Der Bürgerkrieg im Sudan hat 8,5 Millionen Menschen vertrieben. Er könnte das riesige Land zu einer Spielwiese für Jihadisten und Menschenhändler machen. Europa unterschätzt den Konflikt.
Der Sudan, das drittgrösste Land Afrikas, liegt in Trümmern. Seit einem Jahr bekriegen sich die nationale Armee und die bis zu 100 000 Mann starken Rapid Support Forces (RSF), eine Miliz, die ihre Wurzeln im Genozid von Darfur in den nuller Jahren hat.
Der Krieg hat 8,5 Millionen Menschen vertrieben. Fast zwei Millionen Sudanesinnen und Sudanesen sind über die Landesgrenzen geflohen. Tausende weitere tun es jeden Tag. Es ist die grösste humanitäre Krise der Welt.
In Europa nimmt man kaum Notiz. Man betrachtet den Krieg als einen dieser abstrakten afrikanischen Konflikte, deren Dimensionen zwar gewaltig sind, die man aber nicht so richtig versteht und die auch keine Folgen für Europa haben.
Nur stimmt das nicht. Die Sudan-Krise könnte eine riesige, unruhige Region zwischen dem Sahel, Nordafrika und dem Horn von Afrika vollends destabilisieren. Die Schockwellen werden Europa rasch erreichen – in Form von zusätzlicher Migration. Kaum ein Problem treibt die europäische Politik um wie dieses.
Eine geopolitische Schlüsselstelle
Der Sudan liegt an einer geopolitischen Schlüsselstelle: am Roten Meer, dem Tor nach Asien für Europa, durch das ein grosser Teil des globalen Güterverkehrs fliesst. Das Land befindet sich zudem am Rand der Sahelzone, wo Jihadisten riesige Gebiete heimsuchen.
Aber der Sudan ist auch nicht weit weg vom Mittelmeer. Die Verbindungen zu Libyen und Ägypten sind eng. Es ist kein Zufall, dass die Europäische Union 2016 im Sudan den Khartum-Prozess startete, in dessen Rahmen sie mit den Ländern der Region die Migration eindämmen wollte.
Viele einflussreiche Akteure interessieren sich für den Sudan. Sie taten es vor dem Krieg, als Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate Stützpunkte am Roten Meer bauen wollten. Sie tun es auch jetzt, meist auf destruktive Weise. Die Emirate helfen den RSF laut der Uno mit versteckten Waffenlieferungen. Russland macht dasselbe und schmuggelt Gold aus dem Land. Ägyptens Militärregierung stützt die sudanesische Armee. Iran liefert dieser Drohnen.
Der Krieg droht nun vollends zu eskalieren. Immer neue Waffen gelangen in die Hände der Kriegsparteien, und neue Milizen klinken sich auf der einen oder der anderen Seite ein. Ein militärischer Sieg ist unwahrscheinlich. Eher folgt im Sudan die gewaltsame Anarchie.
Ein solcher Sudan wäre eine Spielwiese für Warlords, Jihadisten, Waffenschmuggler, Menschenhändler und andere Kriminelle. Die regionalen Netzwerke bestehen längst. Auch Russland, das sich in Afrika dort am wohlsten fühlt, wo das Chaos herrscht, dürfte kräftig mitmischen.
Ein Appell zum Frieden?
Für Europa hiesse das dann, mit einem langen, gesetzlosen afrikanischen Gürtel konfrontiert zu sein. Es hiesse auch: mehr Migranten, vielleicht schon bald. Die wenigsten Sudanesinnen und Sudanesen träumen von Europa. Als Massenproteste 2019 den islamistischen Diktator Omar al-Bashir nach drei Jahrzehnten bleierner Herrschaft zu Fall brachten, träumten sie davon, einen neuen Sudan aufzubauen. Doch das Militär und die RSF zerstörten den Traum.
Nun sitzen Hunderttausende in elenden Flüchtlingslagern in Nachbarländern. Endet der Krieg nicht, werden viele von denjenigen, die die Mittel haben, Richtung Norden aufbrechen. Die Zahl der übers Mittelmeer gekommenen Sudanesen steigt bereits.
Europa sollte sich also dringend für den Frieden im Sudan einsetzen – zum Beispiel zusammen mit den USA. Diese behandeln den Konflikt zwar auch nicht prioritär, haben aber immerhin versucht, Waffenruhen auszuhandeln. Am Montag haben die EU, Frankreich und Deutschland eine Konferenz in Paris abgehalten, um mehr Geld für die humanitäre Hilfe zu sammeln. Über eine Milliarde Euro sollte zusammenkommen. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hatte die Konferenz im Vorfeld als «Appell zum Frieden» bezeichnet. Es war höchste Zeit – und doch nur ein Anfang.