Die Tessiner Regierung hat die lokalen Wahlen in Arbedo-Castione annulliert. Auf fünfzig Stimmzetteln sind Kreuzchen übermalt und neue angebracht worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Spannend waren die Tessiner Gemeindewahlen vom Wochenende nicht nur wegen Marco Chiesa. Der Ex-Präsident der SVP Schweiz bewarb sich um einen Sitz in Luganos Stadtregierung und erreichte auf Anhieb die zweitmeisten Stimmen.
Für Spannung sorgte auch die Annullierung der Wahlen in Arbedo-Castione, einer 5000-Seelen-Gemeinde nördlich von Bellinzona. Denn Angestellte der kantonalen Kontrollbehörde bemerkten beim Öffnen der Umschläge, dass auf rund fünfzig Listen für die Gemeindeexekutive Tipp-Ex angebracht war. Es kommt manchmal vor, dass einzelne Wahlzettel mit Tipp-Ex versehen sind. Aber hier waren es zu viele auf einmal, um von einem Zufall auszugehen.
Auf den fünfzig Wahlzetteln waren die ursprünglichen Kreuzchen zugunsten einer bestimmten Partei übertüncht und neue an anderer Stelle angebracht worden. Der Gipfel der dilettantischen Manipulation war, dass jemand die neuen Kreuzchen mit blauem Kugelschreiber gezeichnet hatte – während die übermalten schwarz waren. Falls die Urheber gewollt hätten, damit aufzufliegen, dann hätten sie die beste Methode gewählt: So ironisch kommentierte der Tessiner Staatskanzler Arnoldo Coduri gegenüber dem Internetportal Ticinonews den Vorgang.
Die rund fünfzig Stimmen wurden laut der Zeitung «Corriere del Ticino» der Listenverbindung Lega-SVP-Castione Viva entzogen. Und zwar zugunsten der FDP Arbedo. Der freisinnige Sindaco von Arbedo-Castione, Luigi Decarli, stand für eine offizielle Stellungnahme nicht zur Verfügung. Er sei nach dem Schrecken aufgrund der Entdeckung der Manipulation gesundheitlich indisponiert, berichteten die Tessiner Medien.
Die Kantonsregierung reagierte umgehend und annullierte die Gemeindewahlen. Die Staatsanwaltschaft wiederum beschlagnahmte die Listen und leitete Ermittlungen wegen vermuteter Wahlmanipulation ein. Das Ganze ist keine Premiere: Bereits in den 1980er Jahren hatte der Tessiner Staatsrat einmal eine Gemeindewahl für ungültig erklärt, weil es zu einer Wahlmanipulation gekommen war. Damals handelte es sich um die Gemeinde Airolo.
Die Einsetzung eines Kommissärs, der Arbedo-Castione verwalten würde, fasst der Kanton nicht ins Auge. Es stünden keine konkreten Personen unter Verdacht, die in der Gemeinde politische Funktionen ausübten, hiess es in Bellinzona.
Falls man später doch einen Amtsträger strafrechtlich verfolgen sollte, würde die Kantonsregierung die Suspendierung verfügen. Das war kürzlich der Fall in Massagno und Cerentino, gegen deren Gemeindepräsidenten die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Also bleiben in Arbedo-Castione die jetzige Exekutive und das Gemeindeparlament im Amt, bis vermutlich im November Neuwahlen stattfinden. Früher ist es kaum möglich, da auch ein neuer Wahlkampf stattfinden muss.
Die dringlichste Frage lautet jetzt: In welcher Phase der «Stimmenverarbeitung» hat die Manipulation stattgefunden? Das Tipp-Ex wurde laut «Corriere» nur auf Wahlzetteln gefunden, die per Post bei der Gemeinde ankamen. Die Couverts wurden geöffnet, und es erfolgte die Registrierung der Tatsache, dass die betreffende und zu identifizierende Person bereits gewählt hatte.
Die Wahlzettelumschläge selbst blieben verschlossen, man nummerierte und stempelte sie nur. Anschliessend verwahrte man sie sicher. Erst am Wahlsonntag selbst wurden die Umschläge geöffnet, und zwar von Kantonsangestellten in Bellinzona. Folglich muss die Staatsanwaltschaft sowohl die Mitarbeitenden von Arbedo-Castiones Gemeindeverwaltung befragen wie auch jene Personen, die in Bellinzona die Manipulation meldeten.
Apropos Lega, SVP und Freisinn: Diese Parteien haben bei den Wahlen auf verschiedenen Ebenen gegenläufige Tendenzen aufgewiesen. Der Freisinn hat in den Gemeindeparlamenten an Terrain verloren, während er in den Exekutiven zulegte. Die beiden Rechtsparteien hingegen konnten in den Gemeindelegislativen leicht zulegen, auch dank der schwächelnden Front von SP und Grünen.