Internationale Zugfahrten sind mühsam. Aber die Bahnen verfolgen diverse Projekte, um das Reisen zu erleichtern, etwa den internationalen Online-Billettverkauf.
Als in Europa im 19. Jahrhundert das Eisenbahnnetz entstand, galten internationale Verbindungen als gefährlich: Ein Land hätte sie dazu missbrauchen können, um auf dem Schienenweg den Nachbarstaat zu überfallen.
Das ist einer der Gründe, warum der internationale Zugverkehr in Europa auch im 21. Jahrhundert unterentwickelt ist: Die Verbindungen sind schlecht, an den Grenzübergängen geht viel Zeit mit dem Personal- sowie dem Lokwechsel verloren, und der internationale Ticketverkauf ist für die Passagiere nervenaufreibend.
Ausgerechnet die Deutsche Bahn (DB), der auf dem Heimmarkt die teilweise marode Infrastruktur zu schaffen macht, will das grenzüberschreitende Geschäft aber forcieren. «Der internationale Fernverkehr ist für uns ein Wachstumstreiber», sagte jüngst Michael Peterson, der Vorstand für Personenfernverkehr der DB, in Brüssel. Auch die EU-Kommission möchte die Eisenbahn unterstützen, vor allem, um ihre Klimaziele zu erreichen. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr soll sich bis 2030 verdoppeln. Und der Schienenverkehr solle das Rückgrat der europäischen Mobilität werden, hat der belgische Ratspräsident soeben verkündet.
Volle Züge auf internationalen Strecken
Die europäischen Eisenbahnen verzeichnen gerade ein starkes Wachstum. 2023 transportierte die DB international 24 Millionen Passagiere, 21 Prozent mehr als 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Die Verbindung München–Zürich gehörte dabei zu den fünf Strecken mit dem höchsten prozentualen Wachstum.
Doch der grenzüberschreitende Verkehr sei komplex, sagt Peterson. Der Manager scheint sich deshalb bereits über kleine Erfolge zu freuen. So sei es gelungen, auf der Strecke Berlin–Amsterdam 30 Minuten Fahrzeit einzusparen durch den Einsatz einer Mehrsystemlokomotive. Dadurch entfällt ein Wechsel.
Während die Bahnen in solch kleinen Schritten versuchen, das internationale Geschäft zu beschleunigen, machen die Fluggesellschaften gerade so hohe Gewinne wie schon lange nicht. Die Swiss etwa erzielte 2023 gar einen Rekordüberschuss.
Erfolge verzeichnen zwar auch die Eisenbahnen: So verkehren zwischen Paris beziehungsweise Brüssel und London viel weniger Flugzeuge, seitdem Hochgeschwindigkeitszüge unterwegs sind. Die Reisenden steigen also um, wenn das Angebot stimmt. Das setzt aber hohe Investitionen in die Infrastruktur voraus. Um die Verbindung nach London zu beschleunigen, musste etwa der Ärmelkanal untertunnelt werden.
Deshalb ist es für Eisenbahngesellschaften schwierig, mit den teilweise sehr agilen Airlines wirtschaftlich Schritt zu halten. Vor allem Billigfluggesellschaften wie Ryanair und Wizz Air feilen weiter an ihrem auf Effizienz getrimmten Geschäftsmodell. Dadurch können sie vielfach günstigere Tickets anbieten als die in komplexen Strukturen gefangenen Eisenbahnen.
Es fehlt die europaweite Verkehrssprache wie in der Luftfahrt
Die Bemühungen, dem Bahnwesen mehr Effizienz einzuhauchen, verlaufen deshalb zäh. Die EU-Kommission brütet beispielsweise darüber, wie man «die nationalen Sprachbarrieren überwinden könnte, damit ein Zug auf verschiedenen Netzen fahren kann». Heute ist jeweils die nationale Sprache die Verkehrssprache, an der Grenze müssen die Lokführer gewechselt werden.
Möglich wäre laut der Kommission der Einsatz von digitalen Übersetzungshilfen. Einen grossen Schritt stellte es dar, wenn Englisch die Funktion der Verkehrssprache EU-weit übernähme. Ein Hindernis, um Lokführer international einzusetzen, fiele damit weg. Zudem könnten die Bahnen Lokführer international rekrutieren, so wie das Airlines bei Piloten seit langem machen.
Noch hat die EU nicht entschieden, was sie den Mitgliedsländern vorschlagen will. Wenn sich die Bahnen und die EU eines Tages aber tatsächlich auf die Verkehrssprache Englisch einigten, wäre das erst ein Etappenziel.
Danach würde es laut den Schätzungen eines Bahnmanagers noch 10 bis 15 Jahre dauern, bis die nationalen Regeln angepasst sind und die Umschulung stattgefunden hat. Zudem dürfte es Widerstand geben. Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB haben drei Betriebssprachen – Deutsch, Französisch und Italienisch. Man befürworte diesen Status quo, sagt ein Sprecher.
Immer wieder kommt es vor, dass die Bahnen Kooperationsprojekte initiieren, deren Umsetzung nur schleichend vorankommt. So sei beim europäischen Verkehrsleitsystem ETCS aufgrund der unklaren Regulierung ein Wildwuchs entstanden, sagt ein Manager. Das beschränkt die Reichweite der Züge. Der Eurostar beispielsweise braust zügig von Paris über Brüssel nach Köln – dort aber ist Schluss, obwohl es bis zum Bahn- und Flugverkehrshub Frankfurt nicht mehr weit wäre. Doch es fehlt an der technischen Schnittstelle, um die Züge weiterfahren zu lassen.
Wenigstens ein internationales Kooperationsprojekt scheint jedoch Fahrt aufzunehmen. Je nach Destination ist es noch immer sehr umständlich, ein internationales Bahnbillett zu lösen. Wie einfach ist dagegen der Kauf eines Flugtickets. Vergleichsportale bieten einen Überblick, so dass es sich erübrigt, die Websites der Fluggesellschaften abzuklappern.
Doch die europäischen Bahnen wollen aufholen. Demnächst werden sie die paneuropäische Buchungsplattform OSDM lancieren. Die DB wird im September die erste Stufe in Betrieb nehmen, die SBB sagen, sie stünde bei ihnen ab Ende 2025 schrittweise zur Verfügung. Laut Aussagen der Bahnen wird es dann möglich sein, ein einziges Billett für eine internationale Reise zu lösen.
Es fehlt das Geld
Solche Entwicklungen dauerten länger, als man sich das wünsche, sagt ein Bahnmanager in Brüssel. Das Risiko ist daher gross, dass auch die Hochgeschwindigkeitspläne der EU nur im Bummeltempo vorankommen. Die Kommission schreibt, dass es 10 362 Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecke in der EU gebe. Bis 2030 sollen 15 405 Kilometer hinzukommen.
Offen ist aber die Frage der Finanzen und welche Prioritäten die nationalen Eisenbahnen haben. Aus deren Sicht dürften Investitionen im Heimmarkt vielfach sinnvoller sein als der Ausbau internationaler Verbindungen. Die, wie es weit herum heisst, «notorisch kaputt gesparte» DB braucht bis 2027 fast 90 Milliarden Euro, um die Infrastruktur in Stand zu setzen. Auch andere nationale Bahnen benötigen viel Geld, um das nationale Netz auszubauen. Doch ausgerechnet die DB drängt darauf, dass die EU nationale Bahnvorhaben weniger stark unterstützt und mehr Geld in den internationalen Verkehr lenkt.
Doch Geld ist auf allen Ebenen knapp, nicht nur in den Nationalstaaten, sondern auch in der EU. Als diese ihre Ausbaupläne 2021 bekanntgab, waren die Zinsen niedriger.
Die Airlines werden für die Bahnen weiterhin eine harte Konkurrenz sein, das sieht man selbst bei Kleinigkeiten. So sind Flugticket-Portale wie Expedia oder Skyscanner allgemein bekannt, wer aber OSDM googelt, stösst nicht zuerst auf die Vertriebsplattform, sondern auf die Oberschwäbischen Dorfmusikanten.