Eine Mutter trennt sich kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes vom leiblichen Vater. Als Vater wird der neue Partner der Mutter eingetragen. Das will der leibliche Vater nicht hinnehmen und klagt. Seine Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.
Sechs Kinder hat die Frau, von vier Männern. Von dem Vater ihres sechsten Kindes trennte sie sich kurz nach dessen Geburt und wandte sich einem neuen Mann zu. Dieser erkannte die Vaterschaft an und wurde als gesetzlicher Vater eingetragen – noch bevor der leibliche Vater des Kindes dazu Gelegenheit hatte, denn die Frau liess entsprechende Termine beim Standesamt platzen. Das Kind wurde im April 2020 geboren, und sein leiblicher Vater Torsten E. kämpft bis heute um seine Anerkennung als dessen Vater. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bekam er am Dienstag Recht.
Eltern müssen grundsätzlich die Möglichkeit haben, Elternverantwortung für ihre Kinder zu erhalten und auszuüben, urteilte das höchte deutsche Gericht. Das geltende Abstammungsrecht verletze Torsten E. in seinem Elterngrundrecht aus Artikel 6 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber darf jetzt höchstens bis Ende Juni 2025 brauchen, um die Materie neu zu regeln.
Drei Kernpunkte enthält das Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Wer ein Kind zeugt, soll auch Vater sein dürfen. Die Mutter soll nicht allein bestimmen, wie viel Nähe zwischen dem Kindsvater und dem Kind entsteht. Und: Das Elterngrundrecht können auch mehr Personen als die beiden leiblichen Eltern wahrnehmen.
Mehr als zwei Personen können Eltern sein
Denn auch dies stellte das Gericht klar: Was Elternschaft ist, kann der Gesetzgeber regeln. Dabei könne er gleich entscheiden, ob es mehr als zwei Elternteile geben kann. In jedem Falle müsse zugunsten des leiblichen Vaters «ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm ermöglicht, anstelle des bisherigen rechtlichen Vaters selbst rechtlicher Vater seines Kindes zu werden.»
Massgebende Vorschrift ist der Paragraf 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dessen Grundgedanke ist vor allem, Vaterlosigkeit zu verhindern und familiäre Verhältnisse zu schützen. Das mag günstig für das Kind sein, wenn es eine enge Bindung zum Ziehvater hat und der leibliche Vater erst spät auf die Idee kommt, sich in den familiären Frieden hineinzudrängen. Im vorliegenden Fall jedoch hatte sich der Kläger von Anfang an gekümmert. Er war bereit zur Verantwortung, nicht nur finanziell. Seit der Geburt des Kindes hatte er sich um die Eintragung seiner Vaterschaft bemüht. Doch «der Neue» kam ihm zuvor.
Der Paragraf 1600 BGB billigt dem leiblichen Vater nur ein sehr begrenztes Vaterschaftsanfechtungsrecht zu. Die bisherige Rechtslage sollte auch Frauen davor schützen, mit einem Kind alleine zu bleiben, für das kein Mann Verantwortung übernimmt. Wer also mit dem Einverständnis der Frau als rechtlicher Vater eingetragen wird, der hat bisher Vorrang vor dem leiblichen Vater.
Was Buschmann plant, hätte dem Kläger geholfen
«Dies hatte im vorliegenden Fall zur Konsequenz, dass die Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater fachrechtlich an der inzwischen bestehenden sozial-familiären Beziehung des neuen Partners der Mutter und rechtlichen Vaters zu dem Kind scheiterte», stellten die Richter fest. Daran wird sich nun etwas ändern.
Bis 2003 existierte ein Vaterschaftsanfechtungsrecht überhaupt nicht. Auch damals war es das Bundesverfassungsgericht, das dem Gesetzgeber aufgab, Umgangsrecht und Vaterschaft zu regeln.
Die Karlsruher Entscheidung steht im Einklang mit den Plänen des liberalen deutschen Justizministers Marco Buschmann. Dieser will das Abstammungsrecht ohnehin reformieren. Er will die Rechtsposition von leiblichen Vätern stärken, die als rechtliche Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen möchten. «Solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, soll grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können», heisst es dazu aus dem Ministerium. Die Gesetzentwürfe sollen noch im ersten Halbjahr 2024 folgen.
Genau diese Regelung hätte der Karlsruher Kläger Torsten E. gebraucht. Denn seinen Antrag auf Anerkennung als Vater hatte er früher gestellt als der neue Partner der Frau.