Bei CSS und Helsana sind die Kosten in der Grundversicherung deutlich gestiegen. Sind das Vorboten für noch höhere Krankenkassenprämien? Die Gründe und wie sich der Trend stoppen lässt.
Die Schweizer Bevölkerung ächzt jetzt bereits unter den hohen Krankenkassenprämien – und die Kosten in der Grundversicherung steigen weiter an. Das spricht für noch höhere Prämien in den kommenden Jahren. Im Jahr 2024 sind sie im Durchschnitt um 8,7 Prozent gestiegen, im Vorjahr um 6,6 Prozent.
Zwei der grössten Schweizer Krankenkassen, CSS und Helsana, gaben bei der Präsentation ihrer Geschäftsergebnisse bekannt, dass sie 2023 in der Grundversicherung Verluste eingefahren haben. Bei beiden sind die Kosten in der Grundversicherung im vergangenen Jahr deutlich gestiegen: Bei der CSS um 8 Prozent und bei der Helsana um 4,7 Prozent.
Legen die Kosten weiter deutlich zu?
Die Preisfrage ist nun, ob es sich hier vor allem um Nachholeffekte aus der Corona-Pandemie handelt – viele Operationen konnten damals nicht stattfinden – oder ob die Kosten in der Grundversicherung ein neues Plateau erreicht haben, von dem sie sogar noch weiter zulegen.
Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher geht von Letzterem aus. Er wolle nicht schwarzmalen, sagt er, «aber die Bevölkerung sollte sich für die kommenden Jahre auf weiterhin deutlich steigende Krankenkassenprämien einstellen». Das Schweizer Gesundheitssystem befinde sich in einer sehr herausfordernden Situation und es drohe eine zunehmende finanzielle Schieflage. In den kommenden Jahren könnte sich die Situation weiter verschlimmern, denn beim Personal könnten die Kosten aufgrund des Fachkräftemangels nochmals deutlich steigen.
Hohe Ansprüche als Kostentreiber
Die Krankenkassen und befragte Gesundheitsexperten geben mehrere Gründe für die stark gestiegenen Ausgaben in der Grundversicherung an.
Höhere Kosten für Medikamente: Die CSS hat im vergangenen Jahr 5,73 Milliarden Franken für Behandlungen ausgegeben. Medikamente waren davon der grösste Kostenblock und kamen auf einen Anteil von 23 Prozent an den Ausgaben.
Zu beobachten sei dabei eine hohe Zunahme bei einigen Präparaten gegen Multiple Sklerose, sagt CSS-Chefin Philomena Colatrella. Auch bei bestimmten Krebs-Medikamenten – zur Behandlung von Multiple Myelom und Brustkrebs – seien steigende Ausgaben zu sehen. In beiden Gruppen bezögen Patienten mehr Leistungen. Hinzu komme, dass für Medikamente gegen seltene Krankheiten sehr hohe Preise verlangt würden. So koste ein Medikament gegen eine seltene Krebserkrankung im Auge mehr als 400 000 Franken pro Jahr. Medikamente gegen eine seltene Stoffwechselstörung können bis zu 1,2 Millionen Franken jährlich kosten.
In Zukunft könnten zudem die neuen Abnehm-Spritzen, die ursprünglich für die Behandlung von Diabetes entwickelt wurden, für höhere Kosten sorgen. Schliesslich gehe die hohe Anzahl potenziell zu behandelnder Patientinnen und Patienten in die Millionen, sagt Colatrella.
Ausgaben für stationäre Spitalbehandlungen: «Wir sehen weitere Nachholeffekte aus der Zeit, in der stationäre Eingriffe auf Geheiss des Bundesrats nicht möglich waren», sagt die CSS-Chefin. Die Ausgaben für stationäre Spitalbehandlungen machten 20 Prozent der Kosten für Behandlungen aus und waren damit der zweitgrösste Kostenblock.
Laut Experten haben Krankenkassen zu wenig Anreize, Patienten günstiger im ambulanten Bereich behandeln zu lassen.
Ausbau des Leistungskatalogs in der Grundversicherung: Hinzu komme, dass immer wieder Leistungen aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG), dem die Zusatzversicherungen unterstehen, in die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) verschoben würden, sagt Colatrella. Dies mache die Grundversicherung teurer, da der Leistungskatalog ausgebaut werde. Auch das wirke kostensteigernd.
Höhere Ansprüche in der Bevölkerung: Laut Experten hat der Anstieg der Krankenkassenprämien auch sehr viel mit den hohen Ansprüchen der Bevölkerung zu tun. Diese wolle sich immer bessere und teurere Behandlungen leisten. Diese Dynamik zeige sich besonders in urbanen Gebieten und auch bei jüngeren Patienten der Generation Z. Dies könnte darauf schliessen lassen, dass die Anspruchshaltung in der Bevölkerung kein vorübergehendes Phänomen sein dürfte.
Anreize für «Überbehandlungen» im System: Man müsse bei den Gesundheitskosten aber auch über die Angebotsseite, nicht nur die Nachfrageseite sprechen, sagen Experten weiter. Das derzeitige System schaffe Anreize für «Überbehandlungen». Habe ein Spital zum Beispiel teure neue Geräte angeschafft, bestünden Anreize, diese regelmässig in Betrieb zu nehmen. Im Gegensatz zu anderen Ländern gebe es in der Schweiz zu wenig Mechanismen, die dazu führen, dass sich die Leistungserbringer bei Behandlungen und Operationen stärker zurückhalten.
Was im Gesundheitssystem zu tun wäre
Die Experten geben einige Hinweise, was zu tun wäre, um eine Schieflage im Schweizer Gesundheitssystem zu verhindern.
Katalog der Grundversicherung durchforsten: Der Basler Professor Stefan Felder etwa plädiert dafür, dringend den Leistungskatalog der Grundversicherung zu durchforsten. In den vergangenen Jahren habe die Politik den Leistungskatalog zu stark ausgeweitet. Der Bund habe seine Pflicht, die Leistungen nach Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen, vernachlässigt.
Beim Beispiel bei Abnehm-Spritzen sei es sehr wichtig, die Abgabe je nach Diagnose zu beschränken, sagen Gesundheitsökonomen. Sonst könnte sich dies punkto Ausgaben zu einem Fass ohne Boden entwickeln. Die Patienten brauchen die Spritzen zumeist wohl lebenslang.
Aus Sicht von Locher gibt es einige Instrumente, mit denen die Kosten gedämpft werden könnten. Sie werden aber zu wenig eingesetzt. Er empfiehlt, die Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung mittels Health Technology Assessments (HTA) zu überprüfen. Auch Indikations-Boards seien sinnvoll. Hier beraten fachübergreifende Teams anstatt eines einzelnen Arztes über das medizinische Vorgehen. Ein weiterer Ansatz ist «Smarter Medicine». Hier werden medizinische Behandlungen aufgelistet, die unnötig sind.
Anpassung der Franchise: Felder hat auch für eine Erhöhung der Minimalfranchise von derzeit 300 Franken plädiert. Müssten sich die Patienten stärker an den Kosten der medizinischen Behandlungen beteiligen, würden sie weniger oft zum Arzt gehen, sagt er. Die Einnahmen aus der höheren Franchise könne man für eine Dämpfung bei den Krankenkassenprämien einsetzen.
Leistungserbringer stärker in die Pflicht nehmen: Experten fordern zudem einen stärkeren Einsatz von Fallpauschalen. Die Vergütung von medizinischen Leistungen erfolgt hier pro Behandlungsfall, das soll die Kosten begrenzen.