Die schwerwiegenden Vorwürfe häufen sich. Gegen den amerikanischen Rapper laufen mehrere Verfahren.
Letztes Jahr taufte Sean Combs alias Puff Daddy oder P. Diddy sein neuestes Werk «Love Album». In einem zarten 7-minütigen Track huldigt er seiner ehemaligen Frau Kim Porter, die 2018 an einer Lungenentzündung starb. So süss und liebestrunken das Grammy-nominierte Album, so schwerwiegend sind die Vorwürfe, die seit dem Release gegen Combs erhoben werden.
Gegen den 54-jährigen Mogul der Hip-Hop- und R’n’B-Szene wird wegen Menschenhandels, sexuellen Missbrauchs, häuslicher Gewalt und organisierter Kriminalität ermittelt. Es ist bereits das sechste Mal, dass Combs wegen sexueller Straftaten juristisch belangt werden soll.
Die Köchin soll «postkoitales Essen» servieren
Die erste Klage datiert allerdings schon vom Mai 2017. Combs’ ehemalige Köchin, Cindy Rueda, klagte wegen unbezahlter Überstunden, Verleumdung, Zufügung von seelischem Leid und sexueller Belästigung. Auf Sexpartys in Combs’ Villa musste sie Combs regelmässig «postkoitales Essen» servieren, so Rueda. Einmal sei ein nackter Gast zu ihr in die Küche gekommen und habe verlangt, dass Rueda sein Geschlecht bewundere.
Nach eigenen Angaben war Rueda im Jahr vor der Klage entlassen worden, nachdem sie zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt worden war. Combs stritt alle Vorwürfe ab. Es handle sich um eine «frivole» Klage einer «verärgerten» Angestellten, so seine Anwälte. 2019 wurde der Rechtsstreit beigelegt. Rueda wurde eine Summe in unbekannter Höhe gezahlt.
Eine «Spirale von Missbrauch, Gewalt und Sexhandel»
Im November 2023 folgte der zweite Fall, der medial weit mehr Aufsehen erregte. Casandra Ventura, bekannt als «Cassie», reichte Klage gegen ihren früheren Lebenspartner ein. Combs soll sie während ihrer 11-jährigen Beziehung geschlagen, sexuell missbraucht und vergewaltigt haben. Er habe sie eingeschüchtert und zu Sex mit männlichen Prostituierten gezwungen. In der Anklageschrift war von einer «Spirale von Missbrauch, Gewalt und Sexhandel» die Rede.
Wieder bestritt Combs alle Vorwürfe. Auch dieser Fall wurde schnell ad acta gelegt, angeblich habe man sich «freundschaftlich» geeinigt. Combs soll einen Geldbetrag unbekannter Höhe an Ventura gezahlt haben.
Venturas Klage war aufgrund der Adult Survivors Act (ASA) möglich geworden. Bis 2019 verjährten Sexualdelikte im Teilstaat New York bereits nach drei Jahren, nach 2019 wurde die Verjährungsfrist auf zwanzig Jahre erhöht, allerdings galt dies nicht rückwirkend. Mit der Gesetzesänderung durch die ASA konnten mutmassliche Opfer von Sexualstraftätern in New York innert eines Jahres gegen bereits verjährte Straftaten klagen. Da die Beziehung von Combs und Ventura von 2007 bis 2018 dauerte, wäre eine Klage ohne die ASA nicht möglich gewesen.
Nach Casandra Venturas Klage ging es Schlag auf Schlag. Noch in derselben Woche wurden zwei weitere Klagen gegen Combs eingereicht. Auch diese Fälle wären ohne ASA längst verjährt. Liza Gardner und Joi-Dickerson-Neal gaben an, 1991 von Combs vergewaltigt worden zu sein. Sie sollen damals 16 und 17 gewesen sein. Combs wies beide Anschuldigungen zurück. Dickerson-Neal warf er vor, ihre Klage einen Tag vor Ablauf der ASA-Frist eingereicht zu haben. Die Klage sei ein «money grab» – reine Geldgier also.
Aber die Vorwürfe rissen nicht ab. Zwei Wochen später, im Dezember 2023, meldete sich Jane Doe. Diesmal ging es um Gang-Rape. Combs und zwei weitere Männer, unter ihnen Harve Pierre, Präsident von Combs’ Musiklabel Bad Boy Entertainment, sollen Doe in Combs’ New Yorker Studio vergewaltigt haben. Doe war damals offenbar erst 17-jährig.
Der erste Mann erhebt Anklage
Ende Februar 2024 klagte nun auch der Produzent des «Love»-Albums, Rodney Jones, bekannt als Lil Rod. Es ist die sechste Klage wegen sexueller Gewalt. Während der Zusammenarbeit habe er über neun Monate mit Combs zusammengewohnt und sei in dieser Zeit wiederholt missbraucht worden. Jones wirft Combs vor, ihn gegen seinen Willen an den Genitalien begrabscht, ihn zu Sex mit anderen Männern gedrängt und ihn unter Drogen gesetzt und bedroht zu haben.
Laut Anklageschrift ist Combs nicht nur Einzeltäter, sondern Manager eines ganzen Netzwerkes sexueller Gewalt. Jones wirft ihm vor, über seine Firma Combs Global Enterprises Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung zu betreiben. Jones will den Rapper und seine Partner wiederholt bei Drogenvergehen und der Betäubung von Minderjährigen und Prostituierten gefilmt haben. Ende März 2024 durchsuchten schwerbewaffnete Ermittler die Immobilien des Musikers in Los Angeles, New York und Miami. Die Ermittlungen laufen.
Letzte Woche wurde nun auch Klage gegen Sean Combs’ Sohn Christian «King» Combs eingereicht. Eine junge Frau gibt an, von Christian Combs sexuell belästigt worden zu sein, während sie 2022 auf der Jacht der Familie gearbeitet habe. Christian Combs, 26, habe sie körperlich angegriffen, sie am Weggehen gehindert, sich vollständig ausgezogen und schliesslich versucht, sie zu Oralsex zu zwingen. Zudem behauptet die Klägerin, dass sich auf der Jacht ständig Sexarbeiterinnen und A-Prominente aufgehalten hätten, «die bewusstlos auf der Jacht herumlagen».
— LOVE (@Diddy) December 6, 2023
«Widerwärtige Anschuldigungen»
Alle gerichtlich eingereichten Klagen sind noch hängig, alle Vorwürfe werden von Combs zurückgewiesen. Im Dezember 2023 veröffentlichte er auf dem Kurznachrichtendienst X ein Statement. In den letzten Wochen habe er stillschweigend zugesehen, wie man versucht habe, ihn anzugreifen, seinen Ruf zu schädigen. Die «widerwärtigen Anschuldigungen» kämen von Leuten, die schnelles Geld wollten, so Combs. Er werde für die Wahrheit kämpfen.
Bisher tat Sean Combs die Vorwürfe mit dem Verweis auf die New Yorker Gesetzesänderung ASA ab. Die Beschuldiger hätten das juristische Zeitfenster genutzt, Klage eingereicht und auf schnelles Geld gehofft, so Combs. Die jüngsten Fälle zeigen jedoch, dass die Anschuldigungen auch nach dem Auslaufen des ASA-Zeitfensters am 24. November 2023 noch kein Ende fanden.
Dass nun auch Sean Combs’ Sohn angeklagt wird, schürt den Verdacht, dass der Rapper tatsächlich ein ganzes Netzwerk von Gewalt und Missbrauch in seinem Umfeld aufgebaut hat. «Das gehört in der Musikbranche eben dazu», soll Combs zu Rodney Jones gesagt haben, als er ihn zu sexuellen Handlungen drängen wollte.
Wie komplex und langwierig Prozesse wegen Sexualdelikten sein können, zeigen andere grosse Fälle aus der Musikbranche. 2021 war der R’n’B-Sänger R. Kelly wegen sexuellen Missbrauchs zu dreissig Jahren Haft verurteilt worden, die ersten Vorwürfe waren in den 1990er Jahren laut geworden. Auch der Fall Michael Jackson nahm zahlreiche Wendungen an. Immer wieder zahlte Jackson den Klägern Geld, es kam zu Vergleichen, und die Prozesse versandeten.