Im Luxusresort Bürgenstock soll im Juni auf höchster Ebene über eine Friedenslösung für die Ukraine diskutiert werden. Die Staatschefs tagen an einem geschichtsträchtigen Ort.
«Man befindet sich hier an einem der wenigen noch verbliebenen Orte dieser unruhigen Welt, wo man in den tiefsten Frieden eintauchen kann», schrieb der amerikanische Schriftsteller A. J. Cronin in den 1960er Jahren über den Bürgenstock. Unruhig ist die Welt auch heute wieder. Einmal mehr soll sie nun in der abgeschiedenen Hotelanlage ein Stück sicherer gemacht werden.
Im Juni werden sich hier zahlreiche Staatschefs zu einer Ukraine-Friedenskonferenz treffen. Das haben Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch offiziell bekanntgegeben. Vor der Medienkonferenz hatte Amherd den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski über den Entscheid orientiert. Selenski habe mit grosser Zufriedenheit reagiert.
«Der Bürgenstock lag als Konferenzort auf der Hand», erklärte Botschafter Gabriel Lüchinger, Leiter der Abteilung internationale Sicherheit des EDA, vor den Medien. Es gebe in der Schweiz nicht sehr viele Orte, wo man ein Treffen durchführen könne, das so hohe sicherheitstechnische Anforderungen stelle. Zur Konferenz erwartete die Schweiz 80 bis 100 Staatschefs aus aller Welt. Die Einladungen werden in diesen Tagen verschickt.
Mächtige und Schöne unter sich
Tatsächlich ist der Bürgenstock weit mehr als ein Hotel, er ist ein 60 Hektaren grosser Hotelberg. Aus dem 1873 gegründeten Grand-Hotel im Kanton Nidwalden ist im Laufe der Jahre ein Resort entstanden, das zwei Luxushotels und zahlreiche Residenzen umfasst. Auch unter dem neuen Besitzer, dem Staatsfonds von Katar, haben die historischen Gebäude und die Umgebung ihren Charme behalten.
Schon früh erlag der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer dem Zauber des abgeschiedenen Ortes hoch über dem Vierwaldstättersee, wo die Mächtigen und Schönen unter sich waren. Dreimal verbrachte der CDU-Politiker nach 1950 seine Sommerferien in der Innerschweiz. Wobei «der Alte», wie er respektvoll genannt wurde, den Begriff Urlaub sehr eigenwillig interpretierte. Denn Adenauer verlegte den Regierungssitz vom beschaulichen Bonn auf den noch viel beschaulicheren Bürgenstock. Von hier aus machte sein «fliegendes Kabinett» Weltpolitik. Gäste aus ganz Europa machten Adenauer ihre Aufwartung.
Adenauer nutzte die Wochen, die er in dem Nobelresort verbrachte, gerne für Ausflüge in die Umgebung. Dem gläubigen Katholiken hatte es insbesondere der Schweizer Nationalheilige Niklaus von Flüe angetan. Dessen Einsiedelei im nahe gelegenen Flüeli-Ranft besuchte er 1950 und scheint davon tief beeindruckt gewesen zu sein.
Fünf Jahre später stand der Kanzler vor der Entscheidung, ob er in die Sowjetunion reisen sollte, um mit den Kremlherren über die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen zu verhandeln. In dieser heiklen Situation, so wird berichtet, soll er erneut einen Abstecher zu dem Wallfahrtsort gemacht haben. Das Gebet zu Bruder Klaus habe ihn in seiner Absicht bestärkt, den schwierigen Gang nach Moskau auf sich zu nehmen.
Adenauer war der erste Politiker einer modernen Demokratie, der den verbindenden Charakter der Luxushotels in der abgeschiedenen Berglandschaft entdeckte. Vor ihm trafen sich hier Adelige aus halb Europa, um über Politik und familiäre Verbindungen zu sprechen. Parallel zu seiner Anwesenheit begann auf dem Bürgenstock eine neue Ära. Denn Fritz Frey, in dessen Besitz die Hotels 1953 übergingen, war ein genialer Netzwerker.
Der Hotelier baute die Anlage zu einer Märchenwelt in alpiner Umgebung aus. Die Mischung aus Heimatstil und Swinging Fifties begeisterte die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness. Auf dem Bürgenstock traf sich alles, was Rang und Namen hatte. So begegneten hier etwa der indische Premierminister Jawaharlal Nehru und seine Tochter Indira Gandhi dem Filmschauspieler Charlie Chaplin.
Auffallend war neben der Anwesenheit zahlreicher deutscher Staatsmänner wie Theodor Heuss, Walter Scheel und Helmut Schmidt die starke Präsenz israelischer Politikerinnen und Politiker wie des Staatsgründers David Ben Gurion oder der Ministerpräsidentin Golda Meir. Offizielle Treffen gab es in der Ferienanlage kaum, aber dafür zwanglose Gespräche am legendären nierenförmigen Pool.
An Glamour mangelt es jedenfalls nicht, lebten doch in den 1950er und 1960er Jahren die Filmstars Audrey Hepburn und Sophia Loren längere Zeit auf dem Bürgenstock. Hepburn heiratete gar ihren Schauspielkollegen Mel Ferrer in der malerischen Bürgenstockkapelle.
Geheimnisumwitterte Bilderberg-Konferenzen
Seinen Ruf verdankt der Bürgenstock auch der Tatsache, dass hier 1960, 1981 und 1995 die sogenannten Bilderberg-Konferenzen stattfanden. Die 1954 von Prinz Bernhard der Niederlande ins Leben gerufenen Treffen sollten die Zusammenarbeit zwischen Westeuropa und Nordamerika festigen. Das «Palace» als Tagungshotel wurde jeweils für andere Gäste gesperrt, so dass sich die hochrangigen Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Militär, Adel, Medien und Geheimdiensten ungestört treffen konnten.
Sowohl die Gästeliste als auch die besprochenen Themen waren geheim, so dass sich viele Legenden um diese Treffen ranken. Dennoch sind die Namen einiger Teilnehmer durchgesickert. So sollen der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger, der ehemalige US-Vizepräsident Walter Mondale oder der italienische Ministerpräsident und Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi auf dem Bürgenstock gewesen sein.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass die offizielle Schweiz den Bürgenstock erst Anfang der 2000er Jahre als Konferenzort entdeckt hat. Damals fanden Friedensgespräche zum Südsudan und zu Zypern statt. Denn der lange Felsriegel oberhalb des Vierwaldstättersees ist ein Traum für Sicherheitsverantwortliche. Die einzige Zufahrtsstrasse von Stansstad her lässt sich leicht abriegeln. Über den ehemaligen Militärflugplatz Buochs (NW) können hochrangige Gäste eingeflogen werden. Das Luxusresort verfügt jedoch über keinen fixen Helikopterlandeplatz.
Bürgenstock-Erklärung als Ziel
Die Ukraine-Friedenskonferenz ist aber eine ganz andere logistische Herausforderung, gilt es doch, 80 bis 100 Staatschefs aus aller Welt sicher auf den Berg und wieder hinunter zu bringen. Darunter so exponierte Persönlichkeiten wie Präsident Selenski. Die Schweiz hofft, dass der amerikanische Präsident Joe Biden anreisen wird. Die Chancen stehen gut, will Biden doch kurz davor am G-7-Treffen in Apulien teilnehmen.
Gemäss Botschafter Gabriel Lüchinger laufen die Vorbereitungen seit mehreren Wochen. Neben den politischen Gremien sind darin selbstverständlich auch die Schweizer Armee sowie die Polizeikorps von Nidwalden und Luzern involviert. Der Aufwand für die gesamte Konferenz bezifferte Aussenminister Cassis auf 5 bis 10 Millionen Franken.
Trotz dem grossen Aufwand ist aber bereits jetzt klar, wie unrealistisch die Hoffnung darauf ist, dass auf dem Bürgenstock ein Ukraine-Friedensabkommen abgeschlossen wird. Mit Russland wird nämlich eine der Kriegsparteien fehlen. Dies hat der russische Aussenminister Sergei Lawrow gegenüber Bundesrat Cassis erklärt. Das höchste der Gefühle wäre wohl die Verabschiedung einer Bürgenstock-Erklärung, die den Weg für den Friedensprozess ebnet. Doch auch wenn es nicht klappen sollte, wird der Name Bürgenstock in aller Welt präsent sein.