Für die Swiss wäre die Einsatzplanung zu komplex geworden, wenn sie auf die Ungeimpften hätte Rücksicht nehmen müssen, argumentiert die Vertreterin der Fluggesellschaft vor Bezirksgericht Bülach.
Während der Pandemie, im Herbst 2021, hatte die Fluggesellschaft Swiss als erste Airline in Europa für ihr fliegendes Personal eine Impfpflicht eingeführt. Flight-Attendants, Pilotinnen und Piloten, die sich nicht gegen Covid-19 impfen liessen, wurde mit der Kündigung gedroht. Von rund 4900 Angestellten widersetzte sich etwa drei Prozent der Anordnung. Trotz akutem Personalmangel wurden damals schliesslich rund 150 ungeimpfte Mitarbeitende entlassen.
Derzeit laufen mehrere Arbeitsgerichts-Prozesse am Bezirksgericht Bülach. Im Fall von zwei Flight Attendants, die gegen ihre Kündigung klagten, hat vor wenigen Tagen die öffentliche Replik und Duplik stattgefunden. Dabei tauschten die Rechtsanwältinnen der Klägerinnen und der Fluggesellschaft Swiss über mehrere Stunden ihre Argumente aus. Weitere Verfahren sind hängig. Urteile sind frühestens in zwei bis drei Monaten zu erwarten.
Die Rechtsanwältin der beiden Klägerinnen verlangt von der Swiss Zahlungen von rund 23 000 und 20 000 Franken an die beiden Ex-Angestellten. Der einzige Grund für die Kündigungen sei gewesen, «dass die Swiss ihre autoritären Machtvorstellungen durchsetzen und ein Exempel statuieren wollte», behauptete die Juristin im Gerichtssaal. Es sei um «ein reines Machtspiel» gegangen.
Die Swiss-Vertreterin verwahrte sich jedoch gegen solche «Polemik». Zum Zeitpunkt der Einführung des Impfobligatoriums habe ein akuter Personalmangel bestanden und die Swiss habe gar kein Interesse daran gehabt, ausgebildetes Personal zu verlieren.
«Nicht zielführend und nicht verhältnismässig»
Die Rechtsanwältin, welche die beiden Flight Attendants vertritt, stellte sich auf den Standpunkt, dass die Swiss als Arbeitgeberin nicht berechtigt war, ein Covid-19-Impfobligatorium für ihr fliegendes Personal einzuführen, durchzusetzen und bei Widerhandlung die Kündigung auszusprechen.
Die Swiss habe mit der lmpfpflicht für das Kabinenpersonal in schwerwiegender Weise in das Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft eingegriffen. Ein solches Vorgehen sei nur unter drei Voraussetzungen gerechtfertigt: Erstens müsse der Eingriff eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage haben, zweitens müsse er den angestrebten Zweck auch erreichen können und drittens müsse er verhältnismässig sein.
Im damals gültigen Gesamtarbeitsvertrag des Kabinenpersonals aus dem Jahr 2015 stehe zwar, dass die Swiss unter bestimmten Voraussetzungen eine Impfpflicht anordnen könne. Die Anwältin bezweifelte aber, ob die Covid-19-Impfung unter eine solche Impfung falle. Den die Covid-Impfung habe die Übertragbarkeit einer Infektion nicht verhindern können und selbst das Verhindern von schweren Verläufen sei nicht wirklich überzeugend nachgewiesen worden, behauptete sie.
Die Impfung habe auch ihren Zweck und ihr Ziel gar nicht erfüllt, da nicht habe verhindert werden können, dass sich das Personal gegenseitig angesteckt habe. Die Anordnung sei schliesslich «krass unverhältnismässig» und damit rechtswidrig gewesen: Nur «ein Mikrobruchteil» der Destinationen sei während der Pandemie für ungeimpftes Personal zeitweise geschlossen gewesen.
Von 116 Destinationen, welche die Swiss bediente, sei lediglich für 2 auf Langstreckenflügen und 1 in Europa eine Impfpflicht für das Kabinenpersonal ein Thema gewesen. Ihre beiden Klientinnen hätten stets 113 Destinationen bedienen können. Die Swiss-Anwältin nannte in ihrem Vortrag allerdings andere Zahlen.
Die Rechtsanwältin der Klägerin wunderte sich, dass die Swiss «zum Handling von einer derart geringen Zahl von Ausnahmen nicht in der Lage» gewesen sein soll. Zudem sei der Flugbetrieb ja stark eingeschränkt gewesen.
Neben der Swiss hätten nur vier weitere Fluggesellschaften eine Impfpflicht eingeführt. Und selbst die Muttergesellschaft, die Lufthansa, habe die Herausforderung ohne ein Impfpflichtobligatorium gemeistert. Die Anwältin der Swiss widersprach jedoch auch hier und zählte im Gerichtssaal mindestens zwölf andere Fluggesellschaften auf, die ebenfalls ein Impfobligatorium eingeführt hatten.
Hohe Anforderungen an die operative Einsatzplanung
Seitenweise referierten die Anwältinnen darüber, welche konkreten Einschränkungen und Einreisebestimmungen wann, für welche einzelnen Destinationen gegolten hatten. Die Anforderungen hätten zum Teil wöchentlich geändert, argumentierte die Swiss-Vertreterin. Zum Beispiel habe der Hamburger Flughafen während der Pandemie nicht weniger als 59 Mal die Vorschriften geändert.
Die Restriktionen seien viel zu komplex gewesen, um eine sinnvolle Einsatzplanung mit zum Teil ungeimpftem Personal aufrechterhalten zu können. Ungeimpftes Personal sei für viele Strecken nur noch mit operativen Schwierigkeiten einsetzbar gewesen. Laut der Swiss-Anwältin seien die beiden nicht geimpften Frauen nicht einsatzfähig und damit vertragsbrüchig gewesen.
Zur Einführung des Impfobligatoriums sei die Swiss aufgrund des Gesamtarbeitsvertrags berechtigt gewesen. Die Swiss habe ihre Crews bestmöglich schützen und eine Ungleichbehandlung des Personals aufgrund von dessen Impfstatus vermeiden müssen. Die Swiss sei bei der Massnahme sorgfältig und einfühlsam vorgegangen und habe dem Personal auch mehrere Monate Zeit für die Entscheidung eingeräumt.
Einer der beiden betroffenen Flight Attendants war erst im Januar 2023 gekündigt worden. Sie hatte mögliche allergische Reaktionen auf die Impfung geltend gemacht. Die Swiss-Anwältin wirft ihr vor, ihren Arbeitgeber vertragswidrig mit einer Verzögerungstaktik und sogar Lügen über ein Jahr «hingehalten» zu haben. Ein versprochenes medizinisches Attest sei nie eingereicht worden.