Viele Primar- und Sekundarlehrer wechseln nach wenigen Jahren die Stelle. Das sorgt für Unruhe im Schulbetrieb. Politiker verlangen Verbesserungen – vor allem für Klassenlehrer.
«Viele Lehrer verlassen ihren Beruf – weil sie überlastet sind.»
«Viele Lehrerinnen begnügen sich mit Mini-Pensen.»
«Wer will schon Primarlehrer oder Sekundarlehrerin werden heutzutage, da immer mehr Aufgaben an die Schule delegiert werden?»
Solche oder ähnliche Aussagen sind immer wieder zu hören, wenn Aussenstehende über Lehrerinnen und Lehrer sprechen. Sie liefern auch gleich eine Antwort auf die Frage, warum Primar- und Sekundarschulen seit Jahren mit einem Lehrermangel zu kämpfen haben: Der Beruf sei unattraktiv geworden – daher die vielen Aussteiger.
Die Zersplitterung in Teilpensen diene vielleicht den Teilzeitlehrern, aber sicher nicht der Schule – und am allerwenigsten den Schülerinnen und Schülern, die dadurch mit immer mehr Bezugspersonen zu tun hätten im Unterricht. Eine starke Beziehung zwischen Schülern und Lehrpersonen sei so kaum möglich.
Der Kinder-Knick
Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich hat am Mittwoch einen Bericht publiziert, der zumindest in diesen beiden Punkten für Klarheit sorgt. Im Schuljahr 2023/24 lag der durchschnittliche Beschäftigungsgrad von Kindergärtnerinnen, Primarschullehrern und Sekundarlehrerinnen im Kanton bei 69 Prozent. Das ist etwas weniger als vor sieben Jahren (71 Prozent). Von Mini-Pensen indes kann keine Rede sein, zumindest nicht als Massenphänomen.
Die Statistik des Schulpersonals zeigt jedoch deutliche Unterschiede bei den Geschlechtern. Bis zu einem Knick kurz vor der Pensionierung arbeiten Männer im Durchschnitt etwa 80 Prozent. Lehrerinnen unter 30 unterrichten deutlich mehr als ihre Berufskollegen in dem Alter. Aber danach – wenn viele Paare eine Familie gründen – sinkt der durchschnittliche Beschäftigungsgrad der weiblichen Pädagogen auf unter 60 Prozent.
Mit über 50 Jahren arbeiten Lehrerinnen wieder etwas mehr (rund 70 Prozent), aber weiterhin deutlich weniger als die Männer in den Kollegien. Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, dürfte auch im Lehrerberuf den Frauen deutlich schwerer fallen als den Männern.
Generell gilt: Wer Teilzeit arbeiten will, dürfte eine Teilzeitstelle finden. Der Lehrermangel spielt den Stellensuchenden in die Hände. Ein langjähriger Sekundarlehrer aus dem Kanton Zürich formuliert es so: «Mittlerweile müssen sich die Schulen bei den Kandidaten bewerben – nicht umgekehrt.»
«Die Zahlen zeigen, dass der Lehrerberuf attraktiv ist»
Doch die Zahlen der Bildungsdirektion stimmen zuversichtlich. Seit dem Schuljahr 2016/17 ist die Zahl der Lehrpersonen um 18 Prozent angestiegen (auf 18 462). Die Zahl der Kindergärtler, Primarschülerinnen und Sekundarschüler stieg im selben Zeitraum lediglich um 13 Prozent (auf 160 618). Rein statistisch gesehen also haben sich die Betreuungsverhältnisse in der Volksschule etwas verbessert.
Für Myriam Ziegler steht jedenfalls fest: «Die Zahlen zeigen, dass der Lehrerberuf attraktiv ist. Er steht für eine sinnstiftende Aufgabe in anspruchsvollen Zeiten.» Die Chefin des Volksschulamts freut sich vor allem über folgendes Ergebnis der Studie: Vier von fünf Lehrerinnen und Lehrern unterrichten nach sieben Jahren weiterhin im Kanton Zürich. Knapp die Hälfte (46 Prozent) arbeitet immer noch an derselben Schule, an der sie bereits 2016 angestellt war.
Man kann es auch anders sehen: Je mehr Zeit verstreicht, desto eher wechseln Lehrerinnen und Lehrer an eine andere Schule oder steigen möglicherweise ganz aus dem Beruf aus. Kinder und Jugendliche müssen sich auf jemand neues einstellen im Klassenzimmer, die – für guten Unterricht entscheidende – Beziehungsarbeit zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen beginnt vielerorts immer wieder von vorne.
Klassenlehrer stärken – aber wie?
Für Christian Hugi sind die nackten Zahlen der Bildungsdirektion denn auch kein Grund, sich zurückzulehnen. Der Präsident des Zürcher Lehrerverbands sagt: «Viele Lehrerinnen und Lehrer reduzieren ihr Pensum, weil es ihnen zu viel ist – weil sie Angst davor haben, auszubrennen.» Klassenlehrer seien hier besonders exponiert. Elterngespräche, Schülergespräche, Gespräche mit weiteren Fachpersonen in der Schule, Exkursionen, Arbeitswochen, weitere Projekte organisieren: Der Aufwand für all diese Aufgaben habe zugenommen.
Für Hugi ist klar: Klassenlehrer müssen stärker entlastet werden als von der Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) vorgesehen. Geht es nach dem ZLV, sollen sie für ihre «Managementaufgaben» 250 Stunden pro Jahr erhalten. Steiner hat vor einem Jahr 120 Stunden vorgeschlagen, 20 mehr als im geltenden Reglement festgehalten.
Christoph Ziegler, Kantonsrat der Grünliberalen und Sekundarlehrer von Beruf, findet ebenfalls, dass die Bildungsdirektorin nachlegen muss. In einer hängigen Motion fordern er und seine Mitunterzeichner, dass Klassenlehrerinnen und -lehrer 200 Stunden pro Jahr erhalten sollen, um ihrer Funktion gerecht zu werden. Klassenlehrer stärken will auch eine Gruppe von FDP-Parlamentariern um den Kantonsrat Marc Bourgeois. Sie möchte unter anderem die Pauschale für Klassenlehrer erhöhen – sofern diese mindestens 80 Prozent arbeiten.
Die Bildungsdirektion hat derweil im März einen Lehrermangel auf allen Stufen der Volksschule erklärt. Das bedeutet: Die Ausnahmeregel, dass Gemeinden Personen ohne Lehrdiplom (Poldis) anstellen und direkt einsetzen dürfen im Schulbetrieb, tritt im kommenden Schuljahr erneut in Kraft. Myriam Ziegler vom Volksschulamt hat indes auch hier eine positive Botschaft zu verkünden: Für Klassenlehrer sind derzeit 20 Prozent weniger Stellen ausgeschrieben als vor einem Jahr. «Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.»