Unbändig ist der Wunsch, Bücher zu veröffentlichen. Deutlich geringer dagegen ist das Bedürfnis, sie auch zu lesen. Im Buchmarkt öffnet sich gerade ein Abgrund.
Was ist da los? Laut Umfragen würde die Hälfte der Deutschen gerne ein Buch schreiben. Jedoch kaufen nur rund vierzig Prozent der Bundesbürger überhaupt noch Bücher. Tendenz, laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, stark fallend. Bald stimmt der böse Satz: Das bisschen, was ich lese, schreibe ich mir selbst.
Der Buchmarkt ist im Umbruch und wird sich in den nächsten Jahren wohl weiter in zwei Richtungen ausdifferenzieren. In einen schrumpfenden elitären Bereich, der für sich reklamiert, Literatur nach den Regeln der Kunst zu produzieren, und in das weite Feld egalitärer Überzeugungstäter. Ihr Credo: Wer der Sprache halbwegs mächtig ist, der kann auch Bücher machen.
Die Stunde der Kulturpessimisten
Die Umfrage, aus der das Datenmaterial zur deutschen Schreibbereitschaft stammt, hat Books on Demand in Auftrag gegeben. Der deutsche Marktführer in Sachen Self-Publishing hat noch etwas anderes herausgefunden: je jünger, umso eher Autor in spe. Fast sechzig Prozent der jungen Menschen würden sich auch gern publiziert sehen.
Von Robert Musil stammt die goldene Formel der Hochkultur, «dass heute niemand ein Dichter ist, der nicht ernsthaft an seinem Recht, es zu sein, zweifelt». Wenn gegenwärtig vor allem auf das Recht gepocht wird, eben nicht an sich zu zweifeln, sind die Kulturpessimisten nicht weit. Der Schweizer Autor Alexander Estis hat jetzt in einer längeren «FAZ»-Polemik die schreibenden Amateure in die Schranken gewiesen: «Ich backe mir morgens gern ofenfertige Brötchen auf, bin aber deshalb noch lange kein Bäcker. Auch habe ich ein paar Bücher von Stephen Hawking gelesen und etliche Male durchs Teleskop gesehen, ohne mich gleich für einen berufenen Astrophysiker zu halten.»
Bleib bei deinem Leisten, ruft Estis dem literarischen Minderleister zu. Auch wenn an ihnen nicht alles falsch ist, haben elitäre Kanzelreden dieser Art etwas Verstaubtes, einen unlustigen Witz der Selbstgerechtigkeit. Begriffe wie «Geschmack», «Stil» und «gedankliche Schärfe» streut Estis in seine Polemik. Alles das ginge den Bach runter. Stattdessen: «Privatgekritzel».
Wo aber ansetzen, damit die Leser auch weiterhin zu Max Frisch greifen und nicht zu Max Mustermann? Die anspruchsvolle, in renommierten Verlagshäusern erscheinende Literatur ist von kulturellen Sinnstiftungen umgeben, die im Massenpublikum grosses Echo finden.
Hemmschwellen sinken
Der Preis der Leipziger Buchmesse ist eine Art Belletristik-Beletage, aber einen Stock darunter wurde während der Messe auch gefeiert. Der Selbie, der Selfpublishing Buchpreis, ging an den Science-Fiction-Roman «Cyan Zane Veil. Maschinenmacht Eins» von E. V. Ring und an Katharina Lankers’ Lyrikband «Voll abgedichtet. Nieder mit den Ungereimtheiten!». Begründung in diesem Fall: «Die Jury zeigte sich beeindruckt von dem lyrischen Handwerk und den meisterhaft jonglierten Wortspielen.»
Die Umfrage von Books on Demand ist ein paar Monate alt, aber sie offenbart auch einen Trend, der sich in bestimmten Marktsegmenten verstärken wird: Die Hemmschwellen, beim Schreiben künstliche Intelligenz einzusetzen, sinken. 57 Prozent der Möchtegernautoren würden auf technische Hilfe nicht verzichten wollen. Unternehmen wie das in Hamburg ansässige Qualifiction bieten Software an, die Manuskripte scannt, auf Marktgängigkeit prüft und Änderungsvorschläge macht. So entsteht auf künstliche Weise Literatur, die nach Ähnlichkeitsmustern funktioniert.
Das bewährte Schema wird zum Trumpf und der Autor tatsächlich zum Hüter literarischer Aufbackbrötchen. Halb Deutschland frohlockt bei diesen neuen Möglichkeiten. Jeder kann jetzt schreiben, auch wenn er gar nicht schreiben kann.