Sie schaffte es in ihrer Karriere gerade einmal knapp in die Top Ten. Vielleicht stand ihr der Kopf im Weg. Als Schriftstellerin erwächst ihr daraus ein Vorteil.
Es ist ein typischer Scholz-Moment. In der Fernsehtalkshow «3 nach 9» erklärt Andrea Petković «das Bipolare des Tennissports». Dass es nur Sieg oder Niederlage gibt. Dann wendet sie sich dem deutschen Kanzler zu, der neben ihr sitzt, und gibt ihm ein Stichwort. In der Politik sei wohl alles viel komplexer. Olaf Scholz eiert schläfrig um das Thema herum, ohne Konkretes zu sagen.
Dann ist ohnehin wieder die ehemalige Tennis-Weltranglisten-Neunte dran: eloquent und mit einer Klugheit gesegnet, die auch im Gespräch jeden Satzball verwandelt. Bei «3 nach 9» die Psychologie des Kampfes auslotend, vergisst Petković nicht, dass der Sport immer auch eine Metapher ist für den Umgang der Menschen miteinander und des Menschen mit sich selbst. Hätte das mal Scholz gesagt.
Das damals noch jugoslawische Tuzla, später Darmstadt und Brooklyn sind die wichtigsten Lebensorte von Andrea Petković. In Tuzla wurde sie 1987 geboren, in Darmstadt ist sie aufgewachsen, und heute lebt sie meist in Brooklyn. Ihre Karriere hat sie 2022 nach einer Erstrundenniederlage bei den US Open beendet und sich seither selbst in ein neues Leben hineinerfunden. Als Sportkommentatorin, als Journalistin und vor allem: als Schriftstellerin.
Triumphe und Verletzungen
Trifft man Petković in Berlin im Hotel der Kette Motel One, dann fällt einem sofort die Tristesse der Kettenhotels wieder ein, die ihre Bücher grundieren: «Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht» und «Zeit, sich aus dem Staub zu machen» . Die Einsamkeit darin ist so seriell wie ihre Architektur. Als Tennisspielerin verbringt man Jahre an diesen dystopischen Orten und hat zu viel Zeit, nachzudenken.
Es gibt die grossen Triumphe im Tennisleben der Andrea Petković. Die Siege bei den WTA-Turnieren. Die Zeiten, als sie auf der Tour alle Gegnerinnen schlagen konnte. Und es gibt die Niederlagen. Bei dem, was die Schriftstellerin Petković heute schreibt, ist vieles aus dem unerschöpflichen Potenzial dieser Niederlagen gemacht. Die Grauzonen des Ichs mit dem Schmerz und der Wut kommen in den essayhaften Erzählungen vor.
Diese Dinge und ein fast mathematischer Sinn für sprachliche Form machen etwas zu echter Literatur, das bei anderen Ex-Sportlern nur ins marktgerechte Memoir abgleiten würde. Auf ihren langen Fahrten durch die Tenniswelt hat Andrea Petković ihren Tolstoi gelesen, Michail Bulgakow und die tonnenschweren Bücher von David Foster Wallace. Sie kann den altersschwachen und aus der Zeit gefallenen Machismo eines Philip Roth oder Norman Mailer ironisch kommentieren und nennt als Journalistin für die «Zeit» auch schon einmal die Verehrung von Richard Wagners «Ring des Nibelungen» eine «bizarre deutsche Kulturpraxis».
Andrea Petković lacht gerne. Als wäre die Welt eine absurde Anhäufung von Ereignissen und sie selbst darin eine Art literarische Figur. Vielleicht ist es auch gar nicht zu glauben: der instabile Ruhm und der viele Bullshit des Tennislebens. Gezerrte Adduktoren und Knieoperationen. Immer wieder Pech, so dass der Sprung ganz an die Spitze der Weltrangliste nicht gelingt. Auf dem Nachttisch der Hotels liegt lange Dostojewskis «Schuld und Sühne», ein Buch, das der Vater der jungen Spielerin in die Reisetasche gesteckt hat. Beim traurigen Helden Raskolnikow denkt Andrea Petković: Da geht es jemandem noch schlechter als mir.
Der Tennislehrer-Vater geht Mitte der achtziger Jahre nach Darmstadt, um dort zu arbeiten. Nicht lange danach beginnt Jugoslawien zu zerfallen. Zoran Petković holt die Familie in ein Deutschland, in dem die Tochter bald das kennenlernt, was sie «das doppelköpfige Biest der Migration» nennt. Ein Biest, das sich, wie sie meint, in zwei Formen manifestiert: Entweder man versucht, deutscher zu sein, als es selbst die Deutschen sind, oder «man verbarrikadiert sich in der eigenen Kultur, um nicht aufzufallen. Nicht aufzufallen ist jedoch in beiden Fällen Zweck des Ganzen.»
Andrea Petković fällt nur positiv auf. Sie macht Einser-Abitur und kommt trotzdem mit den Ambivalenzen des Migrantenlebens nicht gut zurecht. Sie entscheidet sich für «Komplexitätsreduktion». Für klare Vorgaben, und das heisst: für Tennis. Der Vater warnt davor, dass ihr beim Sport der Kopf im Weg stehen könnte, und hat damit zumindest ein bisschen recht.
Unter Beobachtungszwang
Petkovićs neues Buch «Zeit, sich aus dem Staub zu machen» erzählt in autobiografischen Episoden vom Phantomschmerz nach dem Ende der Tenniskarriere, von einer «emotionalen Outline» und von etwas sehr Schillerndem. «Wenn ich Roger Federer, Rafael Nadal und Serena Williams gesehen habe, wusste ich, dass der natürliche Zustand ihres Seins ist, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren: Ball sehen, Ball schlagen. Ball sehen, Ball schlagen. Ich musste mir immer sagen: Erst einmal die Gedanken weg.»
Im Berliner Motel One herrscht eine Nachmittagsstille, die durch Petkovićs breitschultrige Lebensfreude aufs Angenehmste durchbrochen wird. Als Weltklassespielerin war sie früher beim Sportpsychologen, um sich am Platz in jenen Flow hineinbringen zu können, ohne den man nicht gewinnen kann. Jetzt ist das Denken ihr Flow beim Schreiben.
Andrea Petković kann Passagen auf die Seiten bringen, die in ihrer Musikalität und ihrer Präzision selbst wie Ballwechsel im Tennis sind. Der Beobachtungszwang, an dem sie früher auf den Courts von Wimbledon, Roland Garros oder Melbourne gelitten hat, ist in etwas verwandelt, aus dem sich ganz leicht Literatur machen lässt. Petković sieht die Menschen ganz genau, macht aus ihnen Figuren in Erzählungen. Sie ist brillant dort, wo sie die Menschen bei einem Stromausfall in der Pariser Metro beschreibt oder kalifornische Künstler, die sich bei einem Dinner in einem klaustrophoben Haus gegenseitig übertrumpfen wollen.
Der Zufall will es, dass die grosse Serena Williams ihre Karriere bei den gleichen US Open beendet wie die deutsche Tennisspielerin. Aus einer zufälligen Begegnung auf der Toilette des Stadiums macht Andrea Petković ein Kammerspiel der Psychologie. Sie beschreibt das zerfliessende Gesicht des Stars und das aus Versehen verkehrt herum angezogene T-Shirt. Eine plötzliche Auflösung des Prinzips Disziplin. Serena Williams ist am Ende ihrer Laufbahn, aber sie ist auch ganz persönlich am Ende.
«Tennis erfordert Köpfchen»
Wer Tennis spielt, ist der Gegnerin wie in Telepathie verbunden. Man versucht, einander auszulesen, aber Andrea Petković erzählt auch noch etwas anderes: «Es gibt auf dem Platz einen Moment, in dem man schon spürt, dass man verlieren wird. Und in diesem Moment kommen Dinge hoch, die man ins Unterbewusste verdrängt hat. Es ist absurd, aber die Niederlage auf dem Platz ist dann wie eine Therapiesitzung. Wenn man mit dem Tennis aufhört, fürchtet man, dass bestimmte Dinge im Unterbewussten stecken bleiben.»
Das ist wie die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Ernst und Spiel ergeben etwas Drittes, das vielleicht näher an der Kunst ist als am Sport. Eines der grossen Vorbilder von Andrea Petković ist David Foster Wallace. Als ehemaliger Tennisspieler hat der amerikanische Schriftsteller brillante Essays über seine Leidenschaft verfasst und lange Passagen in «Unendlicher Spass» dem Tennis gewidmet. Foster Wallace seziert das Spiel und schreibt einmal: «Tennis erfordert Körperbeherrschung, Feinmotorik, hochgetourtes Tempo, Ausdauer und diese seltsame Mischung aus Bedachtsamkeit und Ungehemmtheit, die wir Mut nennen. Und Tennis erfordert Köpfchen.»
Die sprachliche Feinmotorik von Andrea Petković kann sich daneben sehen lassen. Zu Federer notiert sie: «Als Roger Federer Anfang dreissig war, inkorporierte er die durchgezogene Rückhand in sein Spiel wie niemals zuvor. Sein geschnittener Rückhand-Slice war ein guter Schlag gewesen, der aber stets ein Vorbereitungsschlag geblieben war. Eine Vorbereitung für seine Vorhandstärke, die er mit seiner schnellen Fussarbeit einsetzen konnte, wenn sein Gegner den von ihm angeschnittenen Rückhandball etwas heben musste.»
Passagen wie diese sind Abstraktion und Konkretion zugleich, das sanfte Muskelspiel der Sprache, das die Ex-Tennisspielerin beherrscht, als hätte sie nie etwas anderes gemacht als schreiben. «Ich sitze in schwarzen Kleidern in Talksendungen herum, weil ich keinen Grund mehr finde abzusagen», schreibt Andrea Petković in ihrem neuen Buch. «Ich habe immer Zeit.» Im Berliner Hotel ist es an diesem grauen Frühlingstag Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Sie eilt in ihrem pinken Hosenanzug davon. Richtung Darmstadt oder Brooklyn.
Andrea Petković: Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 224 S., Fr. 33.90.