Die Autoren um Professor Manuel Ammann befinden, es brauche zusätzliche Instrumente für den Umgang mit dem Grossbankenproblem: strengere Eigenkapitalvorgaben, Verbesserung des Zugangs zu Nationalbank-Liquidität und eine vorübergehende Verstaatlichung als Variante für den Krisenfall.
Die neue UBS geniesst faktisch eine Staatsgarantie. Dieser Eindruck ist nach der Rettung der Credit Suisse mithilfe von Staatskrücken weit verbreitet und auch kaum zu vermeiden.
Dass die staatlichen Entscheidungsträger das Rettungspaket mit der Übernahme der CS durch die UBS als kleineres Übel betrachteten als eine globale CS-Pleite, ist gut zu verstehen. Zu denken gibt aber, dass die Behörden eine globale CS-Pleite wegen Befürchtungen eines Flächenbrands gar nicht als relevante Option betrachteten und ihnen sogar eine Übernahme der Bank durch den Staat als kleineres Übel erschien. Die nach der Finanzkrise von 2008 geforderte Notfallplanung einschliesslich einer praktisch möglichen Variante eines globalen Konkurses einer Grossbank ist damit zurzeit kaum glaubwürdig.
Noch stärker wird dies für die neue UBS gelten, die noch grösser sein wird, als es zuletzt die CS war. Wie soll die Schweiz künftig mit der UBS umgehen? Wie lässt sich vermeiden, dass der Staat bei einer allfälligen UBS-Krise überfordert ist und sich für ein Rettungspaket zusätzlich massiv verschulden muss? Was sind Nutzen und Risiken einer globalen Grossbank? Solche Fragen wird die Politik in den kommenden Monaten und Jahren anpacken müssen.
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Nun liegt ein erstes vom Bund bestelltes Gutachten mit Empfehlungen vor. Verfasst hat das Papier ein Trio des Instituts für Banken und Finanzen der Universität St. Gallen unter Leitung des Professors Manuel Ammann. Das Finanzdepartement vergab diesen Studienauftrag Ende März kurz nach der Credit-Suisse-Rettung. Die Vergabe sorgte zum Teil für Kritik, weil Ammann auch mit einem Forschungszentrum der Universität verbunden ist, das von der Credit Suisse Finanzmittel erhielt.
Das knapp 90-seitige Papier hält zunächst fest, dass die Verschärfung der Grossbankenregulierung nach der Finanzkrise von 2008 nicht für die Katz war. So hätten im Fall Credit Suisse der verlangte Ausbau von Eigenkapital und Liquiditätshaltung der Bank Zeit verschafft. Doch die dritte Säule der Grossbankenregulierung – die Notfallplanung mit möglichem Pleiteszenario – hat sich nicht als krisenfest erwiesen, wie die Autoren deutlich machen. Ihr Befund: Es brauche zusätzliche Instrumente zur Lösung des Problems der faktischen Staatsgarantie für Grossbanken.
Das Papier liefert Überlegungen zu den meistgenannten Stossrichtungen einer künftigen Grossbankenregulierung:
Aufspaltung/Trennbankensystem
Denkbar ist ein direktes Verbot von Banken ab einer gewissen Grösse oder ein Zwang zu Aufspaltungen nach Funktionen (zum Beispiel Investment Banking losgelöst vom klassischen Kredit- und Einlagegeschäft) oder nach Geografie (Inland abgetrennt vom Ausland). Solche Trennungen gibt es zum Teil schon jetzt; so hatten UBS und Credit Suisse eigene Tochtergesellschaften mit dem systemrelevanten Schweizer Geschäft gegründet. Doch es wären auch weitergehende Vorgaben denkbar – etwa für die komplette wirtschaftliche Abspaltung verschiedener Geschäftsbereiche.
Die Autoren zeigen sich skeptisch gegenüber solchen Vorschlägen. Die Nachteile seien erheblich. So falle der Diversifikationseffekt von Universalbanken weg, was unter Umständen das Risiko in einer Krise sogar noch erhöhen könne. Auch auf Verbund- und Grössenvorteile würde man verzichten müssen.
Die Autoren machen auch deutlich, dass man in einem Trennbankensystem mit einer Aufteilung nach Funktionen nicht zum Voraus zuverlässig zwischen «sicheren» und «risikoträchtigen» Geschäften unterscheiden könne. Grosse Bankenverluste sind in allen wesentlichen Geschäftsbereichen möglich. Bei einer Grössenbeschränkung orten die Autoren derweil das Risiko, dass man wirtschaftlich nicht überlebensfähige Strukturen schafft. Das Fazit der Analyse: Trennbankensystem und Zwangsaufspaltungen könnten nicht «Mittel der ersten Wahl» zur Beherrschung des Grossbankenproblems sein.
Managerorientierte Eingriffe
Zu diesem Stichwort zählen etwa eine stärkere persönliche Haftung und Bonusbeschränkungen. Auch hier warnt das Gutachten vor grossen Hoffnungen. Die Forschungsliteratur zu Boni von Bankmanagern liefere kein klares Bild, ob variable Vergütungen wirklich das Risiko einer Bankenkrise erhöhten. Zudem sei bei einer Beschränkung der Boni eine Verlagerung auf Fixlöhne möglich, was die finanzielle Flexibilität der Banken in einer Krise reduziere.
In einer stärkeren Einbindung von Bankmanagern ins Risiko der Banken sehen die Autoren dagegen gewisses Potenzial. Sie lehnen zwar eine unbeschränkte finanzielle Haftung von Managern oder strafrechtliche Konsequenzen bei Misserfolg ab, weil dies die Fähigkeit der Betroffenen zum Eingehen von Risiken zu stark einschränken würde. Positiver äussern sich die Autoren aber zu «milderen Formen» zur Korrektur von Fehlanreizen der Bankmanager, wie etwa der Möglichkeit zur Rückforderung von ausbezahlten Boni oder zu «angemessenen» Bussen.
Höhere Eigenkapitalanforderungen
Vereinfacht gesagt, müssen UBS und Credit Suisse derzeit pro 100 Franken Aktiven rund 5 Franken Eigenkapital halten. Das ist laut den Autoren zu wenig. Sie empfehlen eine Verdoppelung der Mindestanforderung auf 10 Prozent der massgebenden Aktiven.
Die Forschungsliteratur zu den Kosten von Eigenmittelvorgaben zeigt laut den Autoren ein gemischtes Bild. Zum einen gibt es manche Hinweise aus der Praxis, dass eine Erhöhung des Eigenkapitals die gesamten Finanzierungskosten der betroffenen Banken nur um wenig erhöht (unter anderem weil mit einer grösseren Eigenkapitaldecke das Fremdkapital billiger wird). Zum anderen gibt es aber auch Hinweise, dass bei strengeren Eigenmittelerfordernissen die Banken ihre Kreditvergaben reduzieren.
Eine noch stärkere Erhöhung der Eigenmittelvorgaben empfehlen die Autoren nicht. Bei einer Erhöhung auf 15 Prozent, wie sie der Nationalrat fordert, würde die UBS zusätzliche Eigenmittel von fast 100 Milliarden Franken benötigen – was «überaus herausfordernd» sei. Die St. Galler Ökonomen betrachten eine solche Vorgabe oder noch weiter gehende Anforderungen als «allzu ehrgeiziges Ziel» auf absehbare Zeit.
Strengere Liquiditätsanforderungen
Die Schweiz hat laut den Autoren schon jetzt im internationalen Vergleich strenge Liquiditätserfordernisse. Ihre Botschaft: Würde man diese Anforderungen so hochschrauben, dass Banken einen Sturm nach dem Muster der Credit Suisse ohne Liquiditätshilfe überstehen könnten, wäre dies «betriebswirtschaftlich nicht tragbar und volkswirtschaftlich nicht sinnvoll». Salopper formuliert: Dann könnte man auch gleich das klassische Kreditgeschäft abschaffen.
Das geltende System mit der Möglichkeit des Zugriffs solventer Banken auf Liquiditätshilfe der Nationalbank (SNB) gegen Sicherheiten erachten die Autoren grundsätzlich als sinnvoll. Die CS konnte aber der Nationalbank nicht genügend Sicherheiten liefern, weshalb sie auf zusätzliche Nothilfe angewiesen war. Laut dem Gutachten sollten Grossbanken die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein grösserer Teil ihrer Vermögenswerte als Sicherheit für die SNB taugt. Damit dürfte vor allem die Erleichterung der Übertragbarkeit gemeint sein. Das Gutachten spricht von «werthaltigen, aber illiquiden» Aktiven wie etwa Hypotheken.
Abgeltung der Staatsgarantie
Für die Autoren ist dies kein vielversprechender Ansatz. Denn es bedinge eine offizielle Staatsgarantie, was neue Fragen etwa bezüglich Anreizen und Wettbewerbsverzerrungen auslöse. Zudem könne dies vom Ausland als unzulässige Staatsbeihilfe betrachtet werden.
Vorübergehende Verstaatlichung
Das ist die pikanteste Empfehlung des Gutachtens. Die Möglichkeit einer vorübergehenden Verstaatlichung solle eine zusätzliche Option im Instrumentenkasten bei Grossbankenkrisen sein. Das Eigenkapital und die eigenkapitalnahen Anleihen würden vollständig abgeschrieben. Die Bank ginge vorübergehend in den Besitz des Bundes. Dieser garantiert alle Verbindlichkeiten und Einlagen bei der Bank. Nach der Sanierung und dem Verkauf von nicht tragbaren Geschäftsteilen solle die (Rest-)Bank wieder in privaten Besitz übergehen.
Die Autoren nennen vor allem drei Vorteile dieser Option: Sie stelle rasch das Vertrauen in die Bank wieder her und ermögliche so den geordneten Weiterbetrieb; sie erlaube dem Bund, nebst den Verlustrisiken auch Gewinnchancen zu übernehmen; sie verschaffe der Bank Zeit und verhindere damit überhastete Notverkäufe zu Kellerpreisen.
Auch im Fall Credit Suisse war die vorübergehende Verstaatlichung eine diskutierte Option. Dazu hätte es kommen können, wenn die Übernahme durch die UBS gescheitert wäre und die Verantwortlichen eine Sanierung ohne Verstaatlichung nicht mehr als erfolgversprechend eingestuft hätten.
Der Bund müsste wohl bei einer Verstaatlichung das oberste Bankmanagement auswechseln, aber er könnte die Bank kaum selber direkt führen. Er würde sich erhebliche Risiken einhandeln, wie der Fall Irland in der Finanzkrise 2008 illustrierte: Der Staat garantierte damals die meisten Verbindlichkeiten kriselnder Banken und musste in der Folge Krisendarlehen von der EU und vom Internationalen Währungsfonds beanspruchen. Die Staatsverschuldung hat sich ab 2008 vervielfacht. Per 2022 beliefen sich die Nettokosten der Bankenrettung für den irischen Staat auf über 45 Milliarden Euro – rund 16 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung von 2008. 16 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung entsprächen über 100 Milliarden Franken.
Die Erhöhung der Eigenkapitalvorhaben ist laut den St. Galler Ökonomen ein wichtiges Instrument zur Senkung der Staatsrisiken in einer Bankenkrise. Die Variante einer vorübergehenden Verstaatlichung wäre gemäss dem Gutachten nicht garantiert, sondern nur eine zusätzliche Option. Dies sei somit nicht mit einer offiziellen Staatsgarantie zu verwechseln. Doch als offizielle Option für die Krisenbewältigung käme ein solches Instrument faktisch nahe an eine Staatsgarantie heran, auch wenn die Altaktionäre ihre Titel voll abschreiben müssten. Dieser Vorschlag wird noch viel zu reden geben.
Weiterer Bericht kommt im August
Das St. Galler Gutachten liefert Futter für die vom Finanzdepartement jüngst eingesetzte achtköpfige Expertengruppe «Bankenstabilität» unter Leitung des Basler Wirtschaftsprofessors Yvan Lengwiler. Das Mandat für diese Gruppe ist diffus formuliert. Aber Fragen wie «Was für einen Finanzplatz wollen wir?», «Welche Bedeutung hat eine globale Grossbank für die hiesige Volkswirtschaft?» und «Wie soll man die neue UBS regulieren?» dürften eine zentrale Rolle spielen. Die Zeit für die Expertengruppe ist allerdings knapp: Sie soll ihren Bericht bis Mitte August abliefern.
Die Expertenberichte werden dann in die Entscheidfindung des Bundesrats einfliessen. Die Regierung wird voraussichtlich bis im April 2024 ihre Auslegeordnung zur künftigen Grossbankenregulierung vorlegen und dabei auch Antworten zu diversen Prüfaufträgen des Parlaments liefern.