Im ersten Quartal konnten die Aktienmärkte mit deutlichen Gewinnen glänzen, obwohl die Erwartung baldiger Zinssenkungen durch die Notenbanken nach hinten verschoben werden mussten. Für den Rest des Jahres ist mit mehr Turbulenzen zu rechnen.
Die Kapitalmärkte sind mit viel Zuversicht ins Jahr 2024 gestartet. Obwohl die Hoffnungen auf kräftige Zinssenkungen der Notenbanken etwas gedämpft werden mussten und die Renditen an den Bondmärkten seit Jahresbeginn gestiegen sind, konnten die Aktienmärkte kräftig zulegen.
Dabei zeigt der nach wie vor starke Aufwärtstrend bei Technologieunternehmen in den USA, dass die Innovationen rund um das Thema künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen und das Vertrauen in die Ertragsentwicklung der Technologieunternehmen gestärkt haben.
Zuversicht in die volkswirtschaftliche Entwicklung
Die Zuversicht der Börsen beruht darüber hinaus aber auch auf einer positiven Erwartung im Hinblick auf die weitere gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die Befürchtungen einer bevorstehenden Rezession sind weiter in den Hintergrund getreten. Die Zuversicht ist zudem gross, dass die Inflationsraten in allen wichtigen Wirtschaftsregionen deutlich zurückgehen und die Zentralbanken bald mit einer Lockerung ihrer Geldpolitik beginnen können.
Die Entwicklung scheint einem Szenario zu entsprechen, das vor einem Jahr noch ziemlich ausgeschlossen schien: Dem Szenario einer makellosen Disinflation, man kann auch von einem «Goldilocks-Szenario» sprechen, bei dem die Inflationsraten kräftig sinken, obwohl die Wirtschaft weiter wächst und die Beschäftigung zunimmt.
Risiken im «Goldilocks-Szenario»
In diesem Bild werden einige Risiken allerdings zu stark ausgeblendet. So dürfte die im 2023 recht starke US-Konjunktur im laufenden Jahr tendenziell schwächer werden, denn die restriktive Wirkung der Geldpolitik kommt immer mit etwas Verzögerung. Auch wird der im Jahr 2023 erneut sehr starke Impuls von der Fiskalpolitik angesichts der enormen Zins- und Verschuldungslasten des amerikanischen Staates wohl kaum beibehalten werden können, unabhängig davon, wer im November die Präsidentschaftswahlen gewinnt.
In Europa muss sich die Wirtschaft noch aus der Stagnation befreien. Die Hoffnungen ruhen auf einem Anstieg des privaten Verbrauchs, der sich in den Indikatoren allerdings noch nicht abzeichnet. Auch wenn eine Rezession vermieden wird, was wahrscheinlich ist, sollten die finanziellen Belastungen höherer Zinsen für die privaten Haushalte und die Staatsverschuldung und vor allem für den Unternehmenssektor nicht unterschätzt werden, wo im laufenden Jahr in grossem Umfang Anleihe- oder Kreditfälligkeiten zu refinanzieren sind. Der Anstieg der Insolvenzzahlen und der Kreditausfälle, der schon im vergangenen Jahr zu beobachten war, dürfte sich fortsetzen.
Risiken für die Entwicklung bestehen auch darin, dass die Inflation sich doch als hartnäckiger erweist und die Zinssenkungen der Zentralbanken noch einmal verschoben werden. Auch drohen bei recht schwachem Wachstum Risiken für die Gewinnentwicklung der Unternehmen. So dürfte es schwieriger werden, kräftige Lohnkostensteigerungen in die Preise zu überwälzen. Die Europäische Zentralbank etwa rechnet damit, dass die kräftigen Steigerungen in den Lohnstückkosten (6% in 2023) auch durch sinkende Gewinnmargen der Unternehmen abgefedert werden und nicht zu wieder steigender Inflation führen.
Neben den «endogenen» Risiken in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gibt es die geopolitischen und wahlpolitischen Risiken im Jahr 2024, die die Finanzmärkte noch beschäftigen werden. Sie sind zwar kaum zuverlässig in Aktienbewertungen zu bepreisen, aber vorhanden sind sie doch. Sie relativieren in jedem Fall die Konfidenz, mit der Prognosen über den weiteren Jahresverlauf gemacht werden können, und erhöhen die Unsicherheit.
Kein schlechtes Aktienjahr, aber Volatilität kehrt zurück
Wie könnte es nach Ablauf des ersten Quartals also weitergehen im Jahr 2024?
An den Aktienmärkten wird es nach dem Höhenflug der vergangenen Monate sicherlich Phasen der Konsolidierung mit deutlichen Rücksetzern geben, denen dann dank einstiegswilliger Investoren auch wieder Aufwärtskorrekturen folgen. Auch das Aktienjahr 2023 war von einem kräftigen Einbruch in den Monaten von Juli bis Oktober geprägt. In 2024 ist ebenfalls wieder mit Turbulenzen zu rechnen. Das Bewertungsniveau dürfte am Jahresende meiner Ansicht nach kaum höher sein als heute.
Zinsstrukturkurve dürfte steiler werden
An den Anleihemärkten ist bei kürzeren Laufzeiten mit Kurssteigerungen beziehungsweise Renditerückgängen zu rechnen, wenn die Zentralbanken in den USA und im Euroraum daran gehen, die Zinsen im zweiten Halbjahr zu senken. Meine Erwartung liegt bei jeweils drei kleinen Zinssenkungsschritten.
Bei längeren Laufzeiten ist dagegen nicht mit Kurssteigerungen zu rechnen. Hier dominiert nicht der Einfluss der Zentralbanken, sondern die Tatsache, dass 2024 ein sehr hohes Volumen an neuen Bond-Emissionen durch Unternehmen und Staaten zu erwarten ist. Diese Emissionen müssen am Markt platziert werden, da die Zentralbanken als Käufer von Anleihen ausfallen werden. Das kann zu steigenden Renditen führen. Im Endergebnis dürfte sich die Zinsstrukturkurve im Verlauf des Jahres 2024 normalisieren und steiler werden («yield curve steepening»).
Fazit
Das Kapitalmarktjahr 2024 dürfte im grossen Ganzen nicht schlecht ausfallen, aber der fulminante Verlauf des ersten Quartals an den Aktienmärkten wird nicht indikativ sein. Die Volatilität wird zurückkehren und Risiken klarer erkennbar sein.
Auch an den Bondmärkten wird die Entwicklung von Nervosität geprägt sein, in einem Spannungsfeld zwischen Zinssenkungen der Notenbanken und einem sehr hohen Finanzierungsbedarf der Regierungen und der Unternehmen.
Es dürfte für Anleger kein Fehler sein, das Aktienmarktrisiko etwas zu reduzieren und am Rentenmarkt eher kürzere Laufzeiten zu bevorzugen.
Michael Heise
Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.