennt, im Parkett sitzt und zugleich auf der Bühne der Totaldemontage seiner selbst beiwohnt. Eigentlich müsste er kleinlaut aus dem Theater verschwinden – oder ein gellendes Pfeifkonzert anstimmen.
Taugt auch Nicolas Stemanns Lesart von Max Frischs Stück nicht viel, so verdienen immerhin die schauspielerischen Leistungen grösste Bewunderung. Keine kreischt und kriecht hinreissender als Patrycia Ziólkowska, sie zeigt in ihrem Gesicht die Niedertracht von Biedermanns Seele. Kay Kysela und Niels Bormann spielen beide je zwei Rollen mit einer Virtuosität, dass zwischen die janusköpfigen Figuren kein Blatt geht und dennoch Abgründe sie trennen. Und die Musiker Sebastian Vogel und Thomas Kürstner schaffen einen grandiosen Live-Soundtrack zu einer Farce, die leider im Komödienstadel endet.