Überschwemmt China die Welt mit günstigen Solarpanels, Windrädern oder Elektroautos? Statt vor der «chinesischen Gefahr» zu warnen, würden sich die westlichen Industrieländer besser dem Wettbewerb stellen, von guten und günstigen Produkten profitieren und auf gleichberechtigten Marktzugang drängen.
Ein neues Gespenst geht um. Es heisst «chinesische Überkapazitäten». Die italienischen und französischen Autobauer haben lange den anstehenden Wechsel zur Elektromobilität zu wenig ernst genommen. Nun verlangen sie von der EU-Kommission, die Einfuhr von chinesischen Elektroautos einzuschränken. Diese würden zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen, behaupten sie. Prompt hat die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen Abklärungen dazu eingeleitet.
Ähnliches passiert in den USA. Elon Musks Tesla sonnte sich lange im (Marketing-)Erfolg. Nun spürt Tesla im chinesischen Markt die Konkurrenz durch neue Hersteller, die eine breitere Palette an Modellen anbieten, das Auto noch stärker als fahrenden Computer begreifen und in der Verarbeitungsqualität aufgeholt haben. Tesla sieht sich gezwungen, die Preise zu senken, und kündigt ein Sparprogramm mit Entlassungen an.
Nun äussert sich auch die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen sehr besorgt darüber, dass Chinas Industrie zu viel produziere und deswegen die Weltmärkte mit günstigen Industrieprodukten «fluten» könne. Yellen will diese Gefahr in einem neuen bilateralen Dialog mit China besprechen, deutet aber auch neue Zölle an. Der Wahlkämpfer Joe Biden spricht derweil bereits von einer Verdreifachung der Zölle auf chinesischem Stahl.
Dabei wirkt das westliche Jammern über chinesische Überkapazitäten ziemlich durchsichtig. Denn was heisst schon Überkapazitäten? Sind westliche Exporte nach Asien auch Überkapazitäten? Was für ein Handel wäre das, wenn jedes Land nur noch für seinen Markt produzieren würde?
Den Wettbewerb wirken lassen
Sicher, China hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mit exportgestütztem Wachstum rasant entwickelt. Damit ist es als Standort für die Produktion von Billigstwaren zu teuer geworden. Ähnlich wie einst Japan will China deshalb nun auch zu einer entwickelten Technologienation werden.
Indem die USA mit harten Sanktionen dagegenhalten, stärken sie den chinesischen Willen nur noch, innovativ und technologisch unabhängiger zu werden. Im Bereich der Elektroautos und der Herstellung von «grünen» Gütern wie Solarpanels oder Windturbinen stellen sich bereits Erfolge ein.
Das ist zwar auch auf eine aktive chinesische Industriepolitik zurückzuführen, die chinesische Hersteller subventioniert hat. Wegen der Förderung wurden grössere industrielle Kapazitäten aufgebaut, als unmittelbar gebraucht werden. Doch nun lässt die Regierung einen harten Wettbewerb zu, der dafür sorgt, dass sich die «Überproduktion» korrigieren wird.
Interessant sind in dem Zusammenhang die kürzlich veröffentlichten Exportzahlen für das erste Quartal. Demnach hat der Wert der chinesischen Exporte gegenüber der Vorjahresperiode zwar um 1,5 Prozent zugenommen. Im März sind die chinesischen Ausfuhren aber um nicht weniger als 7,5 Prozent gesunken. Auch der bilaterale Handel mit Deutschland und mit den USA ist geschrumpft.
Detailliertere Angaben deuten darauf hin, dass ein Preiseffekt mitspielte und das Handelsvolumen vor allem bei Schiffen und Solarpanels zugenommen hat. Doch von der angeprangerten breiten Überflutung der europäischen Märkte ist in den Daten bis jetzt nichts zu sehen.
Zudem wirkt das Klagen über chinesische Subventionen reichlich scheinheilig. Der Global Trade Alert der Universität St. Gallen und das New Industrial Policy Observatory listen protektionistische Massnahmen akribisch auf. Waren dort vor Jahren noch die USA subventionsfreudiger als die EU-Länder, so hat der Wind inzwischen gedreht. China hingegen hält in der Menge nicht mit. Sicher, die chinesische Führung arbeitet teilweise mit intransparenten Unterstützungen – aber auch damit ist China nicht allein.
Einen erfrischend anderen Ton als ihre Konkurrenz haben die Chefs der im chinesischen Markt stark präsenten Autobauer BMW und Mercedes angeschlagen. Auf der China-Reise des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz erklärten sie deutschen Medien, sie hielten wettbewerbsfähig zu sein für den besten Schutz gegen chinesische Konkurrenz. Den chinesischen Markt sähen sie weiterhin als Chance und fühlten sich nicht übermässig bedroht.
Verfehlte Ängste
Die Angst vor der «chinesischen Gefahr» und die Forderung nach einer protektionistischen Reaktion darauf sind vermutlich ähnlich verfehlt wie damals die Warnung vor einer «japanischen Gefahr». Industriepolitik ist teuer und meist wenig effektiv. Wenn der Westen günstigere Solarpanels und Windräder erhält und wenn innovative chinesische Elektroautos europäische Hersteller dazu zwingen, ebenfalls besser zu werden (oder vom Markt auszuscheiden), sollte man sich als Konsument darüber freuen. Die angestrebte Dekarbonisierung wird sowieso ein sehr teurer Kraftakt. China soll ruhig dabei helfen, die Kosten zu drücken.
China und seine Unternehmen werden deswegen nicht die Welt beherrschen. Die chinesische Wirtschaft hat genug eigene Probleme. Am besten stellen sich die westlichen Länder dem Wettbewerb und konzentrieren sich darauf, von der chinesischen Führung ungehinderten Zugang zum chinesischen Markt zu verlangen. Sie könnten dies vermehrt zur Bedingung dafür machen, dass chinesische Firmen ihre «grünen» Güter und Fahrzeuge nach Europa exportieren und vor Ort produzieren dürfen.
Überkapazitäten sind ein temporäres Phänomen, das der Markt korrigiert, wenn man ihn nur lässt. Protektionismus verhindert das. Gespenster kommen in Märchen vor. Dort sollten sie auch bleiben.