O. J. Simpson kam aus dem Nichts, dann machte er Karriere als Football-Profi und Schauspieler. Bis ein Mordprozess alles veränderte. Er wurde 76 Jahre alt.
Orenthal James Simpson, besser bekannt als O. J., sitzt auf dem Rücksitz eines weissen Ford Bronco. Am Steuer sitzt ein ehemaliger Teamkollege von Simpson. Er fährt mit Tempo 60 über die breiten Autobahnen von Los Angeles. Hinter den beiden fahren zwanzig Polizeiwagen. Sie folgen geduldig, weil sie fürchten, Simpson könnte sich umbringen. Oben in der Luft senden örtliche Fernsehstationen live aus neun Helikoptern.
Über eine Distanz von fast 100 Kilometern und eine Zeitspanne von zwei Stunden führt diese sonderbare Verfolgung durch die Stadt. Dann kommt die Kolonne im Stadtteil Brentwood zu stehen. Direkt vor Simpsons Villa. Simpson, Afroamerikaner, stellt sich den Beamten. Sie verdächtigen ihn, seine Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihren Bekannten Ronald Goldman ermordet zu haben.
Es ist der 17. Juni 1994. Und 95 Millionen Amerikaner schauen zu und sehen, wie der beste Runningback seiner Zeit, eine amerikanische Sportikone, fällt.
O. J. Simpson war einst ein bewunderter Sportler gewesen, der am College und in elf Spielzeiten für die NFL-Teams der Buffalo Bills und der San Francisco 49ers auf der Rammbock-Position des Runningback eine seltene Aura aus Anmut, Beweglichkeit und Entschlossenheit entfaltet hatte.
Der Prozess gegen Simpson wird im TV übertragen
Simpson war ein Sportler, der sein Charisma geschickt nutzte, sich nach dieser Karriere zu einem allgegenwärtigen Medienstar zu entwickeln. Er spielte in erfolgreichen Filmen wie «Flammendes Inferno» und «Die nackte Kanone». Parallel betrieb er Werbung für den Autovermieter Hertz und trat als Sportkommentator im Fernsehen auf.
Angefangen hatte diese Karriere in bescheidenen Verhältnissen. Simpson wurde am 9. Juli 1947 im armen Stadtteil Potrero Hill von San Francisco geboren. Als Kind litt er an Rachitis, hatte spindeldürre, gekrümmte Beine und wurde deshalb von den Nachbarskindern gehänselt. Er überwand jedoch das Handicap und wurde in der Highschool zum Leistungsträger der Footballmannschaft. Zu seinen ausserschulischen Aktivitäten gehörte allerdings noch etwas anderes: der Diebstahl von Radkappen. In einer Gruppe von Gleichaltrigen war er «immer der Anführer – der böseste Kerl dort», sagte er später von sich.
Bis zum 17. Juni 1994 war Simpsons Leben ein Crescendo. Es war ein American Dream. Auf der Rückbank dieses weissen Ford Bronco verkehrte es sich in einen Abstieg. Sein Leben wurde eine endlose Show im Reality-TV.
Wenige Tage nach Simpsons Verhaftung begann der Prozess gegen ihn. Er dauerte bis im Oktober 1995. Die Verhandlungen wurden im Fernsehen übertragen. Wieder schauten Millionen zu. In Amerika schrieben die Medien, es sei der «Prozess des Jahrhunderts».
Nach dem Zivilprozess ist Simpson mittellos
Simpson, der mutmassliche Täter, war ein Sportstar. Ein Afroamerikaner, der aus dem Nichts kam. Das Opfer, seine Ex-Frau, eine Weisse. Daraus ergab sich eine seltene Mischung aus Pop-Kultur, menschlicher Tragödie und rassistischen Stereotypen.
Der Prozess löste eine gesellschaftspolitische Debatte aus. Auf der einen Seite wirkten rassistische Geschichten aus der Zeit der Rassentrennung nach. Schauermärchen, nach denen weisse Frauen vor schwarzen Männern geschützt werden müssten. Auf der anderen Seite stand die Erfahrung der Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Und damit verbunden die Frage: Kann ein Schwarzer in Amerika – selbst jemand, der die Rassenschranken überwunden und Wohlstand und Status erlangt hat – vorurteilsfrei für die Morde an zwei Weissen verurteilt werden?
Der Strafprozess endete 1995 in einem Freispruch für Simpson. Seine Anwälte wiesen vor Gericht nicht nur nach, dass die Polizei schlampig ermittelt hatte. Sie überzeugten die Jury, dass der Schwarze Simpson Zielscheibe einer rassistischen Justiz geworden sei.
Doch es bleiben Fragen. Einige Indizien sprechen dafür, dass Simpson seine Ex-Frau und ihren Begleiter tatsächlich erstochen hat. Sein Alibi ist löchrig. Es gibt keine Hinweise auf andere Täter.
1997 stand Simpson erneut vor Gericht. Die Angehörigen der Opfer strengten einen Zivilprozess gegen ihn an. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Schadenersatzzahlung von 33,5 Millionen Dollar. Simpson wurde mittellos.
2008 muss Simpson für neun Jahre ins Gefängnis
Simpsons Abstieg ging weiter. Ab 2008 verbüsste er neun Jahre in einem Gefängnis in Nevada, nachdem er wegen 12-fachen bewaffneten Raubüberfalls und Entführung von zwei Sportartikelhändlern mit vorgehaltener Waffe in einem Hotel in Las Vegas verurteilt worden war.
Die Jura-Professorin Laurie Levenson, die den ersten Prozess gegen Simpson Mitte der 1990er Jahre im amerikanischen Fernsehen kommentierte, sagte einmal: «Die TV-Zuschauer haben den Bronco verfolgt. Sie haben den Prozess verfolgt. Und sie haben alles verfolgt, was danach passiert ist.»
Die Familie von O. J. Simpson teilte am Donnerstag in den sozialen Netzwerken mit, dass sie nach seinem Tod um Ruhe und Privatsphäre bitte.
Simpson, der aus seiner ersten Ehe drei Kinder und aus seiner zweiten mit Nicole Brown zwei Kinder hatte, starb am Mittwoch im Alter von 76 Jahren an Krebs.