Die von der EU geforderte vollständige Öffnung des Schweizer Strommarktes spaltet die Elektrizitätsbranche.
Zuerst wird im edlen Speisesaal eines Berner Hotels ein üppiges Mittagsmahl samt Rotwein serviert. Dann reden mehrere Topmanager aus der Strombranche den versammelten Parlamentarierinnen und Parlamentariern ins Gewissen. Die Chefs von Axpo, BKW, EWZ und zwei weiteren Stromunternehmen erklären, wie wichtig es für ihre Unternehmen und das ganze Land sei, endlich ein Stromabkommen mit der EU abzuschliessen.
Organisatorin des Anfang März durchgeführten Anlasses ist Swissgrid, die Betreiberin des Stromübertragungsnetzes, das die Schweiz mit dem Ausland verbindet. Kaum sind die Teller abgeräumt, verschicken die Unternehmen ein gemeinsames Communiqué: «Strombranche ist sich einig: Ein Stromabkommen mit der Europäischen Union bleibt oberste Priorität», lautet der Titel.
Kritik an Swissgrid
Bei einer Reihe von Firmen in der Elektrizitätsindustrie kommt das ganz schlecht an, wie mehrere Quellen gegenüber der «NZZ am Sonntag» bestätigen. Der Grund: Die Swissgrid könne nicht für die Branche sprechen. Denn diese bestehe längst nicht nur aus der Handvoll Unternehmen, die am Anlass dabei waren.
Der Swissgrid-Sprecher Kaspar Haffner weiss von der Kritik. Der Titel der Medienmitteilung sei tatsächlich nicht angemessen und sei in der Online-Version korrigiert worden, sagt er.
Die Episode belegt: Ein Abkommen mit der EU steht längst nicht bei jedem Stromunternehmen zuoberst auf der Prioritätenliste. In der Schweiz liefern 630 Netzbetreiber Strom – von Gemeindewerken bis hin zu kantonalen Versorgern. 70 Prozent davon besitzen keine eigenen Kraftwerke. Viele befürchten von einem EU-Abkommen Nachteile für ihr Geschäftsmodell.
Kleine Stromfirmen sind skeptisch
Das zeigt sich am Dachverband Schweizer Verteilnetzbetreiber (DSV). Dieser hat über 400 Mitglieder, insbesondere lokale und regionale Versorger in der Deutschschweiz und in Liechtenstein. «Ein geregeltes Verhältnis zur EU ist auch in unserem Interesse», sagt der Verbandspräsident Beat Gassmann zwar. Doch er betont: «Das bedeutet nicht, dass wir das Stromabkommen in der angedachten Form unterstützen.»
Ein Punkt, der den kleinen Netzbetreibern Bauchschmerzen bereitet, ist die von der EU verlangte vollständige Marktöffnung. Heute dürfen in der Schweiz erst einige zehntausend Grosskunden ihren Lieferanten frei wählen. Der Rest der über fünf Millionen Endverbraucher hingegen muss den Strom bei seinem regionalen Lieferanten beziehen.
Der DSV spricht sich grundsätzlich für eine vollständige Liberalisierung aus. Der Verband lehnt es aber ab, dass Kunden, die in den freien Markt wechseln und einen neuen Lieferanten wählen, später wieder zu ihrem ursprünglichen Versorger in die geschützte Grundversorgung zurückkehren können.
Beruhigungspille für EU-Gegner
Eine solche Option wird in der Politik, der Verwaltung und der Strombranche diskutiert. Mit ihr soll den Gegnern des EU-Vertrags und der Marktöffnung der Wind aus den Segeln genommen werden, wenn es wie erwartet zu einer Abstimmung kommt. Denn so wäre sichergestellt: Kleinkunden, die auf dem freien Strommarkt schlechte Erfahrungen machen, können diesem wieder den Rücken kehren.
Doch laut dem DSV-Präsidenten Gassmann wird mit der Rückkehrmöglichkeit eine Ungerechtigkeit geschaffen. «Damit die Netzbetreiber jederzeit Kunden beliefern können, die in die Grundversorgung zurückwechseln, müssen sie Energie für diese einkaufen», sagt er. Das Risiko der Beschaffung dieses zusätzlichen Stroms – etwa, zu welchem Preis dieser eingekauft werden kann – müssen aber die Kunden im freien Markt tragen, wie Gassmann erklärt.
Der DSV zeigt sich noch bei weiteren Punkten skeptisch. Gemäss EU-Recht könnte neu in einem Netzgebiet ein Unternehmen als Grundversorger definiert werden. «Damit würde aber der Markt beeinflusst, denn dieser Lieferant hätte gegenüber allen anderen einen Vorteil», kritisiert Gassmann. Darum gelte beim DSV: «Wenn das Resultat aus den Verhandlungen mit der EU vorliegt, werden wir dieses beurteilen und eine abschliessende Meinung fassen.»
Verhandlungsresultat abwarten
Auch Ronny Kaufmann, Chef des Stadtwerke-Netzwerks Swisspower, will sich nicht vor Abschluss der Verhandlungen festlegen. Er rät den Energieversorgern zwar, sich bereits auf eine mögliche vollständige Marktöffnung vorzubereiten. Die Frage, ob die Schweiz diesen Schritt aber wirklich gehen solle, «stellt sich für mich erst dann, wenn ein gutes Stromabkommen mit der EU vorliegt», sagt Kaufmann.
Wenn jemand für die Branche als Ganzes sprechen kann, dann ist es der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Dem Dachverband sind auch DSV und Swisspower angeschlossen. «Wir sind überzeugt: Für die Marktöffnung lässt sich ein Modell finden, das für alle tragbar und umsetzbar ist», sagt die Sprecherin Claudia Egli. Ob es eine Rückkehrmöglichkeit in die Grundversorgung geben soll, sei eine politische Frage. Wenn sie eingeführt werde, sei eines klar: Es müsse für alle Stromversorger Planungssicherheit geschaffen werden.
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