Die Schiene verliert im alpenquerenden Verkehr durch die Schweiz Marktanteile. Die Probleme der Deutschen Bahn sind nur ein Grund.
Die Eisenbahn hat am alpenquerenden Güterverkehr durch die Schweiz einen rekordhohen Marktanteil – dank grossen Investitionen in die Tunnels und Zufahrtsstrecken der Neat. Doch diese Erfolgsgeschichte ist nicht selbstverständlich. Vor einem Jahr mahnte die Hupac, die europäische Marktführerin im kombinierten Verkehr, es drohe eine Rückverlagerung von der Schiene auf die Strasse. Das ist nun eingetroffen, wie die Zahlen für das Jahr 2023 zeigen, die das Bundesamt für Verkehr (BAV) vor kurzem publiziert hat.
Der Bahngüterverkehr durch die Alpen ist gegenüber dem Vorjahr um 5,9 Prozent zurückgegangen. Der alpenquerende Verkehr auf der Strasse sank im vergangenen Jahr dagegen nur um 1,4 Prozent. Der Strassentransport litt gemäss dem BAV weniger, weil er beim Verkehr in die Schweiz stärker ist. Unter dem Strich sank der Marktanteil der Schiene um gut 2 Prozent auf 72 Prozent. Das mag nach wenig tönen. Doch das gesetzlich verankerte Verlagerungsziel von 650 000 Lastwagenfahrten pro Jahr wurde erneut deutlich verfehlt. Schon im Vorjahr hatte die Hupac festgestellt, dass die Verlagerung stagniere.
Eine rasche Besserung ist nicht in Sicht. Dass der alpenquerende Güterverkehr auf der Bahn zurückgeht, ist primär auf die konjunkturelle Lage in Europa zurückzuführen. Das BAV verweist auf geopolitische Entwicklungen wie den Krieg in der Ukraine, die Energiepreise und die Probleme mit den Lieferketten. Vor allem energieintensive Industrien wie die Chemie oder Stahlhersteller sind stark betroffen.
Zahlreiche Ausfälle
Die Probleme der Eisenbahn sind jedoch auch hausgemacht. Die Wettbewerbsposition der Schiene hat sich gemäss dem BAV zunehmend verschlechtert. Im zweiten Halbjahr waren über ein Drittel der Güterzüge über drei Stunden verspätet; jeder sechste Zug erreichte den Zielbahnhof mit seiner Ladung gar mit über zwölf Stunden Verspätung. Gemäss Branchenangaben fielen 10 bis 20 Prozent der Züge ganz aus. Die schlechte Qualität im alpenquerenden Güterverkehr sei ein Haupttreiber der rückläufigen Verlagerung, schreibt das BAV.
Die Hupac führt die Probleme insbesondere auf den Zustand des deutschen Bahnnetzes zurück. Die vielen Baustellen, die national und international zu wenig abgestimmt sind, machten der Branche zu schaffen, auch in der Schweiz. Im laufenden Jahr kommt es weiterhin zu unzähligen Einschränkungen: Auf der Achse von den Nordsee-Häfen in die Lombardei und nach Genua sehen die Bahnen 17 Grossbaustellen vor, die zu gesperrten Strecken oder einem einspurigen Betrieb führen. Zumindest soll die Totalsperrung der deutschen Rheintalbahn bei Rastatt im August erfolgen, wenn es wegen des Ferragosto in Italien ohnehin weniger Güterverkehr gibt.
Höhere Preise trotz schlechterer Leistung
Dazu kamen die zahlreichen Streiks der deutschen Gewerkschaften, die den Güterverkehr ebenfalls beeinträchtigen. Als gäbe es nicht schon genug Probleme, entgleiste im August 2023 im Gotthard-Basistunnel auch noch ein Güterzug. Dessen Teilsperrung schränkt die Kapazität ein. Immerhin reagierten die SBB und die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) rasch, indem sie Güterzüge umleiteten. Trotz der ungenügenden Qualität erhöhten die Bahnen die Preise, unter anderem wegen der Energie. Die hohen Kosten stünden in keinem Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen, so kritisiert die Hupac. Strassentransporteure senkten dagegen ihre Preise.
Der Bund verfolgt die Entwicklung mit Sorge. Im vergangenen Monat lud das BAV Branchenvertreter zu einem runden Tisch ein, um die Probleme mit den Baustellen besser zu meistern. Unter anderem sollen Güterzüge künftig flexibler durch die Schweiz geleitet werden. Immerhin dürfte bei der Nachfrage der Tiefpunkt erreicht sein. Die in der Chemielogistik tätige Bertschi-Gruppe geht davon aus, dass sich das Geschäft im laufenden Jahr auf tiefem Niveau stabilisiert.