Die Landesregierung hat ein Massnahmenbündel zur Verbesserung der Grossbankenregulierung in Aussicht gestellt. Sie plant Verschärfungen beim Kapital und will die Finma stärken. Doch vor radikalen Massnahmen schreckt der Bundesrat zurück.
Auch gut ein Jahr nach Verkündung der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS mithilfe von Staatskrücken sind zentrale Fragen ungeklärt. Hätte die nach der Finanzkrise von 2008 aufgebaute Notfallplanung für grosse Banken im Fall CS funktioniert, wenn die Übernahme durch die UBS gescheitert wäre? Oder wäre es zu einer Verstaatlichung der CS gekommen? Was ist zu tun, um den durch den Fall CS bekräftigten Eindruck einer faktischen Staatsgarantie für Grossbanken wegzubringen? Und generell: Wie soll die Schweiz künftig mit dem «Klumpenrisiko» UBS umgehen?
Die mittlerweile vorliegenden Expertenberichte liefern kein schlüssiges Bild. Die Hoffnung auf klarere Antworten ruhten deshalb auf dem Bundesrat. Dieser hat am Mittwoch auf fast 340 Seiten seine Analyse des Falls Credit Suisse und seine Lehren aus ihm vorgelegt. Die Frage, ob es bei einem Scheitern der UBS/CS-Fusion zu einer Verstaatlichung der CS gekommen wäre, beantwortet aber auch dieser Bericht nicht.
Der Bundesrat betont zwar seine Skepsis gegenüber dieser Option mit Verweis auf grundsätzliche ordnungspolitische Bedenken und hohe finanzielle Risiken. Doch er zeigt sich fast noch kritischer gegenüber dem quasioffiziellen «Plan B» einer Sanierung der CS, die unter anderem einen Chefwechsel und eine Umwandlung von speziell für solche Zwecke vorgesehenen Krisenanleihen in Eigenkapital vorgesehen hätte.
Laut Bundesrat war der Vertrauensverlust gegenüber der CS im Vorfeld des entscheidenden Wochenendes vom 18./19. März 2023 «derart umfassend», dass man die Erfolgschancen durch eine Sanierung mit neuem Verwaltungsratspräsidenten, dem Einsatz eines Sanierungsbeauftragten und einer erneuten Kapitalerhöhung als «höchst fragwürdig» beurteilt habe.
Laut gewissen Beobachtern wäre es bei einem Scheitern der Fusion zu einer vorübergehenden Verstaatlichung der CS gekommen. Andere Stimmen verneinen dies. Wieder andere sagen, dass dies offen geblieben sei, weil man die Wahl zwischen Verstaatlichung und Sanierung letztlich nicht habe treffen müssen.
Absage an Revolution
Die im Bericht aufscheinende Grundhaltung des Bundesrats ähnelt im Wesentlichen dem Gesamtbild der publizierten Expertenberichte von 2023. Erstens: Die nach der Finanzkrise von 2008 verstärkte Grossbankenregulierung habe für den Umgang mit der CS-Krise bedeutenden Nutzen gehabt. Zweitens: Es gebe jedoch in diversen Punkten Verbesserungsbedarf. Und drittens: Eine Revolution, zum Beispiel via Vervielfachung der Eigenkapitalanforderungen, Grössenbeschränkungen oder Zwangsabspaltungen, ist nicht erwünscht.
Der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen sowie die innenpolitischen Kosten einer globalen Grossbank in der Schweiz thematisiert der Bericht kaum. Der Bundesrat beschränkt sich im Wesentlichen auf die Bestätigung der bisherigen Finanzplatzstrategie. Das heisst etwa Folgendes: Die Regierung will weiterhin eine international bedeutende Rolle für den Schweizer Finanzplatz und sieht dabei die Weiterexistenz des hiesigen Hauptsitzes einer globalen Grossbank als wesentlichen Faktor. Anders gesagt: Aus Sicht des Bundesrats ist es weder nötig noch wünschbar, den UBS-Hauptsitz mit sehr strengen Regulierungen aus der Schweiz zu vertreiben.
Doch gewisse Verschärfungen soll es geben. Der Regierungsbericht diskutiert 37 mögliche Massnahmen. 22 davon empfiehlt er zur Umsetzung, und 7 weitere Massnahmen will der Bundesrat prüfen. Praktisch alle empfohlenen Massnahmen sollen für die vier offiziell «systemrelevanten» Banken in der Schweiz gelten – die globale UBS sowie die drei inlandorientierten Institute Raiffeisen-Gruppe, Zürcher Kantonalbank und Postfinance. Andere Massnahmen sollen für alle Banken gelten, und einzelne Punkte sind für alle Finanzinstitute einschliesslich Versicherungen vorgesehen.
Hier eine Auswahl von zentralen Massnahmen:
- Eigenkapital, Teil 1. Eine generelle Erhöhung der Kapitalanforderungen ist nicht vorgesehen. Gewisse Verschärfungen sind allerdings schon beschlossen. Und die UBS wird als Folge der Fusion aufgrund der geltenden Progression bei den Eigenmittelanforderungen künftig auch automatisch mehr Kapital halten müssen. Vereinfacht gesagt: Nach geltendem Stand muss die UBS Ende 2026 ohne Berücksichtigung der Risikogewichtung pro 100 Franken Bilanzsumme im Normalbetrieb Fr. 5.50 Eigenkapital halten. Nach dem Ende der Übergangsphase bis 2030 werden es etwa 6 Franken sein. Für ein Sterbeszenario muss die UBS zudem weiteres verlusttragendes Kapital (zum Beispiel Sonderanleihen, die in einer Krise zu Eigenmitteln mutieren) von knapp 5 Franken halten.
- Eigenkapital, Teil 2. Die systemrelevanten Banken sollen künftig mehr Eigenmittel für ausländische Beteiligungen unterlegen müssen. Faktisch gilt das vor allem für die UBS. Die besagte Verschärfung soll bewirken, dass die Schweizer «Mutterbank» der UBS (Stammhaus), welche die Schweizer Banklizenz der Aufsichtsbehörde Finma hat und die ausländischen Beteiligungen hält, mehr Eigenmittel halten muss. Im Fall CS war das Stammhaus der Bank kapitalmässig das schwächste Glied der Kette. Wegen früher gewährter Erleichterungen muss das Stammhaus der UBS derzeit Beteiligungen an ausländischen Töchtern nur zu etwa 60 Prozent mit Eigenmitteln unterlegen. Eine Erhöhung via Verordnung des Bundesrats ist vorgesehen. Gut denkbar ist laut Beobachtern eine Erhöhung auf 100 Prozent, aber offiziell beschlossen ist dies noch nicht. Diese Verschärfung, die dem Bund vorschwebt, würde die Eigenmittelanforderungen dem Vernehmen nach um deutlich mehr als einen halben Prozentpunkt der Bilanzsumme erhöhen. Genaue Zahlen liegen aber noch nicht vor. Im Weiteren soll es bei den systemrelevanten Banken künftig die Möglichkeit von bankenspezifischen Eigenmittelzuschlägen namentlich auf Basis von Stresstests geben. Auch hier sind die konkreten Auswirkungen noch offen.
- Krisenplanung. Der Bundesrat will die Rechtssicherheit bei der Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital im Rahmen einer Sanierung vor allem auf internationaler Ebene erhöhen. Dafür braucht er allerdings die Kooperation anderer Länder, vor allem von den USA. Ob dies realistisch ist, erscheint zurzeit zweifelhaft. Im Weiteren will die Regierung per Gesetz die Anforderung eines Abwicklungsplans auch für Stammhäuser (Mutterbanken) von systemrelevanten Instituten einführen. Der Begriff «Abwicklung» umfasst hier ein behördlich ausgelöstes Krisenszenario, das eine Sanierung oder auch einen Konkurs umfassen kann. Generell sieht der Bundesrat für systemrelevante Banken zudem zusätzliche Optionen für die Abwicklung vor. Was dies konkret heissen wird, muss sich aber erst noch zeigen. Im Übrigen strebt die Regierung klarere Regeln zur Krisenzusammenarbeit von Finanzdepartement, Nationalbank und der Finanzmarktaufsicht (Finma) an.
- Liquidität. Im Zeitalter von Twitter-Gerüchten und Geldabzügen per Mobiltelefon braucht es laut Bundesrat eine stärkere Liquiditätssicherung. Seit Anfang 2024 gelten bereits strengere Anforderungen für die systemrelevanten Banken. Und der Regierungsvorschlag zur Einführung eines staatlichen Liquiditätssicherheitsnetzes für systemrelevante Institute steckt schon im Parlament. Zur Diskussion steht auch die Steigerung des Potenzials für reguläre Liquiditätshilfen der Nationalbank gegen Sicherheiten der betroffenen Banken. Auch dazu muss Konkreteres noch folgen.
- Finma-Kompetenzen. Die Regierung will die Finanzmarktaufsicht stärken. Die Finma soll bei künftigen Krisen früher intervenieren können. Bei Rechtsdurchsetzungsverfahren gegen Banken soll die Behörde dies zudem im Regelfall statt wie bisher nur im Ausnahmefall öffentlich machen können. Die verstärkte Nutzung des Prangers soll die Banken disziplinieren. Die Finma wünscht zudem auch eine Kompetenz zur Verhängung von Bussen gegen Banken. Der Bundesrat hat sich am Mittwoch noch nicht direkt dafür ausgesprochen, doch er will die Sache prüfen.
- Firmenführung. Der Bundesrat will für systemrelevante Institute auf Gesetzesstufe verstärkte Anforderungen an die Führung der systemrelevanten Banken. Dazu zählt etwa eine konkretere Verankerung der Anforderungen an den Verwaltungsrat in Sachen Unternehmenskultur. Vorgesehen ist zudem für die systemrelevanten Banken und eventuell auch für weitere Banken die Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes («Senior Manager Regime») zur klareren Zuordnung der Verantwortlichkeit von höheren Kadern etwa bei aufsichtsrechtlichen Verletzungen. Das soll den Zugriff der Finanzmarktaufsicht (Finma) auf Verantwortliche erleichtern. Betroffen sein sollen mindestens der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung, eventuell aber auch noch weitere Kaderstufen. Solche Regimes gibt es schon zum Beispiel in Grossbritannien und Hongkong.
- Bonuspolitik. Der Bundesrat will eine gesetzliche Verankerung gewisser Vergütungsregeln, die bis anhin erst auf Stufe eines Finma-Rundschreibens existieren. Dabei geht es vor allem um die Ausgestaltung von Boni (mit Sperrfristen für die Auszahlung) und die Möglichkeit der Rückforderung von Boni im Krisenfall. Die Finma konnte ihre Regeln im Fall CS nicht genügend durchsetzen, weil sie gesetzlich nach Ansicht der Bank zu wenig klar abgestützt waren.
Was der Bundesrat nicht will
Diverse Massnahmen hat der Bundesrat diskutiert, aber verworfen. Dazu zählen Ideen wie die Zwangsaufspaltung der systemrelevanten Banken (Trennbankensystem), Grössenbeschränkungen, Bonusdeckel, die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die temporäre Verstaatlichung eines systemrelevanten Instituts als letzter Ausweg sowie eine Ausweitung des Einlegerschutzes.
Konkrete Vorschläge zu Gesetzes- und Verordnungsänderungen dürfte der Bundesrat 2025 in die Vernehmlassung schicken. Dabei will er auch die Erkenntnisse der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zum Fall Credit Suisse einfliessen lassen. Der PUK-Bericht soll Ende 2024 kommen. Das Thema wird in Bundesbern noch viel zu reden geben.