Brent Lewin / Bloomberg
Unendliche Wälder, Villen im Kolonialstil, goldene Tempel: Eine Flussfahrt durch Laos führt in eine andere Zeit. Das komfortable Leben von Luxustouristen und das einfache Dasein der Einheimischen könnten kaum gegensätzlicher sein.
Die Touristen werden von der laotischen Crew wie Könige empfangen: mit Verbeugungen, Erfrischungstüchern und Limonade. An einem anderen Tag steht hinter der Gangway Kokosmilch bereit, serviert in Kokosnüssen und mit Strohhalm.
Es ist September, die feuchteste Zeit des Jahres, und alles klebt am Körper. Jetzt einfach Schuhe und Socken ausziehen, die Schuhe in den Schrank unter dem Kasten mit den Zimmerschlüsseln verstauen und dann barfuss über den blank geputzten Mahagoni-Boden den Gang hinunter. Meine Kabine ist Nummer 7, auf dem Hauptdeck die zweite Tür rechts. Auch hier: Mahagoni am Boden, Teak an den Wänden und an der Decke, auch im Badezimmer. Die Kabine ist – wie alle Räume der «Mekong Pearl» – komplett getäfert in dunklen, starken Farben.
Auf dem Nachttisch stehen frische Blumen. Die beiden Betten: verführerisch: Die Reise nach Laos war anstrengend, ich bin sehr müde. Ich nehme das linke und lege mich gleich hin. Vor mir: ein grosses Fenster, das bis zum Fussboden reicht. Dahinter: ein Geländer wie auf einer Veranda. Und viel Mekong, viel braunes Wasser. Und dann das andere Ufer, viel Grün. Die Klimaanlage läuft. In der Kabine ist es angenehm trocken und kühl: mein Rückzugsort in der Tropenhitze, der beste Platz auf dem Schiff. In einer halben Stunde gibt es Mittagessen.
Kurze Pause, Augen zu.
Die «Mekong Pearl» ist ein schwimmendes Hotel aus Mahagoni und Teak.
Unsere Route führt von Luang Prabang, der alten Königsstadt im Norden von Laos, 350 Kilometer den Fluss hinauf bis nach Chiang Khong hinter der Grenze zu Thailand.
Die «Mekong Pearl», unser Zuhause für die kommenden Tage, ist ein imposantes Schiff: 43 Meter lang, 8,5 Meter breit, 450 Tonnen schwer. Hinter dem Bug ziehen sich zwei Decks und ein Panoramadeck nach hinten. 15 Kabinen bieten bis zu 29 Passagieren Platz. In meiner Reisegruppe aus Touristikern und Journalisten sind wir nur 11 Personen, 5 weniger als die Besatzung.
Die «Pearl» und ihr Schwesterschiff haben eine Geschichte zu erzählen, die einiges aussagt über Laos. Das Land ist eines der ärmsten der Welt. Die Exporte steigen zwar, das Pro-Kopf-Einkommen ebenfalls. Vor der Pandemie verdienten Laoten knapp 2600 Dollar pro Jahr, das ist fast zehnmal so viel wie zwanzig Jahre davor. Aber als die «Pearl» (2009) und die «Mekong Sun» (2005) gebaut wurden, wussten die Arbeiter nicht, was eine Tiefkühltruhe ist. Sie kamen aus den Dörfern auf dem Land. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
Schiffbau in Laos – ein Abenteuer
Die Hälfte der Bautruppe konnte nicht lesen, schreiben konnten noch weniger. Kühltruhen, Kühlschränke, die Kücheneinrichtung, Möbel, die komplette Innenausstattung balancierten die Männer über eine schmale Planke an Bord. Der Rumpf der «Mekong Sun» wurde auf einer Sandbank verschweisst. Schutzmaske trugen die Arbeiter am Lötkolben keine. Eine Wollmütze tat’s auch.
Hans Engberding, der Inhaber der beiden Schiffe und Partner von Thurgau Travel, muss immer noch den Kopf schütteln, als er uns am ersten Abend an Bord besucht und davon erzählt. Die schmale Planke, die Wollmütze beim Schweissen: Die Männer liessen sich nicht davon abbringen.
Mittlerweile kann Engberding darüber lachen. Auch über Anfängerfehler, die er – ein Reiseunternehmer aus Westfalen ohne jegliche Erfahrung im Schiffbau – damals gemacht hatte. Zuerst hatte er chinesische Generatoren einbauen lassen. Doch nach einem Monat mussten die Maschinen bereits ersetzt werden. Dann liess Engberding japanische Fabrikate einfliegen. Das war zwar teuer, aber diese Generatoren erwiesen sich als zuverlässig.
Das nächste Problem: Die «Mekong Sun» war zwar fahrtüchtig, ausgerüstet mit kräftigen Motoren wie ein Frachter. Aber man hatte vergessen, eine Dämmung einzubauen. Die Maschinen machten einen Höllenlärm: nicht gerade das, was Touristen erwarten, wenn sie auf einer Flussreise auf dem Mekong in Ruhe die vorbeiziehende Natur geniessen wollen. Also musste das Schiff für drei Monate aus dem Verkehr gezogen, auseinandergenommen, mit einer Dämmung versehen und wieder zusammengesetzt werden.
Aber dann war es vollbracht: Das erste Passagierschiff überhaupt, das komplett in Laos gebaut wurde, konnte den Betrieb aufnehmen.
Von solchen Schwierigkeiten ist auf unserer Reise nichts zu spüren. Die «Mekong Pearl» ist ein schwimmendes Hotel. Das Essen ist hervorragend.
Am zweiten Abend werden Karottencrèmesuppe und gebratene Mekong-Algen mit Chilisauce und Klebereis serviert. Die knusprigen Algenblätter sind ein Leckerbissen. Der Hauptgang: Grilliertes vom Schwein an einer Knoblauch-Pfeffer-Sauce, schön zart. Das Dessert: gedämpfter Kürbis mit Sago-Kügelchen in Kokosmilchsauce, schön erfrischend.
Zwei Tage später gibt es Krabbensuppe mit Gemüse, Frühlingsrollen mit Glasnudeln, grillierten Tilapia-Fisch mit schwarzem Reis. Und zum Dessert Bananenkuchen, schön leicht.
Auch hier wird deutlich: Wir werden behandelt wie Könige an Bord. Der Kontrast zum Leben der Menschen an Land könnte kaum grösser sein.
Almosen geben im Regen
Das zeigt sich nach unserer ersten Nacht, als wir in Luang Prabang vor Anker liegen. Um 5 Uhr in der Früh klopft es an meiner Tür. «Guten Morgen!» Unser Reiseleiter Thomas Stukenbrok will uns etwas zeigen. Also auf, hinaus in den Regen, hinaus in die Stadt, denn dort tut sich bereits etwas in den Strassen.
Eine Strassenszene in Luang Prabang. Die Stadt bietet viele Gegensätze: buddhistische Tempel, Villen aus der Zeit der französischen Kolonialherren, Bars und Restaurants für Touristen.
Orangefarbene Kolonnen bewegen sich langsam den Häusern entlang, barfuss, mit geschorenen Köpfen und farbigen Regenschirmen. Es sind Novizen und Mönche der buddhistischen Klöster und Tempel der Stadt. Wie jeden Morgen sind die Knaben und jungen Männer in ihren auffälligen Gewändern unterwegs, um Almosen zu sammeln.
Konkret: gekochten Reis, der ihnen von wartenden Menschen am Strassenrand zugesteckt wird. Von Einheimischen, aber auch von uns. Plastikstühle, ein Teppich auf dem Trottoir und Reis in Bambustöpfen stehen schon bereit.
Stukenbrok zeigt uns, was bei der Zeremonie zu beachten ist: Schuhe ausziehen, die linke Schulter (die unreine Seite) mit einem Schal bedecken. Keinen Augenkontakt. Die meditierenden Geistlichen nicht ansprechen und schon gar nicht berühren. Das wäre respektlos.
Die Mönche und Novizen machen es wie Buddha, der eigentlich ein Prinz war, sein sorgloses Leben im Palast jedoch hinter sich liess und als besitzloser Wanderer von Gaben von anderen lebte. Auch sie leben weitgehend ohne materiellen Besitz. Nach 12 Uhr mittags dürfen die Männer nichts mehr essen und ihr Kloster nicht mehr verlassen.
Stukenbrok sagt: «Im Buddhismus sollte jeder junge Mann einmal in seinem Leben Zeit in einem Kloster verbracht haben.» Das könne auch kurz sein, ein paar Tage, eine Woche. Je länger, desto besser fürs Karma der gesamten Familie.
Eine Handvoll Reis nach der anderen verschwindet in den Almosenschalen, die die Kahlgeschorenen in ihren orangen Tüchern mit sich führen. Eine Gruppe nach der anderen schreitet wortlos und mit ernster Miene an uns vorbei. Dann ist die letzte Kolonne verschwunden, unsere Bambustöpfe sind leer. Es regnet immer noch.
In der alten Königsstadt werden traditionelle Riten gepflegt – zum Beispiel das Almosensammeln buddhistischer Mönche und Novizen.
Wir kehren auf unser Schiff zurück. Schuhe aus, Socken aus, zurück in die Kabine Nr. 7, in die komfortable Welt aus Mahagoni und Teak. Mein Bett ist frisch gemacht.
Hinlegen, kurze Pause, Augen zu.
Danach gibt es Frühstück: Toast, Käse, Tomaten, Gurkenscheiben, Aufschnitt. Gebratenen Speck und Würste gibt es auch. Oder Spiegeleier, Rühreier oder Omeletten mit Schinken, Tomatenwürfeln, Chili und Zwiebeln, frisch zubereitet von Herrn Ning, dem Chefkoch, der im Speiseraum auf dem Oberdeck hinter einer tragbaren Herdplatte bereitsteht. Oder Gipfeli mit Butter, Marmelade oder Nutella; Müesli, Milch, Joghurt, frische Früchte. Frisch gepressten Saft und Kaffee, so viel man will.
Unwirtliche Schönheit
Ein sanftes Brummen erfasst die «Pearl», das Schiff setzt sich in Bewegung, flussaufwärts.
Die letzten Häuser von Luang Prabang werden schon bald verschluckt vom dicht bewaldeten Ufer. Dann ist vom Menschen und von seinen Spuren in der Wildnis nichts mehr zu sehen. Vor uns, neben uns, hinter uns gibt es nur noch den Mekong, die «Mutter aller Wasser», wie die Laoten den Fluss nennen. Und immergrüne Hügel bis zum Horizont. Sonst nichts, stundenlang.
Nördlich von Luang Prabang gibt es nur noch den Mekong, die «Mutter aller Wasser».
Wie soll der Mensch dagegen ankommen, in dieser Landschaft, die alles erdrückt in ihrer unwirtlichen Schönheit? Die nichts wissen will vom Rest der Welt? «Hat jemand Internet-Empfang?» – «Nein, schon lange nicht mehr. Das üben sie noch, die Laoten.» – Gelächter auf den Liegestühlen auf dem Sonnendeck, wo meine Mitreisenden vergeblich auf ihre Smartphones starren.
Die ersten Europäer, die diesem Land etwas abzuringen versuchten, waren die Franzosen. 1893 wurde Laos zum Protektorat der Kolonialmacht und später Teil von Französisch-Indochina, wozu bereits das heutige Vietnam und Kambodscha gehörten. Villen im kolonialen Stil in Luang Prabang zeugen noch heute von dieser Zeit.
Doch hinter der Stadtgrenze ging für die neuen Herrscher bald gar nichts mehr. Die riesigen Teak-Wälder an den Ufern des Mekong wurden zwar gerodet. Doch ein Geschäft waren die edlen Hölzer kaum. Im wilden Niemandsland von Laos war kein Durchkommen. Strassen gab es keine, Eisenbahnlinien erst recht nicht. Die meisten Bemühungen der Franzosen, das zu ändern, blieben im Morast stecken.
Und so verzichteten die Kolonialherren weitgehend darauf, ihr neues Gebiet in Indochina zu entwickeln. Laos blieb ein rückständiges Land.
Das ist heute, siebzig Jahre nach dem Abzug der Franzosen und nach fast fünfzig Jahren kommunistischer Einparteiregierung, immer noch so. Zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung sind Bauern oder Fischer. Viele Familien auf dem Land sind Selbstversorger, viele Menschen in Laos haben wenig.
Geister beschwören
Die «Mekong Pearl» schiebt sich den Fluss hinauf, immer weiter, in gemächlichem Tempo. Brauner Mekong, grüner Wald, grüne Reisfelder am Hang.
Herr Vansee, der Kapitän, steuert das Schiff mit ruhiger Hand durch die Wassermassen. Er macht es mit Erfahrung und Gefühl. Bei Niedrigwasser müssen er und sein erster Offizier die Fahrrinne genau kennen. Von Auge ist nicht zu sehen, wo das Flussbett tief genug ist, damit die «Pearl» durchkommt, ohne Schaden zu nehmen. Ein Gerät zur Tiefenmessung gibt es nicht an Bord. Die Crew nimmt manchmal Bambusstöcke zu Hilfe. Am ersten Abend gab es Gebete, Musik und eine Runde Reisschnaps für Passagiere und Mannschaft, um die Geister zu beschwören, auf dass uns nichts passiere auf unserer Reise. Viele Laoten sind Animisten: Sie glauben daran, dass auch unbelebte Objekte eine Seele haben.
In den folgenden Tagen besuchen wir mehrere Dörfer unterschiedlicher Volksgruppen. Wir sehen, wie Mittelland- und Hochlandlaoten leben. Viele von ihnen wohnen in traditionellen Holzbauten auf Stelzen. Hühner, Enten, Kühe und Wasserbüffel laufen frei herum. Eine Frau sitzt an einem Webstuhl und webt einen farbigen Schal. Wer es sich leisten kann, baut sich ein Haus mit Mauern aus Stein. An einigen Behausungen zeigen Satellitenschüsseln zum Himmel.
Von der Welt da draussen dürften diese Menschen trotzdem nicht allzu viel mitbekommen. Thomas Stukenbrok sagt zwar: «Die Regierung will die Landbevölkerung mit dem modernen Leben vertraut machen.» Konkret heisst das: Fortschritt für alle, um jeden Preis.
Zehntausende Laoten wurden seit der Jahrtausendwende umgesiedelt, Hunderte Dorfgemeinschaften wurden aus den entlegenen Bergen vertrieben. Sie sollten sich in tieferen Lagen eine neue Existenz aufbauen. Zum Beispiel am Mekong. Und eines Tages vielleicht in Städten wie Luang Prabang, einem Knotenpunkt mit vielen Restaurants, Bars, Geschäften und Unterkünften für Touristen – und Perspektiven für Einheimische.
Doch der Plan scheiterte. Die meisten der Vertriebenen machen am neuen Ort genau so weiter wie bisher. Ihre Dörfer verlassen sie nur ungern. Sie bleiben lieber zu Hause, wenn möglich ein Leben lang. Ihre Felder bewirtschaften viele nur einmal im Jahr, damit sie genug zu essen haben. Mehr machen sie nicht daraus.
Der deutsche Schiffsbesitzer Hans Engberding beschreibt diese Mentalität so: «Die fleissigen Vietnamesen pflanzen den Reis. Die fleissigen Kambodschaner ernten ihn. Und die Laoten schauen dem Reis beim Wachsen zu.»
Aber die Dorfbewohner machen einen glücklichen Eindruck – vor allem die Kinder, die sich wahnsinnig freuen über unseren Besuch. Im Dorf, in der Schule, die dank Spenden von Touristen gebaut werden konnte, auf den Strassen. Sie freuen sich auch dann, wenn wir ihnen keines der gewebten Armbändchen abkaufen, die sie uns begeistert anbieten, in allerlei Farben und Mustern.
Vielleicht sind sie glücklicher als wir, die alles haben, um ihr Land bequem auf einem Schiff zu bereisen.
Zeit zum Nichtstun an Bord
So vergehen die Tage. Die «Mekong Pearl» brummt sanft vor sich hin, ein angenehmes Gefühl. Vor allem in ausgedehnten Pausen in der Kabine Nr. 7, nach dem Frühstück, nach dem Mittagessen, vor dem Abendessen. Sonst gibt es nicht allzu viel zu tun an Bord. Ausser lesen, Notizen machen, hinausschauen, wie das üppige Ufer gegenüber langsam vorbeizieht, bis einem die Augen zufallen. Oder eine Massage im schiffseigenen Spa. Und zwei, drei Partien Backgammon auf dem Sonnendeck, bei einem kühlen Bier.
Zwischendurch versucht die Crew, die Zeit mit kulinarischen Darbietungen zu verkürzen: Wir probieren exotische Teesorten und laotische Spezialitäten. Stukenbrok erzählt uns vom geheimen Krieg der CIA in Laos, die während des Vietnamkriegs hier operierte und den Norden des Landes jahrelang bombardierte. Am letzten Abend lassen wir Himmelslaternen steigen und wünschen uns etwas dabei.
Wir haben Zeit – wo würde das besser passen als in einem Land wie Laos?
Das Bild täuscht natürlich. Auch in Laos kann es schnell gehen. Irgendwann passieren wir eine Eisenbahnbrücke, in dem Moment braust ein Hochgeschwindigkeitszug darüber hinweg. Gebaut haben die Bahn die Chinesen. Genauso wie riesige Staudämme flussabwärts, südlich von Luang Prabang. China investiert auch im Goldenen Dreieck, kurz vor der Grenze zu Thailand und Myanmar. Dort ragen monumentale Kasino-Hoteltürme in die Höhe: Spielhöllen für chinesische Touristen.
Da ist mir das Nichtstun, ja, die Langweile auf unserem Schiff lieber.
Die Reportage wurde möglich durch die Unterstützung von Thurgau Travel.