Geschichte einer Eskalation.
Alex Simons (Name geändert) kommt aus prominentem Elternhaus in Zürich. Er studiert an der Universität Psychologie und Germanistik. Es ist ein scheinbar wohlbehütetes Leben. Doch irgendwann driftet der junge Mann in eine düsterere Welt ab. In eine Welt, in der Schwarze, Frauen, Homosexuelle als minderwertig betrachtet werden.
Und im Juni 2020 sticht er mit einem Rüstmesser auf einen jungen Mann ein.
Zwei Mal trifft Alex Simons einen FCZ-Fan in den Rücken, drei Mal in Ober- und Unterarm. Nur wenig fehlt, und das Opfer der Messerattacke hätte die Auseinandersetzung nicht überlebt.
9 Jahre Freiheitsstrafe
Nun hat das Bezirksgericht Zürich sein Urteil in dem Fall gesprochen. Es verurteilt den 26-jährigen Simons zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, Diskriminierung und weiterer Delikte.
Die Staatsanwältin hatte eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren beantragt. Der Verteidiger verlangte hingegen einen Freispruch. Der junge Mann habe in Notwehr gehandelt.
Verstörende Tweets
Die verhängnisvolle Tat hatte sich am 27. Juni 2020 abgespielt. Alex Simons ging am späten Nachmittag jenes Tages zu Fuss vom Wohnort seiner Eltern zum Einkaufszentrum Sihlcity. Im Coop kaufte er sich ein Mineralwasser und ein Rüstmesser.
Er zog sich an diesem Tag ein schwarzes T-Shirt über, das er sich zuvor im Internet bestellt hatte – mit der Aufschrift «White Lives Matter».
In den Monaten vor dem Ausflug zum Shoppingcenter war Simons immer mehr in eine düstere Parallelwelt abgedriftet. Auf seinem Handy findet die Polizei von März bis Ende Mai 2020 verstörende Tweets, die rechtsextrem und gewaltverherrlichend sind.
Das Shirt mit dem Slogan, der vor allem in rechtsextremen Kreisen genutzt wird, provozierte eine Gruppe von FCZ-Fans, die sich an diesem Tag beim Sihlcity besammelt hatten. Es kam zunächst zu einem Wortgefecht und daraufhin zu einem Handgemenge zwischen Simons und mehreren FCZ-Anhängern. Schliesslich zückte der junge Mann sein Rüstmesser. Er stach auf einen der Kontrahenten ein, fünf Mal insgesamt.
Sein Opfer bezeichnete die Messerattacke vor Gericht als den schlimmsten Tag seines Lebens. Man habe mit Simons über das T-Shirt diskutieren wollen, dann sei es zum Handgemenge gekommen. «Als ich dachte, dass es beendet ist, drehte ich mich um. Ich merkte aber, dass er wieder näher kommt, und habe meine Hände zum Schutz raufgenommen. Dann hat er auf mich eingestochen.»
Alex Simons machte während der Gerichtsverhandlung keine Aussage zu den Geschehnissen. Sein Anwalt argumentierte, die Tat sei eine Notwehr-Aktion gewesen. Der Student habe sich von der Gruppe junger Männer verfolgt gefühlt. Alex habe nur weggewollt und versucht, die Situation zu beruhigen. Als die anderen auf ihn eingeschlagen hätten, habe er schliesslich in Todesangst reagiert. «Er handelte in einer akuten Stresssituation, die von Bedrohung, Zeitdruck, Angst und Panik geprägt war.»
Erst ganz am Ende der Verhandlung stand auch Simons auf und verlas er ein paar Worte: Zu dem jungen Mann, den er niedergestochen hatte, sagte er: «Es tut mir aufrichtig leid, dass ich Sie so schwer verletzt habe. Es war nicht meine Absicht.» Er habe aus purer Angst gehandelt.
Er habe sich damals verrannt, in einer schwierigen Phase seines Lebens. «Wenn ich heute auf diese Delikte zurückblicke, dann sehe ich einen jungen, unsicheren Mann, der nicht mit Ereignissen, die auf ihn einprasselten, umgehen konnte.»
Urteile DG 230182, DG 230183, DG 230184, DG 230185, DG 230186 vom 16. 4. 24, noch nicht rechtskräftig.