Das Musik-Theater an der Wien zeigt eine Oper des Mozart-Kontrahenten Antonio Salieri: «Kublai Khan» wurde 1789 verboten, denn das Stück ist eine Satire auf die Moral und die Machtverhältnisse in Russland, das seinerzeit gerade die Krim besetzt hatte.
Die Ouvertüre verspricht Pracht und Spass. Platzt los mit Paukenschlag, schmückt sich mit Trompeten und weiteren Herrschaftsinsignien in blankem Dur, aber auch mit einem interessanten Moll-Schlenker samt fernwehseligem Flötensolo. Und siehe da: Als der Vorhang aufgeht, blendet uns der goldene Hofstaat des grossen Kublai Khan. Das blassblaue Gebirge, welches hinter den geschwungenen Palastdächern in den Prospekt-Himmel ragt, ist zweifellos der Himalaja. Und der Khan selbst, mit Hängebärtchen und Chinesenhut, schaut so edel und weise drein wie Anthony Quinn im Kino.
Alles Lug und Trug, so wird sich herausstellen. Und die schöne Musik dazu, die gibt es längst auf CD. Auch etliche der Arien aus der heroisch-komischen Oper «Cublai, gran kan de’ Tartari», die Antonio Salieri ein Jahr vor der Französischen Revolution vollendete, sind schon mehrfach eingespielt worden. Denn der Dirigent Johan van Slageren hat Salieris «Cublai» eigenhändig aus dem Archivschlaf geweckt, das Autograf transkribiert und anno 1998 am Musikfest Würzburg für die Uraufführung gesorgt. Warum aber kündigt das Musiktheater an der Wien jetzt, ein Vierteljahrhundert später, noch einmal eine «Uraufführung» an? Man kann sich nur wundern, dass der Wiener Intendant Stefan Herheim, der hoffnungsvolle Jungregisseur Martin G. Berger und der Dirigent Christophe Rousset sich auf diese PR-Mogelei eingelassen haben. Lohnt sich das etwa? Ausgerechnet bei einem so weithin unterschätzten Komponisten wie Salieri?
Zu viel Zucker drin
Der taucht auf der Bühne in Wien immerhin persönlich auf – in Gestalt des launigen Christoph Wagner-Trenkwitz – und freut sich mächtig, dass man endlich wieder seine Oper gibt. Als Conférencier führt er zugleich durch das Stück. Ohne seine Ansagen würde vermutlich auch niemand kapieren, worum es geht, wer hier wer ist und wo er sich gerade befindet. Was daran liegt, dass sich das Regieteam rund um Berger einfach zu viele Gedanken gemacht hat. Es gibt mehrere Zeitebenen. Die Schauplätze wechseln. Alle Figuren führen ein Doppelleben und kennen sich irgendwann mit sich selbst nicht mehr aus. Der güldene Tempel wackelt, dreht sich und offenbart auf der Rückseite eine schnöde Allzweckwand, mit Duschvorhängen.
«Ich habe dich doch erfunden!», sagt Salieri verdutzt zum Kublai Khan, der in einem Zeitsprung ins 21. Jahrhundert gebeamt wurde, nunmehr Anzug trägt und eine Schokoladenfabrik besitzt. Die exportiert weltweit Marzipan-Nougat-Pralinen, kugelrund und goldverpackt; sie heissen aber nicht Mozart-, nicht Salieri-, sondern «Kublai-Kugeln». Und verkaufen sich neuerdings schlecht: zu viel Zucker drin, nicht nachhaltig produziert. Ausserdem werde, klagt der Khan, der Markt gegenwärtig geflutet mit chinesischer Billigware.
Salieri spricht Deutsch, als wär’s ein Singspiel. Die Figuren antworten auf Italienisch, als wär’s eine Seria. Die Übertitelungsanlage liefert dazu Texte, die mit dem, was in den Arien und Rezitativen verhandelt wird, buchstäblich nichts zu tun haben. Das wird sehr schnell sehr anstrengend. Das Lästigste aber an diesem polyvalent programmierten Chaos ist der Umstand, dass sich auf der Bühne alle nach und nach zu Tode amüsieren. Krähen durcheinander, lachen sich schlapp, trinken, essen, tanzen, feiern schwulen Karneval, spielen einander Streiche oder miteinander Hoppe, hoppe, Reiter. Während das Publikum gähnt. Dass Komik auf diese Weise funktioniert, ist ein verbreitetes Theatermissverständnis. Die Alten – von Offenbach bis Buster Keaton, von Karl Valentin bis Loriot – wussten es besser.
Ausgesuchte Frechheiten
Martin G. Berger, der für seine durch Barrie Kosky inspirierten Operettenproduktionen bereits mit dem Faust-Preis ausgezeichnet worden ist, hat diesmal also kräftig danebengegriffen. Salieris kraftvoll-saftige Musik, brillant exekutiert von Les Talens Lyriques, ist schier chancenlos gegen diese Ulk-Übermacht. Und von der durchwegs guten, in einigen Rollen sogar sehr guten jungen Sängerbesetzung, die sich Rousset zusammengesucht hat, muss man sagen: Sie wird verheizt. Doppelt schade. Da im Nachgang eine CD-Edition entstehen soll, darf man gespannt sein, wie die Balance wiederhergestellt wird.
Auch die fein-ironischen Charakterzeichnungen, die Salieri den vier Hauptrollen – einem koloraturintensiven Seria- und einem lyrischen Buffo-Paar – angedeihen liess, gehen unter. Vor allem aber die ausgesuchten Frechheiten, die der Librettist Giambattista Casti den Höflingen des Kublai Khan in den Mund gelegt hat. Casti machte, wenige Jahre nachdem er das Werk gemeinsam mit Salieri gegen die kaiserliche Zensurbehörde verteidigt hatte, als Jakobiner von sich reden.
«Cublai, gran kan de’ Tartari» indes wurde damals abgesetzt. Die Oper verschwand, bevor sie aufgeführt werden konnte. Denn inhaltlich ist sie eigentlich eine relativ unverhüllte Satire auf Dekadenz, Nepotismus und die Unmoral des Adels, exemplifiziert am russischen Zarenhof unter Peter dem Grossen. Diese vorrevolutionäre Botschaft war 1789 nicht mehr tolerierbar für den aufgeklärten Kaiser Joseph II., nachdem er sich just für den Türkenkrieg mit der Zarin Katharina II. verbündet hatte. Und die hatte ihrerseits soeben die Krim besetzt.
Diese Koinzidenz zur Gegenwart verführt die Wiener Neuinszenierung einerseits zu bizarren Zeitsprüngen. Andererseits zu einem Abbruch der Aufführung. Aschermittwoch herrscht, nach dem ersten Akt. Die queere Party verkrümelt sich, man springt aus der Rolle und diskutiert nun, ob es statthaft sei, in Kriegszeiten noch Komödie zu spielen. Dann, immerhin, singt man teilweise doch noch, was der zweite Akt bereithält. Insgesamt fehlt nicht nur die Schlusspointe, sondern auch eine gute halbe Stunde Musik. Höchst gelungen war eigentlich nur der professionell philosophische Auftritt des Schosshündchens der Primadonna Marie Lys: ein Zwergspitz namens Loisi. Während das Frauchen sich als bengalische Prinzessin in diamantgleissende Königin-der-Nacht-Höhen emporsang, blieb er, völlig gelassen, in ihrer Designer-Handtasche sitzen.