Seit drei Jahren sind vielversprechende Gasprojekte im südafrikanischen Staat Moçambique gestoppt, wegen Terrorangriffen. Nun, da die Förderung anlaufen soll, vertreiben neue Attacken mehr als hunderttausend Menschen.
Im Flüchtlingslager Meculane haben die Behörden blaue Kreuze auf viele der Lehmhütten gemalt, die sich im hohen Gras verbergen. Das heisst: Die Bewohner sind ausgezogen, heimgekehrt in die Dörfer, aus denen die Jihadisten sie vertrieben hatten.
Aber die Hütten sind wieder voll: In der mosambikanischen Provinz Cabo Delgado sind die Menschen seit zwei Monaten erneut auf der Flucht. Weil die Jihadisten zurück sind und Dörfer angreifen, Kirchen und Häuser anzünden, Kinder entführen. Sie bringen Krieg über eine Gegend, von der es noch vor wenigen Jahren hiess, sie werde bald das Eldorado sein.
Albino Colomo teilt seine Hütte mit der ganzen Familie – Mutter, Schwiegermutter, Frau, Kinder, insgesamt zehn Personen. Einige schlafen vor der Hütte, der Platz drinnen ist zu knapp.
Es war Montagabend, 18 Uhr, als Colomo Schüsse hörte und wusste, dass die Terroristen zurück waren in Masese, seinem Dorf. «Ich weiss, wie Krieg klingt», sagt Colomo, der mit 37 Jahren alt genug ist, um in Moçambique schon früher Angriffe von Rebellen erlebt zu haben. Colomo packte seine Kinder und rannte in den Wald. Zwei Stunden später, es war schon dunkel, sahen sie, wie Flammen aus den Häusern schlugen.
Am nächsten Morgen glaubten sie, die Angreifer seien weitergezogen, und gingen zurück. Doch einige Stunden später fielen erneut Schüsse, Colomo rannte noch einmal. Und diesmal kehrte er nicht mehr zurück. Die Flucht dauerte drei Tage. Er hatte nichts bei sich ausser den Kleidern, die er trug. Von der Regierung gab es einen 25-Kilo-Sack Reis, von dem die Familie seit einem Monat lebt.
Doch es hätte schlimmer kommen können. Colomo war einer der Dorfchefs. Als er bereits in Sicherheit war, erreichte ihn ein Anruf. Verwandte sagten, die Terroristen hätten einen anderen Dorfchef gefangen genommen. «Sie schnitten ihm den Kopf ab und warfen ihn zur Seite», erzählt Colomo.
20 Milliarden Dollar, 100 000 Vertriebene
2010 sah es so aus, als würde sich in Moçambique alles zum Guten wenden. Geologen fanden ein gigantisches Gas-Reservoir vor der Küste. Ausgerechnet in Cabo Delgado, der ärmsten Provinz eines der weltweit ärmsten Länder. Internationale Firmen kamen ins Land, die Italiener von Eni, die Amerikaner von Exxon, die Franzosen von Total. Allein das Förderprojekt von Total war 20 Milliarden Dollar wert, manche sprachen von der grössten Einzelinvestition in Afrika. 2024 soll das Projekt nach langer Verzögerung endlich losgehen, eigentlich.
Doch stattdessen verzeichnen sie in Cabo Delgado gerade andere Rekorde. Mehr als 100 000 Menschen sind seit Jahresbeginn vertrieben worden. Sie fliehen vor einer Terrorgruppe, die zum Netzwerk des Islamischen Staates gehört und Anfang Februar eine neue Angriffswelle startete. Vor Ort nennt man die Gruppe, die 2017 losschlug, al-Shabaab, das heisst «die Jugend».
In Cabo Delgado sind Entwicklungshelfer zu Nothelfern geworden. Während der Geflüchtete Colomo erzählt, wägen Mitarbeiter der Schweizer Nichtregierungsorganisation Solidarmed 300 Meter entfernt Kleinkinder, die gefährlich unterernährt sind. Viele leiden an Durchfall. Ältere Personen haben Lungenbeschwerden, womöglich Tuberkulose.
Ein kurzer Boom
Vom Flüchtlingslager Meculane sind es etwas mehr als zwei Stunden Fahrt in die Provinzhauptstadt Pemba. Der Krieg ist nahe an die Stadt gerückt in den vergangenen Wochen. Doch man sieht es nicht auf den ersten Blick. Pemba, knapp 500 000 Einwohner, könnte auch ein verschlafener Ferienort in der Karibik sein. Kolonialgebäude bröckeln vor sich hin. Auf Billardtischen im Freien stossen junge Männer Kugeln umher. Am weissen Strand, der sich um den Ort zieht, werfen sich Kinder kreischend in die Wellen.
Im Hotel Pemba Express, 100 Zimmer, 65 Angestellte, eröffnet 2020, betritt Assif Osman die Lobby. Wenige können besser davon erzählen, was im Norden von Moçambique in den vergangenen Jahren vor sich ging. Er kommt aus einer Familie, die Ende des 19. Jahrhunderts aus Indien einwanderte und ihre Hände oft im Spiel hat, wenn in Cabo Delgado Geld gemacht wird. Osmans Grossvater gründete 1949 im Zentrum der Stadt einen kleinen Laden. Osmans Vater machte aus dem kleinen einen grossen Laden, der Baumaterial in der ganzen Region verkauft. Und Assif Osman macht neue Geschäfte, er ist unter anderem Hotelier.
Die Entdeckung der Gasvorkommen 2010 hatte in Cabo Delgado eine Goldgräberstimmung ausgelöst. Mosambikaner aus dem Süden und Ausländer zogen in das Provinznest Pemba, sie hofften, an die Geldtöpfe der Industrie zu gelangen. Während einiger Jahre, als die Firmen die Gasfelder erkundeten, funktionierte es. Auswärtige Geschäftsleute vermieteten Baumaschinen und Lastwagen, sie eröffneten Restaurants, importierten Fleisch und Früchte. Einheimische fanden Arbeit. Manche kauften sich Land, bauten ein Haus.
Und Assif Osman plante ein Hotel. Das «Pemba Express» sollte ein Businesshotel für die Gasindustrie werden: «Keine Swimmingpools oder Spas», sagt Osman, «aber gutes Wi-Fi und ein hübscher Schreibtisch zum Arbeiten.»
Ein Angriff mit 1400 Toten
Als er das «Pemba Express» Ende 2020 eröffnete, war der Boom schon vorbei. Stattdessen wurde Moçambique zuerst von einem Zyklon getroffen, durch den mehr als 100 000 Menschen ihr Zuhause verloren. Dann von Covid. Und in Cabo Delgado fielen Terroristen über Dörfer her.
«Die ersten zwei Monate waren trotzdem ermutigend», sagt Osman. Das «Pemba Express» war ausgelastet, Total hatte angekündigt, man werde nun mit der Förderung beginnen.
Doch dann passierte Ende März 2021 etwas, das Moçambiques Gasindustrie fast tödlich traf, bevor sie richtig begann. Die Terroristen von al-Shabaab griffen Palma an, den Ort, an dem Total seinen riesigen Komplex baute. Die Terroristen töteten laut Schätzungen 1400 Personen. Total stoppte das Projekt. Und in Osmans Hotel blieben die Zimmer leer.
Das «Pemba Express» ist wieder voll
Man sieht Pemba an, dass hier ein Aufbruch jäh abbrach. Am Flughafen hängen noch die Schilder von Baufirmen und Hotels, die um die Gasindustrie werben. Doch sie sind verbleicht. Neben den baufälligen Kolonialgebäuden am Hafen stehen neuere Bürogebäude und Hallen. Kaum ein Mensch ist zu sehen.
Das Hotel Pemba Express ist drei Jahre nach dem Angriff auf Palma zu einer Art Militärstützpunkt geworden. Während des Gesprächs füllt sich die Lobby mit Soldaten der rwandischen Armee. Sie unterstützen die überforderte mosambikanische Armee seit drei Jahren im Kampf gegen die Islamisten. Mit Erfolg, der Norden von Cabo Delgado, in dem die Gasfelder liegen, ist vorerst befriedet.
Dafür hat sich der Konflikt nach Süden verschoben, in Richtung Pemba. Viele fürchten, die Provinzhauptstadt könnte zum Ziel von Anschlägen werden. Gelänge al-Shabaab hier ein ähnlicher Anschlag wie jener vor drei Jahren, wäre das womöglich der Todesstoss für die Gasprojekte.
Assif Osman ist Optimist, er sagt: «Wir erleben die letzte Welle von Angriffen. Sie sind ein verzweifelter Versuch der Terroristen, sich zu zeigen.»
Doch die meisten in Pemba sehen das anders. Im Juli werden Truppen der südafrikanischen Regionalorganisation abgezogen, die die 2500 Rwander unterstützten. Mitarbeiter von humanitären Organisationen in Pemba sagen in Gesprächen, der Region drohe ein noch grösseres Desaster als das bestehende.
Ein Konflikt ohne Gesicht
Dass in Pemba ausser Assif Osman nur wenige daran glauben, dass die Terroristen bald besiegt sein werden, liegt auch daran, dass sie bis heute ein Mysterium sind. Der Staatspräsident von Moçambique, Filipe Nyusi, sagte einmal, der Terror in Cabo Delgado sei ein «Konflikt ohne Gesicht».
Hizidine Acha will diesem Konflikt ein Gesicht geben. Er sitzt zu Hause vor dem Laptop, er klickt, es erscheinen Aufnahmen von verkohlten Häusern, von verstörten Dorfbewohnern, die von einem Angriff erzählen.
Acha ist Korrespondent in Cabo Delgado für den überregionalen Fernsehsender STV, er öffnet einen neuen Ordner. Auf dem Bildschirm rollen rwandische Armeefahrzeuge über ungeteerte Strassen. «Die mosambikanische Armee war nicht bereit für den Terrorismus», sagt er. Nachdem 1992 in Moçambique ein langer Bürgerkrieg geendet hatte, sei die Armee heruntergewirtschaftet worden, sie sei schlecht ausgerüstet und unterbezahlt.
Dass der Konflikt in Cabo Delgado kein Gesicht hat, liegt auch daran, dass die Regierung dies so wünscht. Je mehr schlechte Nachrichten über brennende Kirchen und geköpfte Dorfvorsteher kursieren, desto länger dauert es, bis die budgetierten Milliarden fliessen.
Achas Chef hat einen guten Draht zur Regierung. Nicht einmal er wünscht, dass sein Journalist zu sehr nachforscht. Acha landet immer wieder einmal in Haft.
Acha klickt weiter. Getötete Menschen, manche nackt, Körper ohne Köpfe, Köpfe ohne Körper. Bilder, wie sie die Propaganda des IS verbreitet, der die Angriffe von al-Shabaab in seinen Netzwerken feiert. «Ich war verstört, als ich zum ersten Mal solche Bilder sah», sagt Acha. «Diese Form von Terror kannten wir nicht einmal aus dem Bürgerkrieg.»
Tansanische Anführer, lokale Ursachen
Es gibt viele Erklärungsansätze für den Terror in Cabo Delgado. Die Regierung sagt, er sei importiert. Fundamentalisten aus dem Nachbarland Tansania und anderen afrikanischen Ländern seien nach Cabo Delgado gekommen, wo sie junge Muslime indoktriniert hätten.
Tatsächlich sind einige der Anführer von al-Shabaab Tansanier, es gibt auch Kämpfer aus Kenya oder Kongo-Kinshasa. Es gibt Hinweise darauf, dass Geld über IS-Netzwerke nach Cabo Delgado fliesst. Al-Shabaab hatte 2018 dem IS seine Loyalität erklärt.
Doch die meisten Experten warnen davor, die internationale Dimension der Rebellion zu überschätzen. Die Verbindungen zum IS sind lose, ein Teil der ausländischen Jihadisten soll wieder abgezogen sein.
Jene, die sich am besten mit dem Konflikt auskennen, so wie Hizidine Acha, sagen: Das ist eine Rebellion, die durch jahrzehntelange Vernachlässigung verursacht wurde. Durch Regierungen, die sich nie darum scherten, was in der Region vor sich geht, die mehr als 2000 Kilometer von der Hauptstadt Maputo entfernt liegt. Regierungen, die weder Schulen, Spitäler noch Strassen bauten und darauf zählten, dass ausländische Hilfsorganisationen einspringen würden.
Die meisten Kämpfer von al-Shabaab sind arbeitslose Jugendliche, frustrierte Bauern und Fischer, die im Jihadismus eine Beschäftigung und ein Einkommen gefunden haben. Die Gruppe begann als islamistische Jugendbande, deren Mitglieder bei traditionellen Imamen keine Antworten auf ihre Probleme fanden. Die Gruppe gründete eigene Moscheen. Später griff sie Polizeiposten an. Bald war sie stark genug, um ganze Orte zu erobern.
2024 soll es endlich losgehen
Und das Gas?
Auch der Journalist Acha hat gesehen, wie sich Pemba und die Region nach 2010 veränderten. Wie der Gas-Boom nicht nur Geld und Jobs brachte, sondern auch die Preise steigen liess, zum Beispiel für Fisch. Wie Auswärtige neben Moscheen Bars eröffneten. Schon bevor der Boom abflaute, war das eine gefährliche Mischung.
Acha glaubt trotzdem nicht, dass das Gas den Krieg gebracht hat. Vielleicht hat es ein schon randvolles Fass zum Überlaufen gebracht. «Du kannst das Gas aufgeben», sagt Acha, «aber der Krieg geht weiter, solange sich nichts Grundlegendes in unserem Staat ändert.»
Dafür gibt es keine Anzeichen. Die Regierung setzt auf eine militärische Lösung. 2024 sollen das Gas und damit das Geld endlich strömen. Total versucht Banken davon zu überzeugen, einst in Aussicht gestellte Milliardenkredite freizugeben. Die Sicherheitslage habe sich beruhigt. Beim Gas-Terminal in Palma herrscht bereits wieder geschäftigeres Treiben. Ein Angestellter eines Zulieferunternehmens, der beim Terminal arbeitet, sagt, mehrere hundert Leute seien vor Ort. Sie würden Strassen planieren, Container verschieben, Unterkünfte für die Arbeiter herrichten.
Ein paar hundert Kilometer entfernt, im Süden von Cabo Delgado, wohin die Jihadisten nun ausgewichen sind, sitzt Albino Colomo vor der Hütte, die ihm die Regierung im Flüchtlingslager zugewiesen hat. Er kennt den Krieg. Vom Gas, sagt er, habe er nur gehört. Er sagt: «Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht. Aber ich will, dass es aufhört.»