Der konfessionell gemischte Staat steht bereits mit einem Bein in einem Krieg gegen Israel. Jetzt reisst der gewaltsame Tod eines christlichen Lokalpolitikers weitere Gräben auf. Denn viele Libanesen machen den Hizbullah dafür verantwortlich.
Pascal Sleiman war auf einer Landstrasse im Norden Libanons unterwegs, als seine Mörder zuschlugen. Angeblich zerrten sie den christlichen Lokalpolitiker am Sonntagnachmittag aus seinem Wagen und bedrohten ihn mit einer Waffe. «Bitte tötet mich nicht, ich habe Kinder», sollen seine letzten Worte gewesen sein – laut einem Freund, der zum Tatzeitpunkt gerade mit ihm telefonierte.
Am Montag wurde dann Sleimans Leiche gefunden. Man habe sie im benachbarten Syrien lokalisiert, meldeten libanesische Sicherheitskräfte. Seither herrschen in weiten Teilen Libanons Wut und Entsetzen. Zwar behaupten die Beiruter Behörden bislang, der brutale Mord gehe wohl auf das Konto gewöhnlicher Krimineller. Doch viele christliche Libanesen wollen das nicht glauben. Sie sind überzeugt, dass Sleiman einem politischen Komplott zum Opfer gefallen ist.
Der Mord trifft Libanon ins Mark
Bereits am Sonntagabend pilgerten deshalb christliche Politiker aus dem ganzen Land in das Küstenstädtchen Byblos, wo Sleiman bis zu seinem Tod für die Christenpartei «Libanesische Kräfte» (LF) als lokaler Kader aktiv gewesen war. Sogar Anhänger des mit den LF verfeindeten ehemaligen Staatspräsidenten Michel Aoun machten ihrem ermordeten Konkurrenten die Aufwartung.
Der Mord trifft Libanon ins Mark. Das Land steht ohnehin schon kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Im Süden tobt seit Oktober ein Grenzkrieg zwischen der proiranischen Schiitenmiliz Hizbullah und Israel, der jederzeit eskalieren kann. Und nach dem mutmasslich israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus letzte Woche geht in Beirut die Angst um, Teheran könnte von Libanon aus einen Vergeltungsschlag initiieren.
Viele Christen haben jedoch keine Lust, für Gaza oder Iran in den Krieg zu ziehen. Auch deshalb ist die Stimmung zwischen ihren Parteien und dem Hizbullah extrem angespannt. Immer wieder stellen sich christliche Politiker offen gegen die schwerbewaffnete Miliz, die in Libanon einen Staat im Staat bildet. Jüngst warnte sogar der maronitische Patriarch – der höchste geistliche Führer der Christen in Libanon – die Schiitentruppe davor, das Land in den Abgrund zu stürzen.
Viele Christen beschuldigen den Hizbullah
Deshalb ist es auch wenig überraschend, dass bereits kurz nach Sleimans Verschwinden viele Libanesen den Hizbullah für die Tat verantwortlich machten. In einer Rede am Montag wies dessen Chef Hassan Nasrallah die Verantwortung allerdings von sich. Gleichzeitig warnte er die christlichen Führer davor, sich weiterhin gegen seine Bewegung und den von ihr propagierten Kampf gegen Israel zu stellen. Gerade Sleimans Partei hatte dies in letzter Zeit aber in aller Deutlichkeit getan.
Dem Hizbullah wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, Attentate auf politische Gegner durchgeführt zu haben. Allerdings war Sleiman weder ein wichtiger Führer, noch galt er als besonders exponiert. Aber genau das macht offenbar vielen Angst: «Wenn der Staat nicht mehr fähig ist, uns zu schützen, dann werden wir es selber tun», sagte etwa der Christenpolitiker Ziad Hawat am Montag dem libanesischen Fernsehen.
Viele Christen fühlen sich in Libanon schon lange nicht mehr sicher. In dem wirtschaftlich kaputten Staat haben sie dem allmächtigen Hizbullah und dessen iranischen Verbündeten wenig entgegenzusetzen. In letzter Zeit wurden in den Christengebieten deshalb immer mehr Stimmen laut, die anstelle des bisherigen Zentralstaates in Libanon eine lockere Konföderation fordern, in der sich die Gemeinschaft in Zukunft um ihre eigenen Belange kümmern könnte.
Der Zorn richtet sich auch gegen die Syrer
Der Mord an Sleiman facht die Wut der Christen noch weiter an. Bereits am Sonntagabend versammelten sich zahllose aufgebrachte Anhänger der LF in Byblos. Am Montag blockierten sie dann die wichtigste Autobahn des Landes. Seither ist die Armee in Alarmbereitschaft, um den Ausbruch offener Feindseligkeiten in dem multikonfessionellen Land zu verhindern. Zuletzt war es 2021 zu blutigen Gefechten zwischen dem Hizbullah und christlichen Milizionären gekommen.
Sollte sich herausstellen, dass Sleiman nicht Ziel eines politisch motivierten Attentats geworden ist, sondern tatsächlich bloss Opfer eines ganz gewöhnlichen Verbrechens, dann würde dies die Lage allerdings kaum beruhigen. Denn laut Angaben der Behörden sollen es ausgerechnet Syrer gewesen sein, die den Politiker verschleppt und ermordet haben.
Der Volkszorn richtet sich deshalb auch gegen die syrische Minderheit im Land. Die rund 1,5 Millionen Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge sind in weiten Teilen von Libanon sowieso schon verhasst. Inzwischen zeigen erste Videos, die in den sozialen Netzwerken zirkulieren, wie Anhänger der LF angeblich wahllos Syrer jagen und verprügeln. «Ich weiss nicht, was jetzt auf uns zukommt», sagt ein syrischer Hausmeister in Beirut. «Aber es ist bestimmt nichts Gutes.»