Dirk Hoke, der Chef des deutschen Unternehmens Volocopter und ehemaliger Airbus-Rüstungschef, glaubt an den Durchbruch des urbanen Flugtaxis für jedermann innerhalb von zehn Jahren.
Dirk Hoke, was passiert da gerade in der dritten Dimension der Mobilität? Warum müssen wir den Boden verlassen, um die Mikromobilität anzureichern?
Die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, wie wir Mobilität gestalten, verändert sich derzeit grundlegend. Diese Mobilitätsrevolution ist vergleichbar mit der Entwicklung des Autos vor über hundert Jahren oder auch des ersten Flugzeugs. Wie damals stellen sich die Verbraucher auch heute die Frage nach dem Sinn und Nutzen solcher Produkte aufgrund ihrer Neuartigkeit, aber auch wegen des Preises und der erforderlichen Infrastruktur. Wie bei jeder neuen Technologie gibt es eine lautstarke Minderheit, die diese zunächst ablehnt, während die breite Masse abwartet. Und einige möchten direkt einsteigen und mitfliegen.
Noch vor fünf Jahren war das autonome Fahren das vorherrschende Thema, dies schien allerdings dann noch verfrüht. Sind wir bei fliegenden Taxis heute in einem ähnlichen Frühstadium?
Tatsächlich wurde beim autonomen Fahren die Komplexität zunächst unterschätzt. In der Luft ist diese immerhin deutlich geringer als auf der Strasse, weil weniger Verkehrsteilnehmer auf grösserem Raum unterwegs sind. Vielleicht wird sich das autonome Fliegen sogar schneller durchsetzen. Gleichzeitig befinden wir uns in einem deutlich stärker regulierten Raum, in dem, wie grundsätzlich in der zivilen Luftfahrt, zahlreiche Genehmigungen erforderlich sind, um den kommerziellen Betrieb aufzunehmen. Wir sind bei Volocopter in der Zertifizierung führend und rechnen mit Aufnahme des Flugbetriebs noch in diesem Jahr.
Ein Visionär wie Elon Musk
hdt. Dirk Hoke beschäftigt sich seit 25 Jahren auf allen Kontinenten mit Digitalisierungsprojekten in Luftfahrt-, Automobil- und Technologieunternehmen. Er begann seine Laufbahn beim Autohersteller Renault und arbeitete während zwanzig Jahren bei Siemens. Vor seiner Berufung als CEO der Volocopter GmbH 2022 war er Rüstungschef der Airbus-Sparte Verteidigung und Raumfahrt sowie Airbus-Vorstandsmitglied.
Was gibt Ihnen diese Sicherheit?
Wir sind zuversichtlich, dass wir innerhalb von sechs Monaten nach der europäischen Zertifizierung durch die Flugsicherheitsbehörde Easa auch die FAA-Bewilligung in den USA erhalten. Die Anträge haben wir bereits gestellt und werden als einziger Flugtaxi-Betrieb nach der «SC Rotorcraft»-Richtlinie zertifiziert, eine Richtlinie für Hubschrauber, die auf uns angewandt wird, weil unsere Fluggeräte keine Flügel haben, sondern mit ihrem Multikopter-System mit Helikoptern vergleichbar sind. Mitbewerber, teilweise mit Jetantrieb, müssen gemäss «SC Powered Lift»-Richtlinie zertifiziert werden, die sich noch im Entwurfsstadium befindet. Wir hingegen bewegen uns seit 2019 in einem rechtssicheren Raum.
Und welche Vorteile können Sie daraus ziehen?
Wir müssen so schnell wie möglich fliegen, denn wir überzeugen die Bevölkerung nicht mit Ingenieursplänen am Reissbrett. Die Menschen müssen den Volocopter erleben. Nur so erreichen wir breite Akzeptanz. Ausserdem zeigen wir, dass die Sorge vor Lärmbelästigung und Dichtestress unberechtigt ist. Ein Volocity – so heissen unsere elektrischen Fluggeräte für den urbanen Raum – ist kaum lauter als eine Unterhaltung mit 55 bis 60 Dezibel und leiser als ein an uns vorbeifahrender LKW, und das kaum wahrnehmbare Fluggeräusch ist nicht mit dem hellen Surren von Spielzeug-Drohnen vergleichbar.
Wie steht es um die Sicherheit in einem Volocopter?
Die Luftfahrt hat die höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Das gilt auch für Evtol («electric vertical take-off and landing»). Wir sind mit unseren Multikoptern, bei denen 18 Rotoren gemeinsam arbeiten, hundertmal sicherer als ein Helikopter. Alle Systeme sind redundant und abgesichert.
Das würde bedeuten, dass Sie mit Ihren Multikoptern den Helikopter als Standard verdrängen könnten.
Das wird absehbar nicht passieren. Vielmehr sehen wir uns als eine wichtige Ergänzung zum Hubschrauber, auch weil die Batterietechnik noch nicht so weit ist, dass wir vollelektrisch die gleiche Reichweite hinbekommen. Zu Beginn wird der Fokus auf Strecken wie vom Flughafen in die Innenstadt, an Verkehrsknotenpunkten mit hoher Staubelastung, auf medizinischer Notfallversorgung und touristischen Flügen liegen. Und das alles, nicht zu vergessen, emissionsfrei.
Wie viele Personen können in einem Volocity maximal fliegen?
Ähnlich wie beim ersten Tesla, dem Roadster, war der erste Volocity ein Zweisitzer – ein Pilot, ein Passagier. Seit einem Jahr arbeiten wir an der nächsten Generation mit einem Piloten und vier Passagieren, immer noch im Multikopter-Design.
Aber auch der Kostenfaktor dürfte eine Rolle spielen.
Wir sind überzeugt, dass die zweite Volocopter-Generation als 1+4-Sitzer beim Energieverbrauch pro Kilometer und Sitzplatz von einem Elektroauto nicht mehr weit entfernt sein wird. Wir setzen sehr effiziente Systeme ein: nur wenige bewegliche Teile wie Rotoren und E-Motoren. Zur Übertragung der Steuerungssignale nutzen wir Lichtwellenleiter. Hydraulik, Pneumatik und andere wartungsintensive Komponenten und Systeme kommen nicht zum Einsatz. Die Wartungskosten machen entsprechend nur einen Bruchteil gegenüber denen aus, die beim Hubschrauber anfallen. Einrichtungen wie der deutsche Mobilitätsclub ADAC sind auch aufgrund der niedrigen Wartungskosten an Volocopter interessiert.
Muss man sich nicht vor einem rasch erreichten Sättigungsgrad an Flugkörpern in der Luft fürchten?
Wir werden auf absehbare Zeit eine wichtige Ergänzung zum Auto sein. Auch ist der Raum für die Infrastruktur in den Städten beschränkt. Wir sprechen von sogenannten «Vertiports» für Start und Landung von Multikoptern und zusätzlichem Platz für Parkflächen, Ladestationen und für Wartungshangars. Es gibt also für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre eine natürliche Begrenzung der Expansion von Flugtaxi-Einsätzen.
Noch sind Personentransporte per Multikopter nicht marktfähig. Wann wird der Preis für Flugtaxi-Kunden bezahlbar werden?
Letztlich brauchen wie ein Geschäftsmodell, bei dem wir Geld verdienen. Mit einem Zweisitzer geht das noch nicht. Ab drei Passagieren sieht das schon anders aus, aber nur, wenn wir bei den Handling-Kosten und den Landegebühren attraktive Preise bekommen. Dann können wir das System auch mit Ticketverkäufen finanzieren. Wir wollen auch kein Elite-Spielzeug. Ab einer Produktion von wenigen hundert Fahrzeugen nähern wir uns den Kosten für eine Taxifahrt.
Aber anders als Taxis haben Fluggeräte festgelegte Vertiports und Flugzeiten. Wie viele solcher Vertiports wird es 2035 von Volocopter geben?
Bis Ende des Jahrzehnts rechne ich damit, dass alle Anbieter von Flugtaxis zusammen die ersten wenigen Tausend Fluggeräte und die dafür notwendigen Start- und Landeports im Markt haben werden – verteilt auf viele unterschiedliche Regionen, Städte und Konzepte. Es wird dann noch keine Grossstädte mit mehreren hundert Fahrzeugen geben, aber viele Anwendungsfälle im urbanen und regionalen Raum mit Flugtaxis als zusätzliche Modalität für unsere täglichen Mobilitätsanforderungen. Auf diese Weise werden die Kunden schrittweise an die Dienstleistung herangeführt. In den 2030er Jahren wird die Einbindung in die Flugverkehrskontrolle und eine einhergehende hohe Automatisierung zu einem starken Anstieg der Produktionszahlen führen, dennoch sprechen wir nicht von einer exponentiellen Vermehrung der Fahrzeuge. Die Regularien erlauben dies für den Luftraum nicht. Es wird sich dann also nicht so anfühlen wie im Hollywood-Film «Das fünfte Element».
Und doch glauben Sie an den Durchbruch von Flugtaxifirmen wie Volocopter.
Ja, davon bin ich überzeugt. Obendrein glauben wir, dass wir über die nächsten Jahrzehnte einen massiven Anteil an der Dekarbonisierung der Luftfahrt tragen werden. Meine persönliche Überzeugung ist es, dass wir mit nachhaltigem Flugbenzin und Wasserstoff allein die Welt nicht retten. Wir müssen die «Elektrifizierung von unten» als zweiten Weg gehen. Entsprechend muss die Forschung auch bei der Elektrifizierung der Luftfahrt gefördert werden.
Wo sollen die kommenden Volocopter-Fahrzeuge gebaut werden, und wo werden sie fliegen?
Meine Vision ähnelt dem Vorgehen von Airbus: Präsenz auf drei Kontinenten und Produktion auf den Märkten, in denen wir unsere Kunden haben. Als Hauptquartier sehe ich Deutschland, eventuell einmal durch Frankreich ergänzt. Als zweiten Standort die USA, als dritten Asien.
Und in näherer Zukunft planen Sie mit Volocopter eine Präsenz bei den Olympischen Spielen von Paris im Sommer 2024. Haben Sie bereits eine Bewilligung dafür erhalten?
Wir haben bereits viele Hürden genommen, die Zusammenarbeit mit Aéroports de Paris und allen Behörden ist sehr fruchtbar. Generell ist die Mobilität in Paris im Umfeld von Olympia anspruchsvoll. Es soll fünf Vertiports im Stadtgebiet geben. Die Anzahl Fahrzeuge, Passagiere und Routen ist noch nicht endgültig festgelegt. Aber wir werden zeigen, wie die Zukunft der Mobilität in der Luft aussieht.